Sein Leben unterm Strich

Von Andreas Main · 24.04.2012
Der Illustrator Christoph Niemann lebt in Berlin. Aber bekannter als hierzulande ist er in den USA. Dort spielt er in der ersten Liga: Er zeichnet unter anderem Titelbilder für das renommierte Wochenmagazin "New Yorker" - und er arbeitet für die "New York Times".
Christoph Niemann hat sein Büro in Berlin-Mitte - dort, wo Mitte am mittigsten ist: Torstraße, Brunnenstraße. Es geht in einen Hinterhof und ein marodes Treppenhaus. Charme des Verfalls.

Drinnen sieht es aus, wie es aussieht in einer renovierten Fabriketage mit Parkblick. In den Nachbarbüros: Architekten und andere Kreative. Eine Assistentin setzt Niemanns Ideen für ein interaktives iPad-Kinderbuch um.

Niemann hat Grafik-Design studiert. Dann ist er nach New York gegangen. Einfach so. Und hat es geschafft.

"!Nach dem Diplom 97 habe ich gedacht: Jetzt versuch ich es einfach. Ich habe nichts zu verlieren. Ich hatte keine Wohnung. Ich hatte einfach keine Bindung, nichts, was ich jetzt in irgendeiner Form hätte aufgeben müssen. Und habe dann gesagt: Nach dem Diplom ist einfach der beste Moment im Leben, wo man auch diesen Enthusiasmus hat und diese Schmerzfreiheit einfach loszugehen und zu sagen: Jetzt gucken wir einfach mal, was passiert.""

Christoph Niemann arbeitet vor allem für US-Kunden, zunächst von New York - heute von Berlin aus. Zwei bis dreimal im Jahr entwirft er ein Cover für den "New Yorker", das Wochen-Magazin der Ostküsten-Intellektuellen; seine Illustrationen erscheinen regelmäßig im Magazin der New York Times.

"Es ist einfach so: Wenn man in der New York Times ist, dann sehen es die anderen Kunden, die sagen, was die wollen, will ich auch. Und so hat sich das dann entwickelt."

"Die Familienlegende geht so, dass ich mit vier nach Stiften gefragt habe und dann mein Bruder, der ein Jahr älter war, das von mir abgeguckt hat, aber es auf der Stelle viel besser konnte. Ich war auf Dauer fleißiger, mit 17 konnte ich dann wieder ein bisschen besser zeichnen. Und das ging dann immer so hin und her."

Niemann ist aufgewachsen in der Nähe von Stuttgart. Vater: Bauingenieur, Mutter: Krankengymnastin. In der Schule war er relativ gut. Nie sehr begabt, aber ehrgeizig.

"Ehrgeiz ist auch eine Begabung: die Begabung irgendwo dran zu bleiben. Mir ist nie was zugeflogen. Die Sachen klappen nie beim ersten Versuch. Sondern immer beim 130. Und die Frage ist immer: Hat man die Geduld, bis zum 130. Versuch am Schreibtisch sitzen zu bleiben und wenn man das Begabung nennt, dann bin ich begabt."

Christoph Niemann liebt Mad Men, die Edel-Serie rund um eine Werbeagentur auf der Madison Avenue. Wie Don Draper, der Held in Mad Men, setzt auch er auf Eleganz und feine Anzüge - zum Beispiel bei Vorträgen in New York:

Niemann will ernst genommen werden - und ist dabei immer unterhaltsam.

"Ich versuche, die Komödiantenregel zu beherzigen: Wenn der Leser lachen soll, darf man selber nicht lachen. Und je mehr man mit den Armen um sich schlägt, desto unwitziger wird der Witz meistens. Und ich versuche deshalb auch in meinen Zeichnungen, relativ ernst zu gucken, um mehr Platz für den Humor zu lassen."

Nach zwölf Jahren New York: Christoph Niemann zieht mit Frau und drei Kindern nach Berlin. Er arbeitet weiter von Deutschland aus für Amerika. Niemann lebt in zwei Welten: Sechs mal im Jahr reist er nach New York. Manchmal träumt er deutsch, manchmal englisch. Und er bastelt sich in Berlin sein eigenes, ganz privates Design-Amerika. Etwa wenn er den New Yorker Subway-Plan in seiner Wohnung nachbaut - und zwar im Badezimmer. Auch dieses Projekt ist zu finden in seinem neuen Buch "Abstract City":

"Dann mit Hellgrün sehe ich den Central Park und mit Hellblau das Wasser links und rechts den Hudson und den East River."

Die U-Bahn-Linien werden repräsentiert von Kachel-Streifen, hier orange, dort rot und blau. So entfaltet sich das U-Bahn-Netz dreidimensional in den Raum hinein: Manhattan an der linken, Brooklyn an der rechten Wand. All dies für seine Kinder, die die New Yorker U-Bahn so sehr lieben.

"Und es ist relativ akkurat, wobei: Es gab keine braunen Fliesen - und das Raster war ein bisschen zu eng. So musste ich den J, den M und Z-Train weglassen. Und als unser damals Siebenjähriger zum ersten Mal ins Bad rein kam, und ich eigentlich erwartete, dass er in Jubel ausbricht, guckt nur einmal scharf hin, sagt: 'J, M, Z-Trains are missing'. Dreht sich rum und geht. Mittlerweile findet er es auch gut, aber das war schon ein fieses Kunden-Feedback."

"Mein Leben unterm Strich" - so der Untertitel seines Buchs. Es sind illustrierte Memoiren. Niemanns Leben unterm Strich - oder aus dem Baukasten. Etwa wenn er sich mit Legosteinen in seine Zweit-Heimat versetzt: mit dem Projekt "I Lego New York".

"Das habe ich mit den Lego-Steinen meiner Kinder gebaut. Die lagen bei mir im Regal - und die Kinder fragten manchmal, weil sie keine langen, gelben mehr hatten, ob sie die haben könnten? Und ich sagte: Nein, absolut unter gar keinen Umständen. Papa muss mit denen arbeiten. Also, ich hab da gefleddert, aber die haben eigentlich genug."

Was bleibt unterm Strich? Unter Niemanns Strich: zurzeit ein Ostküstenleben in Berlin - und der Wille, sich weiter zu entwickeln. Den äußert er immer wieder und strahlt dabei - auf sehr amerikanische Weise - aus: Es wird ihm gelingen.

"Als ich nach Amerika gegangen bin, mit meiner Mappe, hatte ich die nie für Amerika geplant. Das war mein deutsches Diplom, das ich hier an einer deutschen Kunsthochschule potentiell für deutsche Werbeagenturen gemacht hatte. 98 Prozent der Bilder haben die Leute dort verstanden. Es ist unglaublich, wie kongruent doch die visuellen Welten sind gerade zwischen Deutschland und USA."


Buchempfehlung:

Christoph Niemann: Abstract City. Mein Leben unterm Strich
Knesebeck-Verlag, München 2012
256 Seiten, 19,95 Euro
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