Selbsterfüllende Prophezeiung

Wie politisch Unwahrscheinliches möglich wird

Hofer und Van der Bellen auf TV-Bildschirmen
Und wenn ein Rechter österreichischer Präsident wird? Wenn wir es oft genug beschwören, könnte es eintreffen - dieses Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung haben auch Forscher schon untersucht. © picture alliance / dpa / Christian Bruna
Von Andrea Roedig · 04.12.2016
Kaum heißt es: "Wählt nicht Trump!" oder "Verweigert Hofer eure Stimme" - schon haben sich die Kandidaten noch tiefer in unser Hirn gegraben, als es die Rechtsruck-Warner wollten. Andrea Roedig geht in ihrem Kommentar diesem Phänomen der "self-fulfilling prophecy" nach.
"Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt." Dieser bekannte Merksatz ist zwar kein stilistisches Highlight der deutschen Sprache – aber er bewahrheitet sich oft, wie man am Wahlsieg Donald Trumps in den USA wieder einmal feststellen konnte. Auch bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl könnte das Ergebnis unvorhergesehen ausfallen. Wobei man in Österreich nicht mehr überrascht sein muss, wenn der nächste Bundespräsident Norbert Hofer heißt, man hat sich schon fast an den Gedanken gewöhnt.

Erst abstrus - dann akzeptierte Tatsache

Und das ist der heikle Punkt: Die Denkbarkeit – denn oft kommt es genauso, wie man denkt, weil man es denkt. Die so genannte "Self-fulfilling prophecy" ist ein von der Psychologie und Soziologie gut untersuchtes Phänomen. In der Philosophie hat man sich bislang weniger um sie gekümmert, obwohl zum Beispiel John Austins Theorie der "Sprechakte" – also sprachlicher Handlungen, die eine Realität herstellen – einiges von der Idee der Self-fulfilling prophecy enthält.
Wenn man zurückschaut, fällt auf, dass viele gesellschaftliche oder politische Ideen, die zunächst als abstrus und unrealistisch erschienen, irgendwann zu akzeptierten Tatsachen wurden. Das war in Deutschland etwa bei der Durchsetzung der Agenda 2010 so. Anfangs hielt man die Hartz IV Gesetze für eine unzulässige soziale Härte, heute ist "Har(t)zer" nicht nur der Name eines Käses, sondern auch einer Bevölkerungsgruppe. Oder, als anderes Beispiel: Noch vor einigen Jahren waren In-Vitro-Fertilisation, Stammzellenforschung und Pränataldiagnostik heftig und kontrovers diskutiert, während diese Techniken jetzt, geregelt durch Gesetzgebung, zum unauffällig alltäglichen Geschäft gehören. Positives geht auch: Vielleicht wird das bedingungslose Grundeinkommen, das heute noch utopisch scheint, mit der Zeit immer denkbarer und daher machbarer?

Ideen zu negieren, heißt, deren Wahrnehmung zu steigern

Das Perfide an der Self-fulfilling prophecy aber ist, dass sie oft gerade das herbeiruft, was eigentlich befürchtet ist. Wie im magischen Zwang geht sie dem Unglück entgegen. Warum bewirken die Warnrufe der Prophezeiung nichts? Das mag zum Teil an der sprachlichen Funktion der Negation liegen. Der Linguist George Lakoff beginnt seine Seminare oft mit dem Satz "Denken Sie nicht an einen Elefanten". Wer jetzt keinen Elefanten vor seinem inneren Auge sieht, hat geschlafen. "Eine Idee sprachlich zu negieren bedeutet immer, sie im Gehirn des Hörers zu aktivieren" sagt Lakoff.
Daher machen besorgte Aufforderungen wie "wählt nicht Trump" oder "wählt nicht Hofer" diese Kandidaten stärker in der Wahrnehmung, in der Bedeutung und irgendwann auch in der Wirklichkeit. Die politischen Strategen wissen um diesen paradoxen Effekt, die Medienvertreter vielleicht weniger. Sie sitzen in der Falle. Denn wie soll man kritisch über etwas sprechen, ohne es zu erwähnen?

Der Mensch gewöhnt sich an alles

Prophezeiungen erfüllen sich aber auch, weil mit ihnen ein Effekt der Gewöhnung eintritt. Der Mensch ist ein flexibles Tier, das sich an neue Umstände rasch anpasst. "Shifting baselines", also "Verschieben der Grundlinien", nennt sich der psychologische Mechanismus, der unsere moralischen Maßstäbe Schritt für Schritt ans Gegebene anpasst. Was zunächst schlimm und inakzeptabel erschien, ist irgendwann eben einfach da. Das Mögliche wird wirklich, weil wir uns daran gewöhnen. Eine Resignation ins Unabänderliche.
Was ist zu tun gegen die Macht der negativen Self-fulfilling prophecy? Wie immer mag man Hoffnung auf die Vernunft setzen, sich klar machen, wie wirkmächtig Ängste sind und versuchen, hier gegenzusteuern. Andererseits bedarf es aber auch der Einsicht in den Zufall und die Komplexität von Ereignissen. Denn Prophezeiungen sind – immerhin – nicht allmächtig. Erinnern wir uns: Die 1970er und 80er Jahre waren überschattet vom Kalten Krieg und Rüstungswettlauf zweier Großmächte, der als Vorbote eines möglichen dritten Weltkriegs erschien. Viele hatten Angst vor diesem Atomkrieg. Er ist bislang nicht eingetreten, die Geschichte nahm einen Abzweig. Manchmal kommt es – Gott sei Dank – eben doch anders, als man denkt.

Lektürehinweis:
George Lakoff/Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht
Carl Auer Verlag, 2016, 19,95 Euro

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