Selbstfindung

Theater suchen nach ihrem Auftrag

Der Schauspieler Timo Weisschnur steht bei einer Fotoprobe zum Stück "Terror" von Ferdinand von Schirach im Deutschen Theater in Berlin auf der Bühne.
Der Schauspieler Timo Weisschnur in Ferdinand von Schirachs "Terror" im Deutschen Theater in Berlin. Wie schnell sollen Theater auf aktuelle Ereignisse reagieren? © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Von Uschi Götz · 19.01.2016
Das Theater wird politischer, gleichzeitig will man nicht reflexhaft auf Ereignisse reagieren. Die Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein diskutiert bei einem Treffen über Fragen der politischen Haltung.
Eine zunehmende Angst in der Gesellschaft beobachtet Ulrich Kuohn, Vorsitzender der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein. Diese Angst führe zu einer zunehmenden Gesprächsunfähigkeit, man könne auch von Spaltung sprechen. Auf einer abschließenden Pressekonferenz eines Treffens der Gruppe sagt Kuohn:
"Auf jeden Fall, dass die Räume, in denen über die Frage, die die Gesellschaft wesentlich angehen, die öffentlichen Räume schwinden. Dass aber gleichzeitig auch der Zusammenhalt schwindet. Wir sind natürlich der Meinung, dass die Theater so eine Art Utopie von Gemeinschaft zunächst einmal selber versuchen zu leben, wenn man das so hochtrabend sagen darf, aber natürlich auch zu diskutieren in einer Gesellschaft."
Theater seien eine der wenigen öffentlichen Räume, in denen nicht interessensgelenkt, nicht radikalisiert, nicht einseitig politisiert diskutiert werde:
"Das heißt aber nicht auf der anderen Seite, dass die Theater standpunktlos sind. Unsere Sehnsucht ist es, durch die künstlerische Arbeit, die eine gesellschaftliche Wirklichkeit reflektiert, in sehr unterschiedlichen, spielerischen Formen trotzdem so etwas wie eine Haltung sichtbar werden zu lassen."
Große Erwartungen an die Theater
Die Politik habe zurzeit große Erwartungen an die Theater, nicht im Sinne der Parteinahme, betont Kuohn. Vielmehr sei das Theater mehr denn je gefordert, einen Raum zu bieten, um auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen einzugehen. Als Konsequenz daraus nennt Kuohn:
"Dass die Frage der Form oder wie wir das ästhetisch umsetzen, sich daraus ergibt und nicht umgekehrt. Also, dass wir uns nicht in Ästhetikdiskussionen verlieren sollten bevor wir die Frage, was wollen wir uns vornehmen, welche Themen interessieren uns. Und dann natürlich ergibt sich die Frage der Form, die man auch lösen muss. Das ist ja klar, wir sind ja am Theater und kein Parteitag."
Die Gesellschaft verändere sich und das werde natürlich auch im Theater sichtbar, beobachtet auch Stuttgarts Schauspielintendant Armin Petras. Waren es in den 90er-Jahren WG-Themen und Beziehungsfragen, folgte eine Zeit des privaten Rückzugs. Petras beobachtet eine neue Phase der gesellschaftlichen Veränderung und erinnert sich an Bertolt Brecht:
"Die Ästhetik unseres Theaters leiten wir vom Ziel unserer Kämpfe ab. Das ist mir eingefallen, in Vorbereitung auf unsere Tagung, in der ich auch ein Referat halten sollte. Und ich finde das ganz interessant, dass man plötzlich den Eindruck hat, dass diese alten Thesen plötzlich wieder zumindest einem in den Kopf kommen."
Theater wird wieder politischer
Das Theater wird wieder politischer, das ist schon heute in den Spielplänen erkennbar. Und doch will man, auch das ist ein Fazit des Treffens der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein, nicht reflexhaft auf die Ereignisse reagieren.
"Auf der anderen Seite, wenn wir etwas finden, was künstlerisch überzeugend ist, wo wir Methoden und Mittel finden, das darzustellen, es kann doch nichts Schöneres geben. Sozusagen in einen sozialen Diskurs zu geben, mit Zuschauern, mit Menschen, die das gerade erleben."
Stuttgarts Opernintendant Jossi Wieler stellte klar, die Oper habe andere Planungsvorläufe als das Theater und könne schon allein deshalb nur bedingt aktuell reagieren. Grundsätzlich ginge es jedoch um ein Bewusstsein für das Zeitgeschehen:
"Wichtig ist, dass man eine Haltung zeigt zu Vorgängen, die es in der Gesellschaft gibt. Die Form dafür muss man dann jeweils für sich finden. Da gibt es auch nicht nur eine, es gibt viele Formen, viele Arten von Ästhetik."
Nicht nur über Strukturen austauschen
Deutschland habe eine unglaublich reiche Theaterlandschaft, so Wieler. Das Fazit des zweitägigen Treffens der Intendanten sei die Tatsache, dass man sich nicht nur über Strukturen, sondern auch sehr konkret über Inhalte austausche und das sei beispielhaft:
"Andere Länder beneiden uns um diese kulturelle Errungenschaft, und wir müssen alles dafür tun, dass wir die bewahren können. Gerade in Zeiten wie jetzt, wo man wirklich andere große Probleme zu bewältigen hat. Genau in solchen Zeiten werden Bühnen wichtig, um Themen so außerhalb der Flimmerkiste und außerhalb einer Zeitung nochmals in einer anderen Form zu reflektieren und zu diskutieren."
Am Ende dieses Treffens wurde klar, die Theater sind sich ihrer Rolle bewusst. Eine Haltung ist gefordert, das haben die Intendanten so formuliert und sie haben eine Haltung zu den aktuellen Entwicklungen in der Gesellschaft. Jeder für sich und doch sind sich alle darüber einig: die Theater haben nun wieder eine Chance, sich auch politisch anders und neu zu positionieren.
Jetzt ist vor allem die Politik, sind die Kulturpolitiker gut beraten, wenn man den Theatern ihren schöpferischen Gestaltungsraum lässt und sie nicht mit Forderungen nach kultureller Bildung überfrachtet.
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