Selbstironie statt Selbstmitleid

Von Jürgen Kalwa · 27.06.2012
Niemand hat in den letzten Jahren soviel für ein ganzes Hollywood-Genre getan wie die amerikanische Drehbuchautorin Nora Ephron. Sie hat die Liebeskomödie wiederbelebt. Ihre Markenzeichen waren der konsequent weibliche Blickwinkel, der New Yorker Humor und die Fähigkeit, das eigene Leben als Materialsammlung für die besten Geschichten auszuwerten. Nun ist die Autorin gestorben.
Es ist die berühmteste Filmszene aus ihrem ganz beachtlichen Schaffen. Meg Ryan und Billy Cristal in der Komödie "Harry und Sally". Schauplatz: ein New Yorker Imbiss. Das Thema: vorgetäuschte Orgasmen. Beziehungsweise Männer, die glauben, ihnen könne im Bett keine Frau etwas vormachen. Es ist der Moment, in dem Sally beschließt, das lustvolle Stöhnen einfach mal vorzuspielen. Die Pointe besteht aus dem Satz einer älteren Frau am Nebentisch.

"Sally (schlägt mit der Hand auf den Tisch): "Ja ja, au, ja, ja, oh Gott.”
Frau: "Ich will genau das, was sie hatte.""

Das Drehbuch trägt den Namen von Nora Ephron, der mit der Geschichte über die Komplikation einer Freundschaft 1989 so etwas wie die Wiederbelebung eines ganzen Genres gelang. Das der Liebeskomödie. Es hatte viel mit ihrem Gespür für Lebensumstände zu tun und ihrer besonderen Fähigkeit, dem eigenen Alltag und dem ihrer Mitmenschen etwas Humorvolles und zugleich Geistvolles abzugewinnen. Wie etwa in dem Buch "Sodbrennen”, der später mit Jack Nicholson und Meryl Streep verfilmten Verarbeitung ihrer Scheidung von Watergate-Reporter Carl Bernstein. Die Geschichte ging vielen unter die Haut. Auch dem berühmten Ex-Mann, der drohte, sie zu verklagen.

Nora Ephrons Erfahrung mit Hollywood war nicht minder heikel:

""90 Prozent der Regisseure haben kein Interesse an Frauen außer als Freundinnen oder Ehefrauen. Sie wollen wirklich keine Filme über sie machen. Und das tun sie auch nicht. Jemanden zu finden, der sich damit beschäftigen würde, was mit mir und meinem Leben zu tun hatte, war frustrierend.”"

Und so wollte sie eigentlich "Harry und Sally” selbst inszenieren. Aber dann ergab sich die Zusammenarbeit mit Rob Reiner. Und sie entdeckte dabei etwas anderes:

""Er war brillant. Er veränderte das Drehbuch. Er machte es so viel besser, dass ich dachte: Warum Regisseur werden? Aber beim nächsten Film habe ich mit einem Regisseur gearbeitet, der das Skript nicht verbesserte. Und so habe ich darüber nachgedacht, Filme selbst zu drehen.”"

"Schlaflos in Seattle”, ihre zweite Regiearbeit 1993 mit Meg Ryan und Tom Hanks, war ein Kassenerfolg. Und der ebnete ihr den Weg zu weiteren Projekten. Und sie machte sich einen Namen. Unter anderem auch dadurch, dass sie dreimal für den Oscar nominiert wurde. Darunter für "Silkwood”, einen ganz und gar nicht lustigen Film über das mysteriöse Verschwinden der Mitarbeiterin einer Plutoniumaufbereitungsanlage in Oklahoma, der bereits 1983 entstanden war.

Sie hatte viele Talente, die es ihr möglich machten, den erlernten Beruf der Journalistin aufzugeben und sich auf die Arbeit für die Leinwand zu konzentrieren. Und das, ohne dabei ihren Lebensmittelpunkt aufzugeben: die vielen klugen Freunde und das Leben von New York, das in ihren Filmen immer wieder auftauchte - so in "email für dich” und in "Julie & Julia”, der eine weitere Liebe von Nora Ephron behandelte: die zu gutem Essen.

Ihre Eltern waren beide Drehbuchautoren gewesen und deshalb von New York nach Beverly Hills gezogen. Dort ging Nora zur Schule, aber sie schlug keine Wurzeln. Das sonnige Kalifornien war nicht ihr Fall. Nach dem Studium machte sie während der Amtszeit von Präsident John F. Kennedy ein Praktikum in der Presseabteilung des Weißen Hauses und heuerte wenig später bei der "New York Post” an.

""Mir ist später aufgegangen, dass ich wahrscheinlich die einzige Frau im Weißen Haus war, die Kennedy nicht angebaggert hat. Das machte mich irgendwie traurig und ich dachte: "Warum nicht ich?” Aber dann fiel mir ein, dass ich in dem Sommer eine wirklich schlechte Dauerwelle trug und nicht wirklich toll aussah. Aber es war traurig.”"

Selbstironie statt Selbstmitleid. Pointen statt ausgefeilter Dialoge - geschrieben in einer Sprache, in der sich ein großes weibliches Publikum wiederfand. Vor allem jenes, das in den turbulenten sechziger und siebziger Jahren groß geworden war. Es wurde ihr Markenzeichen, so witzig zu sein wie der frühe Woody Allen - allerdings ohne den maskulinen Weltschmerz.

Nora Ephron war daneben durchaus in der Lage, ihre klugen Beobachtungen und Gedanken ganz klassisch zu Papier zu bringen. Etwa in Essays, in denen sie nicht den geringsten Hang zur Grübelei verriet. Sie brachte Themen einfach sehr selbstbewusst auf den Punkt. So wie in ihrer Arbeit für die Internetseite "Huffington Post”, wo sie, die zweimal geschiedene Mutter von drei Kindern, einem unabänderlichen Ausschnitt der Realität eine Plattform gab: ""Ehen kommen und gehen. Scheidung ist für immer.”"

Daneben schrieb sie Bücher, in denen sie sich mit anderen Fakten beschäftigte, wie in dem auch auf Deutsch erschienenen "Ich kann mir alles merken - nur nicht mehr so lange”. Es war ihre Auseinandersetzung mit dem Älterwerden. Unabänderlich. Aber ohne wirkliche Vorzüge und eigentlich nur mit einer großen Portion Humor zu ertragen. Nora Ephron starb am Dienstag in New York im Alter von 71 Jahren an einer akuten Lungenentzündung, die sich als Komplikation einer Leukämie eingestellt hatte.
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