Seifhennersdorf in Sachsen

Die Hauptstadt der Unglücksraben

Eisenbahnmuseum in Seifhennersdorf, Gebäude, außen,
Hat mehr zu bieten als Landflucht und Preisverfall: Seifhennersdorf samt Eisenbahnmuseum. © imago/Petra Schneider
Von Michael Frantzen · 02.03.2015
Bevölkerungsschwund, Immobilienpreisverfall, durchziehende Diebesbanden: Als ob Seifhennersdorf nicht schon genug Probleme hätte, wurde das 3.880 Seelen Dorf in Sachsen jetzt auch noch zum Unglücksnest in Sachen Lebensstandard gekürt. Ein Besuch.
Karin Berndt: "Seifhennersdorf is ne ganz besondere Stadt."
In der Tat.
Gunter Knorr: "Die Glücklichsten?! Näh, Quatsch. Was war's? (lacht)"
Manuela Knorr: "Näh. Die Unzufriedensten. War das ned die Unzufriedensten?"
Gunter Knorr: "Irgendwas in die Richtung."
War es. Beim Glücksranking der Sächsischen Zeitung.
Manuela Knorr: "Ich glaub, da haben wa ned so gut abgeschnitten, oder?"
Kann man wohl sagen.
Berndt: "Es nervt."
Das Gerede über die "Unglücksraben Sachsens". Karin Berndt jedenfalls kann es nicht mehr hören. Es ist Donnerstag, kurz nach zehn. Rathaus, erster Stock. Die Bürgermeisterin holt in ihrem Amtszimmer tief Luft. Der Tag hat nicht gerade optimal begonnen: Wasserschaden. Eine Leitung ist in der Nacht geplatzt. Irgendwas ist in letzter Zeit immer.
2015 will man glücklichste Stadt Sachsens werden
Berndt:"Aber ich bin trotzdem grenzenlos optimistisch. Und wenn wir das schon durchleiden mussten und uns dieser Titel verpasst wurde: Dann sind wir jetzt 2015 mit dem Anspruch gestartet, die glücklichste Stadt werden zu dürfen."
An Karin Berndt soll es nicht scheitern. Seit 2002 hat sie im Rathaus das Sagen, einem 20er-Jahre-Bau mit knarzenden Dielen und meterhohen Fenstern. Hat einer ihrer Vorgänger in der Weimarer Zeit bauen lassen. Fichtner. Der Unbeugsame. Draußen hüllt Nebel die 3800-Einwohner-Gemeinde an der tschechischen Grenze in Watte, drinnen springt die Hausherrin auf. Irgendwo im Rathaus müssen noch ein paar Exemplare der Fichtner-Festschrift rumliegen. Nur wo? Keine zehn Sekunden später ist die 1-Meter-57-Frau im Sekretariat, um nachzuhaken. Bei Karin Berndt muss es meist schnell gehen. Wenn man so will, ist Fichtner ihr Idol. Mutig sei er gewesen. Schwärmt die gelernte Erzieherin. Und innovativ: Wegen der grassierenden Hyperinflation ließ er eine eigene Währung drucken, den Fichtner-Taler, um den Rathausbau zu finanzieren. Fichtner hat vor niemandem gekuscht. Berndt auch nicht. Bis vor das Bundesverfassungsgericht ist sie gezogen – zusammen mit den "Schulrebellen", die sich genauso wenig damit abfinden wollten, dass der Freistaat Sachsen ihnen die Mittelschule wegnimmt.
Berndt: "Das Kultusministerium hat für die Mittelschule Seifhennersdorf ne Endlösung gefordert. Das bedeutet radikale Vernichtung. Wir sind bedroht worden. Ich hab mich dagegen verwahrt. Ich warte bis heute noch auf die Entschuldigung."
Fasching, Sport, Bibliothek – das hält die Gesellschaft zusammen
Statt einer Entschuldigung bekam Berndt im Januar Recht. Zwar nicht aus Dresden, dafür aber aus Karlsruhe: Laut Bundesverfassungsgericht verstoßen Teile des sächsischen Schulgesetzes gegen gültiges Recht, ergo kann die Mittelschule bleiben. Berndt reckt das Kinn. Endlich eine Erfolgsnachricht. Die Frau, die aus Prinzip in keiner Partei ist, kann sie gut gebrauchen. Wie viele andere Städte in der Oberlausitz schrumpft Seifhennersdorf. 3800 Einwohner sind es noch von einst 8000. Das bleibt nicht ohne Folgen. Das Kino: längst dichtgemacht, genau wie der Edeka und zuletzt Penny. Zu wenig Kaufkraft. Jetzt steht der hässliche Betonbau in Sichtweite des Rathauses leer – wie viele Häuser hier. Sind mindestens fünfzig, meint Bernd achselzuckend, darunter auch etliche Umgebinde-Häuser, die zwar schön aussehen, sich jedoch nur für viel Geld renovieren lassen. Viel Geld aber hat hier keiner.
"Genug gejammert"
Berndt: "Dann kriegt die Stadt wie jetzt wieder ne Verfügung. Ihr müsst sparen, sparen, sparen! Euer Haushalt gibt das ned her! Und alle freiwilligen Aufgaben: Da gehört das Freibad dazu, da gehört die Bibliothek dazu, da gehört das Museum dazu, da gehören die schönen Sachen dazu, das Vereinswesen. Und wenn's Fasching is. Und Sport. Das is ja das, was die Gesellschaft zusammenhält. Das sind Dinge, die können sich nich rechnen. Aber da muss ich mich als Gesellschaft bekennen und sagen: Jawohl, das haben Bürger nich nur in den Städten verdient, sondern auch hier."
Im hintersten Zipfel Sachsens. Berndt geht zum Fenster. Da drüben, meint sie und zeigt nach links, hinter den Nebenschwaden, da fängt schon Varnsdorf an, sprich Tschechien. Früher reihte sich eine Fabrik an die andere, grenzenlos. Viel Textil, Maschinenbau, Schuhfabriken. Mit der Wende war damit Schluss. Karin Berndt schüttelt den Kopf, ehe sie sich einen Ruck gibt. Genug gejammert. Lieber rattert sie im Mordstempo die Positiv-Daten von Seifhennersdorf herunter. Dass die Gewerbesteuereinnahmen ganz okay seien, die Stadt einen ausgeglichenen Haushalt habe, ein paar Traditionsfirmen den Sprung in den "real existierenden Kapitalismus" geschafft hätten.
"Ich bin wirklich alles, aber bestimmt nicht unglücklich"
Berndt:"Die Fallschirmproduktion in Seifhennersdorf, die Firma Specon existiert noch. Bechstein! Bechstein! Klaviere und Flügel. Das is nen Vorzeigebetrieb. Das is weltweit nen Aushängeschild für Seifhennersdorf."
Matthias König: "Sie sehen hier oben, da steht 'Arbeitsstation 13'. Innentechnik vorregulieren. Die Damen, die hier stehen, geben die Mechaniken ein; die Bestandteile, die dazugehören."
Klingt arbeitsintensiv. Ist es auch. 250 Arbeitsstationen durchläuft ein Bechstein-Klavier bis es ausgeliefert wird, ein Flügel sogar 300.
"Es gab Flügel, die einfach in Pink oder in ganz Gold oder Silber hergestellt worden sind",
freut sich Klavierbauer Matthias König, ein zupackender Typ, der seit zwei Jahren die Geschicke der Pianofabrik leitet.
König: "Ich bin wirklich alles, aber bestimmt nicht unglücklich."
Natürlich hat auch König schon von der ominösen Umfrage gehört. Er verdreht die Augen. Schlechte Publicity, das kann jemand wie er, der Luxus verkauft, nicht gebrauchen.
Einige sind richtig böse über den Bericht
König:"Ich habe das gehört. Ich selbst nehme das überhaupt nicht so wahr. Und meine Kollegen auch nicht. Einige sind richtig böse über den Bericht. Natürlich gibt es, egal an welchen Ort man lebt und wofür man sich entscheidet, große Vorteile und gelegentlich auch Dinge, die man einfach mitnehmen muss. Hier ist es so, dass die Natur ne große Rolle spielt und dass leider die Arbeitsplätze nicht so dicht gesät sind."
Nach Feierabend setzt sich König gerne in seinen Sportwagen, ein bayrisches Modell, um die Gegend zu erkunden. Schnell mal nach Zittau oder Görlitz; rüber auf die tschechische Seite. Erst gestern war er mit ein paar Kollegen direkt hinter der Grenze bei einer Privatbrauerei. Essen, Trinken, gepflegte Atmosphäre – alles für unter zehn Euro. Das Wochenende pendelt er zu seiner Frau nach Niedersachsen. Seifhennersdorf selbst – das ist für ihn Arbeit.
König: "In erster Linie hat sich die Firma Bechstein natürlich für diesen Standort entschieden, weil hier seit 1900 Instrumentenbau-Tradition am Ort vorhanden ist. Seifhennersdorf ist ja eine kleine Industriestadt, um nicht zu sagen, ein Industriedorf gewesen. Im Prinzip bis zur Wende. Bechstein hat hier eine eingearbeitete Mannschaft vorgefunden."
Aktuell zählt die Mannschaft 150 Mitarbeiter, darunter 14 Lehrlinge. Wer sich nicht gerade blöde anstellt oder die Betriebskasse mitgehen lässt, meint König lachend, wird übernommen. Ein Glücksfall in einer strukturschwachen Region wie der Oberlausitz. Für alle Beteiligten: Die Azubis haben eine Perspektive. Und Werksleiter König fittes Personal, das dem Kunden jeden noch so ausgefallenen Wunsch erfüllt.
König: "In Russland oder auch in Asien, speziell in China, sind sehr verspielte Designs wirklich in und angesagt. Teuer ist da einfach Pflicht. Wir haben gerade letzte Woche einen Flügel geliefert: Das ist ein kleiner Konzertflügel in einer Sterling-Edition. Da sind alle Metallteile in massivem Sterling-Silber hergestellt. Dieses Instrument liegt bei 200.000 Euro."
Manuela Knorr: "Benni! Na, komm ma! Benniiiiii!"
200.000 Euro für einen Flügel. Da kann Benni nur mit den Ohren schlackern, den großen.
Jeden duzen, kommt gar nicht gut an
Knorr: "Da drüben. Die Herren, die da stehen, das is praktisch ne Trekking-Gruppe. Das sind alles Herren."
Benni und Co., die Lamas von Manuela Knorr.
Knorr:"Das is zurzeit mal wieder… Jetzt im Winter knabbern se uns den Zaun an. Und da … Also jetzte! Da kriegt se dann auch mal geschimpft. Das muss dann auch mal sein."
Seit 2009 betreibt die gebürtige Thüringerin ihren Lama-Hof samt Gaststätte und Gästezimmern. Ist einiges zusammen gekommen. Nicht nur diverse Lamas und Trampeltiere, sondern auch Ziegen, zwei Hunde – und Jakob und Willi, ein vermeintlich schwules Papageienpärchen. Bis Manuela durch Zufall herausfand, dass Willi in Wirklichkeit eine sie ist. Der Name aber bleibt. Mit Konventionen hat es Manuela nicht so.
Knorr:"Mir Sonneberger, sind da schon ganz anders: Mir sind für alles offen. Mir gehen drauf zu. Mir gehen einfach auf die Leute drauf zu. Da hat i natürlich hier in Seifhennersdorf ganz viele Startschwierigkeiten, weil: Wir sagen nitt bei jedem Sie, sondern wir sagen gleich Du."
Kam nicht so gut an, schon gar nicht bei der lokalen Sparkasse, die ihr erst nach langem Hin und Her einen Kredit gewährte.
Knorr:"Es ist nicht ganz einfach, sich selbstständig zu machen. Es ist wirklich a hartes Brot. Weil man hat Ideen, man sprüht vor Ideen. Alles! Aber diese umzusetzen hier, is nedd ganz so einfach."
Ansprüche zurückschrauben – wenn man das nicht kann, ist man unglücklich
Gut einhunderttausend Euro hat Manuela investiert, das meiste für das Schmuckstück ihres Hofs, das 200 Jahre alte Umgebinde-Haus. Die Türen, der Holzfußboden, unten das Esszimmer und die Küche, die jetzt eine Gaststätte sind: Alles liebevoll renoviert. Ganz schön viel Arbeit. Für sie und Gunter.
Gunter Knorr: "Gunter Knorr. Ich bin der Mitstreiter von dieser verrückten Frau."
Manuela Knorr: "Verrückten Frau?!" (beide lachen)
Gunter hat nicht nur denselben Humor wie die Angetraute, sondern auch dieselbe Lebensphilosophie: Weniger ist manchmal mehr.
Gunter Knorr: "Man muss auch mit weniger unter Umständen mal zufrieden sein. Man muss och seine Ansprüche zurückschrauben können. So! Und wenn man das natürlich nich kann, dann is man unglücklich."
Wie etliche andere in Seifhennersdorf, die bei der Umfrage der Sächsischen Zeitung dafür sorgten, dass ihr Heimatort in Sachsen am schlechtesten abschnitt beim Glücksroulette.
Gunter Knorr: "Was is für uns Glück? Nen Dach übern Kopf."
Manuela Knorr: "Nen Kühlschrank voll."
Gunter Knorr: "Nen Kühlschrank voll. Genau."
Manuela Knorr: "Ach ja, eigentlich: Dass man noch was machen kann; dass man Gäste hat, die och sich freuen, dass man so was macht. Das es einfach halt so weiter geht."
Defizite bei der Mobilität
"Wenn man Familie hat. Die Familie noch zusammen is. Wenn man auch Freunde hat",
ergänzt Thomas Clemens, Spitzname Clemi. Clemi ist mit Manuela und Gunter befreundet. Meist treffen sie sich zusammen mit ein paar anderen Freunden am Wochenende zum Kartenspielen. Oder einfach nur um zu reden - vorzugsweise über das, was in Seifhennersdorf so abgeht. Den Clinch zwischen der Bürgermeisterin und der Ratsmehrheit, die Sache mit den Schulrebellen, ob das alte heruntergekommene DDR-Kino mitten in der Innenstadt wirklich einem Parkplatz weichen soll. Clemi und Co. engagieren sich, so weit es geht.
Clemens: "Engagieren is schwierig geworden. Gut, im Ort ist man noch mobil, aber mir fehlt die Mobilität woanders hinzukommen. Bis vor fünf, sechs Jahren ging das alles noch, aber die Mobilität ist dann dahin auf dem Lande. Wie wollen sie von hier nach Dresden kommen? Schwierig."
Bis vor ein paar Jahren hatte Clemi noch ein eigenes Auto. Aber das geht jetzt nicht mehr, seitdem er im Rollstuhl sitzt. Muskelschwund. Vor einiger Zeit ist der gelernte Finanzbuchhalter in Frührente gegangen. Zwangsweise.
Clemens: "Wenn man dann versucht, irgendwas in Anspruch zu nehmen und dann den Klageweg schreitet, kommt man ja irgendwann einmal in die Residenzhauptstadt, nach Dresden, weil da ja die großen Gerichte sitzen. Dann kriegt man schon mitgeteilt: Wenn sie Mobilität wünschen, dann ziehen sie doch in die Großstadt."
Auch der Apotheker expandiert
Anders als bei den Bus- und Zugverbindungen müssen sie in Seifhennersdorf im Gesundheitsbereich noch keine Riesenabstriche machen. Es gibt eine Ärztin und eine Neurologin. Und seit gut 150 Jahren die Marien-Apotheke.
Hendrik Wintzen: "Es liegen die Augentropfen neben dem Hustensaft. Und der Blutdrucktablette. Alles nach Alphabet geordnet und sortiert."
Hendrik Wintzen mag es korrekt. Seit mehr als zehn Jahren leitet er die Marien-Apotheke. Als er anfing, hatte er fünf Mitarbeiter, heute zehn.
Wintzen: "Mir sind expandiert."
Dass das so ist, hat nicht nur mit der überbordenden Bürokratie zu tun. Viele Patienten schätzen, dass Wintzen im Labor, der sogenannten Rezeptur, noch eigene Mittel herstellt.
Wintzen:"Hier haben se also die Substanzen. Wenn man zum Beispiel ne Salbe herstellt."
Sonderlich lukrativ ist das nicht, dafür aber ein Alleinstellungsmerkmal. Geld verdient Wintzen mit anderen Sachen: mit Blutdruckmedikamenten, Lifestylemittelchen für schönere Haut, Anti-Depressiva.
Wintzen:"Die neurologischen Krankheiten haben in den letzten Jahren auch unheimlich zugenommen. Das is einfach so. Auch hier in Seifhennersdorf und Umgebung. Das is auch ne Sache, die sehr viel Fingerspitzengefühl erfordert. Man muss genau entscheiden: Wo hört die Selbstmedikation auf, wann muss man wirklich die Patienten zum Arzt schicken."
Es kommen durchaus auch wieder Weggezogene zurück
Wintzen hebt unmerklich die Augenbrauen. Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht. Natürlich seien die wenigsten in Seifhennersdorf depressiv, schiebt er hinterher, ehe er schnellen Schrittes die Treppe runterläuft, vorbei an der Werbetafel für ein Spezialwaschmittel für Stützstrumpfhosen. Auch bei ihm in der Apotheke war die Glücksumfrage Thema. Selbst mitgemacht, nein, das habe er nicht, meint er. Aber mächtig aufgeregt habe er sich. Der Mann, der vier Jahre lang in Berlin an der Humboldt-Universität Pharmazie studierte um sich danach sicher zu sein, dass die Großstadt nicht seins ist, lässt sich auf den schwarzen Sessel in seinem Arbeitszimmer fallen. Alles nur negativ, das geht gar nicht. Seine Realität ist eine andere.
Wintzen: "Dass sich das wieder stabilisiert, dass auch wieder junge Leute wieder hierherziehen. Das is nich so, dass nur welche wegziehen. Es ziehen auch jetzt welche wieder zurück, die vor 15 Jahren mal weggegangen sind. Da muss man einfach optimistisch bleiben. Und wir versuchen, im Gesundheitswesen natürlich auch im Ort eine Infrastruktur beizubehalten beziehungsweise zu verbessern. Da hab ich mich also och in den letzten Jahren maßgeblich mit eingesetzt für."
Da ist er nicht der einzige hier. Für den Zusammenhalt im Ort setzt sich auch der Pfarrer ein. In allen Lebenslagen.
"Die erste Woche ging schon mit ner Beerdigung los."
André Rausendorf hat sich dadurch nicht abschrecken lassen, damals, anno 1992.
Rausendorf: "Sind wa halt geblieben – bis jetzt."
Eine Lebensbasis, die Halt gibt
Er und seine Frau. Schräg hinter der Kirche wohnen sie, wie es sich für eine Pfarrersfamilie gehört. Im Pfarrhaus, einem strahlend weißen Bau mit Riesengarten ringsherum. Wächst alles prima hier, sinniert der gebürtige Vogtländer. Seine Gemeinde weniger: 2000 Schäflein zählte die Schar einmal, heute ist es nur noch die Hälfte. Glücklich darüber sind die wenigsten.
Rausendorf: "Na, glücklich sein?! Ich könnte es mir jetzt ganz leicht machen. Wir hatten letztes Jahr die Jahreslosung: 'Gott nah zu sein ist mein Glück.' Ich denke schon, wenn ich ne Lebensbasis hab, die einem Halt gibt, auch in schwierigen Zeiten, das is schon ein glücklicher Umstand."
Nicht alle in Seifhennersdorf haben diesen Halt.
Rausendorf: "Es gibt ja auch objektiv einfach Dinge, die die Menschen traurig machen. Wenn Sie sehen, es gibt hier viele, die haben hier nen Eigenheim, nen schönes Umgebindehaus. Haben's für die nächste Generation sozusagen bereit gehalten und jetzt is die Jugend fort. Da sind die Leute traurig. Weil manche auch ihre Arbeit im Laufe der Jahre verloren haben. Das macht Menschen schon traurig und frustriert. Das is einfach eine Folge der wirtschaftlichen Entwicklungen, sicherlich auch der politischen Weichenstellungen, die getroffen worden sind. Und dort müsste eigentlich angesetzt werden."
Ein zänkisches Bergdorf? Na und?
In Berlin, in Dresden und auf kommunaler Ebene, in Seifhennersdorf. Es soll Leute im Ort geben, die den Pfarrer und die Bürgermeisterin mit Don Camillo und Pepone vergleichen. Sind ja auch ein ungleiches Paar. Er: bedächtig und zurückhaltend. Sie: zupackend und forsch. Er will dem Freistaat beim Schulstreit lieber entgegen kommen, sie um jeden Preis die Schule retten. Er ist diplomatisch, sie eine Kämpfernatur.
Rausendorf: "Ich muss mich da ja immer nen bisserl zurückhalten. Aber ich hab nich alles gut gefunden, was Seitens der Schulrebellen passiert is. Ich fand auch manche Reaktion drauf etwas überzogen. Ich musste nicht vermitteln, aber ich hab mich zurückgehalten."
Berndt: "Kommen se mal mit! Ich zeigen Ihnen das."
Sich zurückhalten, wie der Pfarrer, das war noch nie die Maxime der Bürgermeisterin.
Berndt: "Willst du was schaffen, tu's nicht ohne Rat. Doch vorwärtsbringt dich nur die frische Tat."
Heißt es an der Decke des Sitzungssaals im Rathaus. Hat der alte Fichtner, Karin Berndts Idol, dort anbringen lassen. Da schaut sie häufiger hoch, wenn sie sich mit der Ratsmehrheit zankt.
Berndt: "Zänkisches Bergdorf? Ja, ich empfinde das als keen Schimpfwort, wenn das fällt irgendwo. Ich bin so oder so selten beleidigt oder eingeschnappt. Zu zart besaitet tut och nicht gut. Ich denke, das hängt damit zusammen, weil die Region immer für ihr Überleben kämpfen musste. Und wenn man kämpfen muss, entsteht ja auch Streit."
Im hintersten Zipfel Sachsens. Ein letztes Mal spurtet Karin Berndt los. Zurück ins Büro. Der Wasserschaden ist zwar immer noch nicht behoben, dafür aber hat sich draußen der Nebel gelichtet. Schön ist es hier. Sanfte Hügel, eine liebliche Landschaft. Das Fachwerk. Passt eigentlich nicht zur unglücklichsten Stadt Sachsens. Und der Bürgermeisterin, der engagierten.
Berndt: "Ich möchte dieses Seifhennersdorf geschrumpft lebenswert und liebenswert an meine Nachfolger übergeben. Ich bin keine Vollstreckerin des Niedergangs."
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