Serbiens Kunstszene

Jede Sekunde Freiheit nutzen

Blick auf Serbiens Hauptstadt Belgrad.
Viel Geld fließt aus anderen Ländern nach Belgrad für Bauprojekte. Die Neubauten verdrängen die Kunstszene in der Stadt. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Katrin Lechler · 23.12.2014
Serbische Künstler werden vom Staat nicht unterstützt. Gleichzeitig werden sie auch von dort vertrieben, wo sich die Kunstszene trotzdem entwickelt. Nun sollen sie in Belgrad einem gewaltigen Stadtumbau weichen - doch nicht alle nehmen das einfach so hin.
Musikwolken hängen in den Gängen. Mehrere Bands proben in den Räumen der ehemaligen jugoslawischen Staatsdruckerei aus den 30er Jahren. Ein scheppernder Fahrstuhl fährt acht Stockwerke nach oben zum Jazzklub Cekaonica.
Die Jam-Sessions mit Blick auf die Belgrader Skyline sind stadtbekannt. Seit die Staatsdruckerei in den 90er Jahren geschlossen wurde, haben Bands, Künstler und DJs das monumentale Gebäude eingenommen. Doch damit ist wohl bald Schluss, auch wenn es immer noch Jazz-Sessions gibt. Die Bewohner müssen raus, auch die vier Jungs von der Band Quaterbuzz:
"Sie bauen ein Hotel auf der anderen Straßenseite. Dabei ist das der schlechteste Platz für ein Luxushotel: Direkt vor der Tür ist eine große Straße, auf der andere Seite auch. Da ist es noch lauter als bei uns!"
Aber die belgischen Investoren stört weniger der Straßenlärm als der Anblick des grauen Kolosses, der mit seinen tausenden schmutzblinden Fenstern ein Biotop der Belgrader Kunstszene geworden ist. Dass der Staat dieses Biotop schützt oder gar renoviert, daran hat ohnehin keiner geglaubt. Und so nehmen die Betroffenen die Schließung resigniert zur Kenntnis und proben weiter, so lange es geht:
Staatliche Kunstförderung fließt nur spärlich und unregelmäßig. Das ist zwar beklagenswert, aber es mache den Künstler auch frei, meint Selman Trtovac.
"Wir haben nichts zu verlieren, und in dem Sinne sind wir frei."
Der 44-Jährige Belgrader hat Bildhauerei in Düsseldorf studiert. Jetzt arbeitet er in der Fußgängerzone der serbischen Hauptstadt für das Goethe-Institut, das Künstlerinitiativen und Ausstellungen unterstützt und sich am Diskurs über die Stadtentwicklung beteiligt. Selman Trtovac hat sich nach seiner Rückkehr nach Serbien Ende der 90er Jahre dafür entschieden, mit der Situation in seiner Heimat auseinanderzusetzen:
"Eine globale Utopie ist meiner Meinung nach nicht möglich, aber eine kleine Mikro-Utopie wäre vielleicht möglich. Und es wäre vielleicht möglich, dass die Utopien der Künstler in einem Netzwerk funktionieren, die eine Alternative zu Markt und Politik sind. Das man einen Raum schafft, der künstlerisch autonom ist."
"Erfolg ist Gift"
Solche Räume hat er mit der Gruppe "Drittes Belgrad" geschaffen – acht Künstler, die vor allem durch ihre Aktionen auf Belgrader Straßen bekannt wurden: So schliefen sie mitten in der Stadt auf öffentlichen Plätzen, die Köpfe wie Streichhölzer im Kreis zusammengelegt – ein Symbol für gemeinsame Träume. Dadurch wurde die Gruppe "Drittes Belgrad" eine Art Marke – für Selman Trtovac allerdings ein Grund, alles wieder abzubrechen:
"Der Erfolg ist Gift. Man bleibt bei dem, was dem Publikum schmeichelt. Das ist gefährlich."
Selman Trtovac will nun neue Ideen entwickeln. Eine davon ist die Galerie Perpetuum Mobile, die er aus eigenen Mittel an der Donau gebaut hat. Sie gehört zu einer Kette von fünf Galerien, die sich 50 Kilometer entlang der Donau strecken, alle privat finanziert.
Der Bau sei auch als Reaktion auf die Schließung der beiden wichtigsten Museen Belgrads gedacht, des Museums für Zeitgenössische Kunst und des Nationalen Museums, sagt Trtovac. Zwar werden sie offiziell seit Jahren renoviert, doch viele Belgrader glauben, dass Politiker kein Interesse an der Wiedereröffnung und den damit verbundenen Kosten haben.
Belgrad ist immer wach, eine Stadt, in der die Trennung zwischen Wohngebiet und Weggehviertel aufgehoben ist. Immer wieder leuchten Wandbilder wie Farbtupfer zwischen dem Grau der Hauswände und Fassaden auf. Streetart, eine Belgrader Tradition, die viele Bewohner der Stadt im Alltag kaum mehr wahrnehmen.
Entstanden ist diese Form von Straßenkunst in den 80er Jahren, sie entwickelt sich auch während der nationalistischen Milosevic-Ära weiter. Streetart zog weltweit bekannte Maler wie Guillome Alby Remed an, der in der Karađorđeva Straße die "Heilige von Belgrad" schuf. Mit ihren vielen Armen zerstört und schützt sie die Stadt zugleich.
Straßenkunst soll Belgrads Architektur ergänzen
Wandbilder sind in Belgrad nicht nur in den Szene- und Künstlerbezirken zu finden. Es gibt sie auch mitten in der Altstadt, zwischen Museen und Botschaften. So wie das Gemälde von Mirjana Radovanović und Miloš Miletić - zwei junge Belgrader Künstler von der Künstlerinitiative Kurs. Es zeigt eine Frau, die eine rote Fahne schwenkt, auf denen die Worte "Kampf, Gleichheit und Wissen" zu lesen sind.
Die beiden Künstler mussten lange um die Erlaubnis für ihr Wandbild kämpfen. Denn die städtische Kulturabteilung störte sich an der roten Fahne – zu sozialistisch! Dabei verweist sonst die Stadtverwaltung immer wieder mit Stolz auf die Kunst an städtischen Wänden, die die Belgrader Architektur nicht bloß dekorieren, sondern auch kommentieren und ergänzen.
"Wir kämpfen dafür, dass die öffentliche Bildung erhalten bleibt. Ich arbeite immer an irgendetwas und manchmal bin ich sehr müde."
Doch der Verdruss über die schwierigen Verhältnisse ist gleichzeitig Antrieb: Mirjana Radovanović und Miloš Miletić wollen mit ihrer Kunst Menschen erreichen, die Gesellschaft verändern.
Ein weiteres Medium: Wandzeitungen, die sie an Kulturhäuser in ganz Serbien verschicken, damit sie dort aufgehängt werden. Diese Form ist in gewisser Weise mit der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Sowjetunion verbunden. Es war ein Mittel, um Menschen, die weit entfernt von Moskau wohnten, wie zum Beispiel in Sibirien, zu informieren.
Die vier Ausgaben in diesem Jahr beschäftigen sich mit dem neuen Arbeitsgesetz in Serbien oder mit der prekären Lage von Künstlern. Mirjana Radovanović und Miloš Miletić haben klare Forderungen: Der Staat soll Künstler sozial absichern, außerdem Aufträge an sie vergeben, so wie es zu jugoslawischen Zeiten üblich war.
Trotz Bombardierung entwickelte sich die Kunstszene weiter
Im Kulturministerium haben Graffiti-Künstler den Aufgang und das Büro des neuen Kulturministers mit bunten Gestalten bemalt. Ivan Tasovac präsentiert sich gern vor der bunten Wand: Der Polit-Exot mit seiner pinkfarbenen Brille und der wild abstehenden Pumuckel-Frisur gibt ein schmuckes Bild für Fotografen ab. Erst im April wurde der frühere Pianist und Direktor der Belgrader Philharmonie ins Ministeramt berufen. Er ist parteilos.
Das Szeneviertel Savamala hat eine bewegte Geschichte: Die einstige Prachtstraße an der Donau wurde im sozialistischen Jugoslawien vernachlässigt, schließlich zum sozialen Brennpunkt, bis sie in den 90er Jahren von Kreativen wiederentdeckt wurde. In diesem inzwischen international bekannten Teil Belgrads besucht auch Kulturminister Ivan Tasovac immer wieder Vernissagen.
"Ich wünsche mir von Tasovac, dass er Serbien auf andere, neue Weise repräsentiert, wir hatten hier so ein schlechtes Image so viele Jahre. Keiner wusste von unserer Kunstszene, die sich trotz der Nato-Bombardierung 1999 weiter entwickelt hat."
Ljudmila Stratimirović war eine der ersten, die nach dem Sturz Milosevics im Jahr 2000 anfing, die Öffnung des Landes für sich zu nutzen. Sie begann als Designerin buchstäblich aus dem Nichts: Weder hatte sie Geld für Material, noch waren irgendwelche Waren auf dem Schwarzmarkt oder in den Läden verfügbar.
"Ich habe angefangen selbst gemachte Hüte zu verkaufen, denn es gab nichts zu kaufen in den Geschäften. Sogar Bademützen habe ich selbst genäht."
Um an Material zu kommen, ging sie zu den wenigen, noch funktionierenden Fabriken - eine Zellulose-Fabrik oder eine Reifenfabrik - und flehte darum, dort abfallendes Material nutzen zu dürfen. Immer wieder musste sie mit den wechselnden Direktoren neu verhandeln, arbeitete wie eine Besessene, weil sie nie wusste, ob das Fabriktor am nächsten Morgen noch für sie geöffnet sein würde.
Einem gewaltigen Stadtumbau weichen
Später bemühte sie sich bei ausländischen Stiftungen und der Stadt Belgrad um Mittel. Heute beschäftigen sie und ihr Mann fünf feste und 25 freie Mitarbeiter. Regelmäßig veranstalten sie Vernissagen, Filmreihen, Konzerte und einen Mode-Markt, auf dem Künstler und Designer aus ganz Serbien ihre Arbeiten verkaufen. Sie sind wichtige Netzwerker in der Kunstszene: etabliert und leben dennoch von Projekt zu Projekt.
Das Donnern der Lastwagen vor dem Kunstzentrum Grad bricht nie ab. Es ist der Transitverkehr des gesamten Balkans, auf der anderen Seite des Hauses rumpeln Güterzüge. Ein paar Meter weiter steht das Mikser-House - schwarz gestrichen mit hohen Fenstern. Ehemals im Besitz eines jugoslawischen Stahlkonzerns gehört es jetzt einem Privatunternehmer, der unter anderem amerikanische Schuhe dort verkauft. "Utopia" steht mit schwarzen Buchstaben auf einem gelben Band, das über dem tosenden Verkehr flattert.
Schwarze Küchenlampen hängen vom weißgestrichenen Dachgestühl, die rohen Ziegelwände sind weiß gestrichen. Das Mikser-Festival versteht sich als eine Plattform für Filmemacher, Designer und Nichtregierungsorganisationen. Englische, russische und deutsche Sprachfetzen sind zu hören. Hostessen verteilen kostenlos Obstsalat in mundgerechten Portiönchen, Handyvertreter haben ihre Stände aufgeschlagen.
Viele Künstler winken allerdings ab, wenn sie vom Mikser-Festival hören. Es ist für viele eine Mesalliance von Kommerz und Kunst – finanziert von potenten Sponsoren und sogar Parteien.
Doch auch die finanziell erfolgreichen Mikser-Anhänger werden wohl bald einem gewaltigen Stadtumbau weichen müssen. Belgrad am Wasser: Luxuriöse Bürohäuser und Appartements sollen direkt an der Sava gebaut werden, in ihrer Mitte, wie eine abschussbereite Rakete, ein 300 Meter hohes, sich noch oben verjüngendes Hochhaus. Dafür soll sogar das Ufer künstlich aufgeschüttet werden. Außerdem soll hier die die größte Shopping-Mall des Balkans entstehen - alles finanziert von einem Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Serbische Kunstschaffende haben ihre eigene Strategie entwickelt, um damit umzugehen, dass der Staat nicht nur kein Geld für sie übrig hat, sondern sie auch von den Orten verdrängt, wo sich Kunst und Kultur trotzdem entwickeln. Eine Strategie heißt Emigration. Zu besichtigen in der Galerie Elektrika in Pancevo, einer 80.000-Einwohner-Stadt 20 Kilometer nordöstlich von Belgrad.
Vertretung in Wien gegründet
Dort stellt an diesem Abend Mihael Milunović seine Zeichnungen und Bilder vor. Der 47-Jährige ist nach seinem Malereistudium in Belgrad in den 90er Jahren nach Paris gegangen. Heute stellt er in ganz Europa aus. Er pendelt seither zwischen Belgien, Frankreich und Serbien.
"Völlig ungeformte, düstere, tropfende Köpfe. Ich denke, wir leben in einer Epoche von Nicht-Persönlichkeiten von Politikern und Führungskräften. Du kannst sie nicht über ihre Persönlichkeit, sondern nur über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe erkennen."
Unzählige serbische Künstler sind wie Milunović ins Ausland gegangen oder leben zwischen zwei Welten. Sie haben mit der Dachorganisation "Blockfrei" sogar eine Vertretung in Wien gegründet. Sie soll Kunst aus Serbien und anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens zeigen und vernetzen.
Eine andere Überlebensstrategie hat Viktor Kis gewählt. Er hat eine stillgelegte Ziegelfabrik mit mehreren Hektar gemietet und nutzt sie als Galerie und Theater. Eine riesige unverputzte Halle, durchzogen von Betonstreben. Mit einer Kaffeetasse in der Hand lehnt der 41-Jährige an ein altes Auto, bevor er durch die alte Ziegelfabrik führt. Überall, zwischen Tischen und Stühlen, draußen und in den Räumen, stehen seine Metall-Skulpturen.
"Das ist der beste Weg, den Leuten meine Arbeiten oder auch die von anderen Künstlern vorzustellen.
Siehst du die Sachen, die da hängen? Ich mache eine neue Art von Theater. Alles, was passiert, passiert in der Luft. Du wirst auf einem Kissen liegen und mit offenen Augen träumen. Es ist etwas Neues für mich, deshalb zeige ich das erstmal den Kindern."
Viktor Kis hat eigentlich Keramik an der Kunstakademie studiert, dann aber angefangen, mit Metall zu arbeiten. Alles, was er damit verdient, lässt er in seine Kunstprojekte fließen: Blues- und Jazzfestivals, Ausstellungen, Theaterstücke.
"Ich bin glücklich, weil ich sehe, dass viele Menschen hungrig nach Kunst sind, nach etwas Neuem, nein, eigentlich etwas Normalem."
Auch ein einige andere Künstler haben sich auf den Gelände angesiedelt, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit. Denn die einst staatliche Ziegelfabrik Trudbenik ist eigentlich schon privatisiert. Weil die Privatisierung aber unter fragwürdigen Umständen stattgefunden hat und als Streitfall vor dem europäischen Gerichtshof gelandet ist, passiert hier seit Jahren gar nichts.
"Solange das nicht gelöst ist, versuche ich alles, um jede Sekunde Freiheit zu nutzen."
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