Segen oder Sekte?

Von Ayala Goldmann · 14.12.2012
Die weltweite jüdische Organisation Chabad Lubawitsch ist auch hierzulande sehr aktiv - und nicht unumstritten: Ein Segen für die Juden, weil sie Traditionen pflegt, loben die einen. Eine machtbewusste orthodoxe Sekte, die Einfluss auf jüdische Gemeinden nimmt, sagen die Kritiker.
"Herzlich willkommen zu Chanukka 2012 am Brandenburger Tor!"

Am Brandenburger Tor fällt dichter Schnee. Es ist eiskalt. Doch das kann Yehuda Teichtal nicht erschüttern: Der Rabbiner der orthodoxen Chabad-Bewegung in Berlin steht kurz davor, das zweite Licht am riesigen Chanukkaleuchter zu entzünden. Zwar ist der Leuchter mit etwa fünf Metern längst nicht so hoch wie der hell erleuchtete Tannenbaum ein paar Dutzend Meter weiter. Doch dafür steht die Chanukkia direkt vor dem Brandenburger Tor, ein ideales Motiv für Kameras und Fotografen.

"Wir stehen heute Abend am Brandenburger Tor, um zu sagen, dass Judentum in Deutschland wird weiter wachsen und dauerhaft hier einen festen Ort haben!"

Der Amerikaner Yehuda Teichtal gehört zu den Tausenden von "Schlichim", Hebräisch für "Gesandte", die überall in der Welt für Chabad Lubawitsch aktiv sind. Und er ist einer der rührigsten. Diesmal ist Bundesbildungsministerin Annette Schavan zur Chanukkafeier am Brandenburg erschienen - ein schöner Erfolg für Teichtal, der sich vom Zentralrat der Juden finanzielle Unterstützung für sein Chabad-Rabbinerseminar in Berlin erhofft.

Schavan: "Alle guten Wünsche! Ein fröhliches Chanukkafest und Schalom!"

Teichtal: "Vielen, vielen Dank, sehr geehrte Ministerin! Wir haben einen Chanukkaleuchter aus Israel, den wollen wir Ihnen präsentieren als ein Zeichen von Licht und Hoffnung, vielen, vielen Dank für das heutige Dasein und für Ihre ganze Unterstützung. Wir segnen Sie mit Gottes Segen und Kraft!"

Schavan: ""Danke!"

Seit diesem Sommer ist Yehuda Teichtal offizieller Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin – der israelische Oberrabbiner Jonah Metzger, der Chabad sehr nahe steht, hat ihm bei einem Besuch in Berlin zu diesem Titel verholfen. Eine Abstimmung in der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde gab es darüber nicht. Albert Meyer, ehemaliger Gemeindevorsitzender, hat Teichtal früher in seiner Arbeit oft unterstützt.

Doch Meyer glaubt nicht, dass der Chabad-Rabbiner, der seit Jahren eine eigene Synagoge betreibt, sich nun an Weisungen der Gemeinde halten wird:

"Das ist ja in sich schizophren. Gucken Sie mal, er ist Gemeinderabbiner, und ich gönne ihm auch das gesamte Gehalt. Meinetwegen kann er auch noch mehr bekommen. Für seine Leistung wird er sogar unterbezahlt. Aber es kann doch nicht sein, dass ein Angestellter der Gemeinde ein Konkurrenzunternehmen parallel zur Gemeinde aufbaut. Das widerspricht sich doch."

Seitdem er in Berlin ist, hat Yehuda Teichtal immer betont, es gehe ihm nicht darum, das Judentum in Deutschland nach dem Bild von Chabad neu zu erschaffen:

"Ich sage ganz klar und deutlich: Wir sind nicht hier, um Menschen orthodox zu machen. Wir von Chabad machen keinen Unterschied zwischen orthodox und liberal. Das sind nur Etiketten, die keine Bedeutung haben. Wir gucken auf eine Sache: Ein Mensch ist ein Mensch. Und das ist alles. Und darum, unsere Programme sind offen und für alle geeignet. Wir sind wirklich offen mit dem ganzen Herzen für jeden."

Doch Albert Meyer sagt:

"Es ist eben eine weltweit operierende Organisation. Das habe ich nicht erkannt am Anfang. Und das muss man schon sagen, das ist eine Struktur, die auch politische Dimensionen hat."

Nicht aus eigenem Entschluss hat Yehuda Teichtal seine amerikanische Heimat verlassen – er versteht sich als Gesandter des "Rebben" Menachem Mendel Schneerson:

"Der Lubawitscher Rebbe, Rabbiner Menachem Schneerson, der mich und meine Frau nach Berlin geschickt hat, hat gesagt: Deutschland soll man nicht ignorieren!"

In jedem Chabad-Zentrum auf der Welt hängt am Eingang ein Bild des alten, weisen Mannes mit dem langen Bart. So auch im Jüdischen Bildungszentrum in Berlin-Wilmersdorf in der Münsterschen Straße. Yehuda Teichtal hat es vor fünfeinhalb Jahren gegründet. Menachem Mendel Schneerson war der letzte "Rebbe" und geistige Führer von Chabad Lubawitsch.1994 ist er in New York gestorben, im Alter von 92 Jahren. Nun wollen Teichtal und seine Mitarbeiter dem Platz vor dem Bildungszentrum in Menachem-Mendel-Schneerson-Platz umbenennen.

"Chabad" ist ein Akronym für die hebräischen Worte Chochma, Bina und Daat" -Weisheit, Einsicht und Wissen. Das klingt rational. Doch innerhalb der weltweiten Chabad-Bewegung gibt es einen messianischen Flügel. Aufschwung bekam er, als sich der Tod des "Rebben" ankündigte. Damals lief in Israel eine Chabad-Kampagne an unter dem Motto. "Bereitet Euch vor auf die Ankunft des Messias!"

Allgemein ist bei Chabad die Ansicht verbreitet, dass der Messias um so schneller kommen wird, je mehr Juden sich an die Gebote der Halacha halten –des jüdischen Religionsgesetzes. Die messianischen Chabad-Anhänger wissen aber sogar schon, wer der Messias sein wird: Nämlich der verstorbene Schneerson persönlich. Der Mainstream von Chabad dagegen bezeichnet Schneerson in offiziellen Stellungnahmen lediglich als wichtigen Gelehrten. Und Yehuda Teichtal hat immer wieder betont, mit Messianismus habe er nichts am Hut: Seit Jahren sei er in Berlin aktiv, und die Menschen, die mit ihm zu tun hätten, wüssten das auch.

"Chabad ist nicht ganz unumstritten. Natürlich ist das eine Sekte. Sekte ist nichts Abwertendes. Aber sehen Sie, man kann bestimmte Erscheinungen nicht aus der Welt schaffen, indem man sie leugnet","

meint der Historiker Julius Schoeps.

Und Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, sagt:

""Es gibt in der Tat den geflügelten Satz, Chabad sei eine Sekte, die dem Judentum am nächsten stünde. Er stammt nicht von mir, aber dennoch, glaube ich, ein Satz, der die Beschreibung recht treffend umfasst."

In Israel ist die Chabad-Bewegung viel größer und einflussreicher als in Deutschland. Dort mischen sich die Lubawitscher auch aktiv in die Politik ein und unterstützen durch ihre Präsenz jüdische Siedler in besetzen palästinensischen Gebieten. Mehrere Tausend Anhänger von Chabad leben in einem eigenen großen Dorf zwischen Jerusalem und Tel Aviv - Kfar Chabad. Fast an jeder Straßenecke hängt ein riesiges Plakat des "Rebben".

Den Kindergarten leitet die Erzieherin Chana Liss. Natürlich sei Schneerson der Messias, sagt die orthodoxe Jüdin:

"Wir alle sind Chabadniks, und wir alle glauben daran. Wir sind uns sicher. Wir haben überhaupt keinen Zweifel daran. Das ist die Erziehung, die wir bekommen haben. Noch von ihm selbst, vom Rabbi."

Tausende von Anhängern wollten zu Lebzeiten des "Rebben" in Brooklyn zu einer Audienz empfangen werden.

"Vor vielen Jahren gab es eine Zeit, als der Rebbe uns einzeln empfangen hat. Aber später sind so viele Leute gekommen, und es war so ein Andrang, dass daraus die Dollarverteilungen entstanden sind. Die Leute standen Schlange, bis sie an der Reihe waren und zum Rebbe gekommen sind, und er stand da und hatte eine Menge Dollarscheine in der Hand, und er hat jedem einen Dollar gegeben, und in dieser Zeit konnte jeder seine Bitte vortragen. Und dann sind die Leute weitergegangen. Und wir haben diese Dollars aufgehoben, bis heute!"

Auch Kindern wird in Chabad-Bildungseinrichtungen in Israel beigebracht, den verstorbenen Rebben als Messias zu verehren. Daniel, ein 12-jähriger Junge, über seine Erziehung in einer Chabad-Schule in der israelischen Küstenstadt Netanja:

"Messias, das heißt, dass die Erlösung bald kommt, in unseren Tagen nähert sich uns die Erlösung und der Rabbi ist schon auf dem Weg. Der Rabbi von Lubawitsch, das ist der Führer unserer Generation, und wir glauben, dass er lebt, und er führt uns immer an, und er gibt uns die Kraft, alles zu überwinden. Er wird noch in dieser Generation kommen."

In der jüdischen Traditionsschule in Berlin-Charlottenburg, die unter der Trägerschaft von Chabad steht, ist allerdings nichts von messianischen Tendenzen zu spüren. Der Unterricht ist komplett zweisprachig, und die Hebräisch-Kenntnisse der Schüler durchaus beeindruckend.

Jungen und Mädchen lernen gemeinsam die Tora, die fünf Bücher Mose. Allerdings sitzen sie in getrennten Reihen, und die Mädchen tragen Röcke. Auch die verheirateten Lehrerinnen sind traditionell gekleidet, mit der Perücke, wie sie bei ultra-orthodoxen Jüdinnen üblich ist. Und Rabbiner David Gewirz, Tora-Lehrer und Judaistik-Koordinator, trägt eine Kippa, ein schwarzes Sakko und einen langen Bart.

Die Juden in Berlin hätten ganz andere Sorgen als die Frage, wer der Messias ist, sagt Gewirz:

"Unsere Schule ist nicht nur für bestimmte Familien gedacht, die sich an die Gebote halten. Denn wenn es nur für uns wäre, würden wir nach Israel zurückgehen und unsere Kinder dort erziehen, so wie wir selbst aufgewachsen sind. Alle diese Themen, die Sie gerade angesprochen haben, sind in dieser Schule kein Thema. Wenn Sie die Kinder fragen würden, hätten die überhaupt keine Ahnung, worüber Sie gerade reden.

Wer weiß, in welcher Situation sich das Judentum in Berlin befindet, der weiß auch, dass es zur Stunde nicht darum geht, irgendwelche bestimmten Ideen einer bestimmten Strömung innerhalb des Judentums zu verbreiten, sondern einfach die Grundlagen der Tradition, die sehr vielen Menschen hier fehlen."

Ein wichtiges Anliegen der Orthodoxen ist dabei "Zniyut", hebräisch für "Züchtigkeit" oder "Anstand". Der Schwimmunterricht in der Jüdischen Traditionsschule findet nach Geschlechtern getrennt statt – aber Schwimmen steht nur bis zum Alter der Bar Mizwa, der religiösen Reife der Jungen, auf dem Stundenplan.

Allerdings schwimmen die Schülerinnen und Schüler in öffentlichen Bädern und sehen dabei auch Menschen des anderen Geschlechts in Badeanzügen – was in ultraorthodoxen Schulen in Israel oder den USA undenkbar wäre. Schulleiterin Heike Michalak:

"Unter den Chabad-Schulen sind wir verschrieen, weil wir keine Chabad-Schule sind, sondern nur unser Träger Chabad ist. In Deutschland ist das gar nicht so möglich, wie Chabad in anderen Ländern vielleicht agieren kann. Wir sind einfach ein Auffangbecken für all die Eltern, die ein bisschen mehr Tradition für ihre Kinder mögen."

Bei dieser Zielgruppe kommt Chabad gut an. Und wer in Berlin eine weniger orthodoxe jüdische Schule oder Kita sucht, kann seine Kinder in die Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde schicken. Doch seit einiger Zeit tauchen auch im Kindergarten der Gemeinde verstärkt Flugblätter und Plakate von Chabad auf.

Und nicht nur in Berlin befürchten Juden, Chabad wolle seinen Einfluss weiter ausbauen. Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, ist alarmiert:

"Sie wollen Parallelstrukturen aufbauen beziehungsweise Gemeinden regelrecht übernehmen, und insofern aus Einheitsgemeinden dann orthodoxe Gemeinden machen. Ich will überhaupt nicht in Frage stellen, dass Chabad in seiner seelsorgerischen Arbeit, Juden wieder mit ihrem Judentum in Verbindung zu bringen, eine gute, eine wichtige Aufgabe erfüllen. Die Frage ist nur: Wie weit lässt man sie diese Arbeit machen, wo werden Grenzen gezogen, hinsichtlich der Frage auch, wie man auch im Judentum zurück zum Fundamentalismus gehen kann."

Die Macht – und Verteilungskämpfe hinter den Kulissen der jüdischen Gemeinschaft sind heftig. Da mehrere Rabbiner von Chabad Lubwitsch Angestelle von Zentralratsgemeinden sind, können sie auch Anspruch auf Mittel aus dem Staatsvertrag erheben.

Kramer: "Wenn sozusagen Gemeinden in ihrer Existenz bedroht werden durch die Arbeit von Chabad, dann hört der Spaß auf. Und da hat der Zentralrat, auch seine Gremien, das Direktorium sehr deutlich gemacht, dass wir uns nicht kampflos ergeben werden."

Und was passiert in Gemeinden, in denen es nur einen einzigen Rabbiner gibt, einen Lubawitscher? Wie zum Beispiel in Ulm an der Donau, wo am 2. Dezember feierlich eine neue Synagoge eingeweiht wurde, in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck.

Susanne Jakubowski, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, betont:

"Also, grundsätzlich ist Ulm eine Zweigstelle der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg. Ich würde es eher als einen Zufall beschreiben, dass der Gemeinderabbiner in Ulm ein Lubawitscher ist. Aber er ist nicht in der Rolle eines Lubawitschers bei uns. Deshalb können wir auch nicht sagen, dass das ein Gemeindezentrum oder Synagoge von Chabad Lubawitsch ist."

Jakobowski gehört zum liberalen Flügel innerhalb der Württemberger Gemeinde. Sie ist stolz darauf, dass es vor einiger Zeit in Stuttgart eine Feier für ein junges Mädchen gab, das religionsmündig wurde. Auch für Ulm würde sie sich solche Veranstaltungen wünschen.

Eine Reifefeier für Mädchen ist in der Orthodoxie allerdings nicht üblich, sagt Schneor Trebnik, Chabad-Rabbiner in Ulm:

"Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg hat seit über 50 Jahren lang keine Bat Mizwa gefeiert. Und wir sind Teil der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, und wie gesagt, die Synagoge ist als orthodoxe Synagoge gebaut."

Und dann beginnt der erste Gottesdienst in dem neuen, prächtigen Haus mitten am Weinhof in Ulm. Etwa 50 Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sind gekommen – und mehrere Chabad-Rabbiner und ihre vielen Kinder. Rabbiner Trebnik bittet alle Frauen, den Saal zu verlassen und sich auf die Frauenempore zu begeben. Nur die Söhne dürfen bleiben und auf den Schultern ihrer Väter am Tanz mit der Torarolle teilnehmen.

Auch Yehuda Teichtal aus Berlin war Gast bei der Synagogeneinweihung in Ulm. Eine Woche später zündet er den Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor. Eine Aktion, die Jacques Schuster, Autor der Zeitung "Die Welt", bereits vor einiger Zeit zu einer Glosse veranlasst hat:

"Die Lubawitscher Bewegung ist die einzige Richtung im Judentum, die ein elftes Gebot kennt: Gehe an die Öffentlichkeit und stelle dich so in die Kamera, dass kein Anderer mehr ins Bild passt. Brauchen wir einen Chanukkaleuchter vor dem Brandenburger Tor? Was würden wir sagen, wenn die Kirche ein Kreuz auf dem Kurfürstendamm aufstellen würde, das so groß ist, als habe es King Kong persönlich in den Teer gerammt? Was täten wir, wenn die Muslime im Lustgarten einen blinkenden Halbmond installierten?"

Auch Albert Meyer, der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, neigt im Zusammenhang mit Chabad zu Sarkasmus:

"Nehmen Sie doch einfach den Briefkopf von Herrn Teichtal. Der Briefkopf zeigt nicht eine Synagoge oder die jüdische Klagemauer – er zeigt das Brandenburger Tor, die Stärke Preußens. Von hier aus will Herr Teichtal Deutschland übernehmen."

Das ist natürlich völlig übertrieben. Doch aus der Rhethorik des Chabad-Rabbiners am zweiten Chanukkaabend in Berlin könnten Kritiker durchaus einen Führungsanspruch für die jüdische Gemeinschaft heraushören:

Teichtal: "Sehr geehrte Damen und Herren, wir werden jetzt Berlin und ganz Deutschland erleuchten mit dem Licht von Chanukka!"
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