Selim Özdogan über Deutsch-Türken

"Ein Gefühl von Benachteiligung"

Eine junge Frau hält einen türkischen und einen deutschen Reisepass in den Händen.
Unter den türkischen Wählern in Deutschland stimmten rund 63 Prozent für ein Präsidialsystem in der Türkei, das Präsident Erdogan noch mehr Macht verleihen soll. © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Selim Özdogan im Gespräch mit Frank Meyer · 19.04.2017
Warum haben rund zwei Drittel der deutsch-türkischen Wähler für Erdogans Verfassungsreform gestimmt? Der Autor Selim Özdogan erkennt ein ähnliches Verhalten wie bei Trump- und AfD-Wählern. Viele fühlten sich ausgegrenzt. Zum besseren Verständnis empfiehlt er ein Buch von Fatma Aydemir.
Mit 46 Jahren, bekennt der in Köln geborene Schriftsteller Selim Özdogan, habe er zum ersten Mal von seinem Stimmrecht Gebrauch gemacht - und bei dem Referendum mit "Nein" gestimmt - "nicht, weil mich die Türkei so sehr interessiert, sondern aus einer Solidarität heraus mit den Menschen, die ich dort kenne". Aber es habe nichts gebracht. Im Abstimmungsverhalten der Mehrheit sieht der Sohn türkischer Einwanderer "nichts Nationales":
"Ich glaube, diese Entscheidung ist eine ähnliche Entscheidung wie für Trump zu stimmen, wie für die AfD zu stimmen, also ich glaube, dass die Psychologie, die greift letzten Endes nicht entlang nationaler Grenzen (...)."
Wer besser verstehen will, wie die "Ja"-Wähler möglicherweise "ticken", dem empfiehlt Özdogan das Buch "Ellbogen" von Fatma Aydemir über eine junge Deutschtürkin aus dem Berliner Wedding. Die Figur sei unsympathisch, fühle sich benachteiligt und ausgegrenzt und sehe für sich keinen Weg. Doch sie werde von der Autorin nicht vorgeführt.
"Ich glaube schon, dass das (...) - ob berechtigt oder nicht - mit einem Gefühl von Benachteiligung zu tun hat, dass man in eine bestimmte Richtung geht."

"Zuschreibungen aufbrechen"

Ähnliches finde sich auch bei dem österreichischen Autor André Pilz in dessen Büchern "Man Down" und "Der anatolische Panther". Pilz könne "sehr schön" Figuren zeichnen, "die wir als sozial schwach bezeichnen würden" und glaubwürdig darstellen, wie Wut am Rande der Gesellschaft entstehen könne.
Mit seinem eigenen jüngsten Roman "Wieso Heimat, ich wohne zur Miete" habe er "Zuschreibungen aufbrechen" wollen, sagt Özdogan:
"Du musst eine Identität haben, du musst dich für eine Seite entscheiden, bist gespalten zwischen zwei Kulturen. Diese Zuschreibungen gehen (…) oft von einer falschen Prämisse aus. Es gibt nicht die eine oder die andere Seite, die Welt ist nicht flach, so wie eine Ober- und eine Unterseite."
(bth)

Selim Özdogan: Wieso Heimat, ich wohne zur Miete
Haymon Verlag
248 Seiten, 19,90 Euro

Fatma Aydemir: Ellbogen
Carl Hanser Verlag,
272 Seiten, 20 Euro

André Pilz: Man Down
Haymon Verlag
276 Seiten, 21,90 Euro

André Pilz: Der anatolische Panther
Haymon Verlag
448 Seiten, 12,95 Euro

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