Sensationelles Gespür für den Massengeschmack

02.05.2012
Der Wirtschaftshistoriker Tim von Arnim zeigt in seinem Buch den Aufstieg des gelernten Buchdruckers und Journalisten Axel Springer zum größten deutschen Presseverleger nach. Springer gilt als eine der umstrittensten Unternehmenspersönlichkeiten.
Ja, es stimmt. Ein erfolgreicher Unternehmer war Axel Cäsar Springer natürlich auch. Doch der Mann mit dem sensationellen Gespür für den Massengeschmack wollte mehr sein: großer Journalist, bedeutender Verleger, politischer Missionar, Vorzeigepatriot, Israels bester Freund und nicht zuletzt ein "Gottsucher". Beispiellos seine Moskau-Reise 1958, auf der Geltungsbedürfnis und Sendungsbewusstsein kulminieren.

Springer glaubte, mit dem sowjetischen Regierungschef Nikitia Chruschtschow über die Deutschlandfrage verhandeln zu können! Das Scheitern machte ihn keineswegs demütig, es heizte seine politischen Ambitionen noch weiter an. Seit Hitler habe kein Deutscher mehr Macht besessen, klagte "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein 1966 und forderte eine "Lex Springer".

Indessen will Tim von Arnim gar kein Gesamtbild des schillernden Tatmenschen geben. Der Wirtschafts-, Geschichts- und Politikwissenschaftler, der Zugang zum Archiv der Axel Springer AG und zum Privatarchiv des Verlegers hatte, konzentriert sich auf die unternehmerische Seite der Springer-Biografie. Auf der Faktenebene ist das Ergebnis bestechend. Von Arnim beleuchtet jeden Plan, jedes Projekt, jeden Erfolg und Misserfolg.

Mit der "Hörzu" landete der lebenslustige und optimistische Springer schon 1946 den ersten Coup. Das "Hamburger Abendblatt" (ab 1948) startete als aufsehenerregend innovative Regionalzeitung. Springer zielt weniger auf Information als auf emotionale Wirkung im "Bezirk des Seelischen" ab, er erhob das Lokalprinzip und die Orientierung an den Leserbedürfnissen zur Maxime (noch heute kennt man den Werbe-Slogan "Seid nett zueinander").

Mit dem Boulevardblatt "Bild" schuf Springer 1952 sein umstrittenes Meisterwerk, das zur auflagenstärksten Zeitung Europas avancierte, während seine Fernseh-Ideen nicht reüssierten. Wie Springer mit dem Umzug von Hamburg nach Berlin die deutsche Einheit beschleunigen wollte und das Verlagshaus zum modernen Konzern umbaute; alle wichtigen Personalentscheidungen, alle wichtigen Beteiligungen; Springers unzählige Freundschaften und viele Feindschaften, seine sogenannten Lebenskrisen, selbst das ehenfrauenreiche Privatleben des bekennenden Konservativen: Tim von Arnim, der die Quellen seines immensen Wissens im Anhang auf 140 Seiten offenlegt, zeigt sich immer auf der Höhe.

Aber immer auf der gleichen. Das Buch wirkt unerhört informativ und unantastbar in jedem Detail, aber gleichzeitig grau vor Seriosität, Sachlichkeit und Ausgewogenheit. Tim von Armin gelingt es nicht, die Erregung zu übertragen, die Springers Medienmacht in den späten 60er-Jahren auslöste, als linke Demonstranten "Enteignet Springer!" riefen, vor der Verlagszentrale Autos abgefackelt wurden und sich der stolze, eitle Verleger zum Buhmann der Nation herabgewürdigt sah.

Man giert nach plastischer Darstellung der aufregenden Zeitgeschichte und bekommt: Fakten, Fakten, Fakten. Allzu deutlich merkt man, dass das Buch die gekürzte Fassung von Tim von Armins Dissertationsschrift ist. Zum Standardwerk könnte es reichen, zum Publikumsliebling nicht. Axel Springer hätte sich jedenfalls eine leserfreundlichere Fassung und mehr Emotionen gewünscht.

Besprochen von Arno Orzessek

Tim von Arnim: Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen - Der Unternehmer Axel Springer

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2012, Hardcover gebunden, 44 Abbildungen und Grafiken, 410 Seiten, 34,90 Euro