Seelsorge für Künstler

Fasziniert vom Bösen – und vom Guten

Gottesdienst in der St.-Hedwigs-Kathedrale, der katholischen Bischofskirche in Berlin
Innenraum der St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin © dpa / picture alliance / Andreas Schoelzel
Von Bernd Sobolla · 03.08.2014
Thomas Astan war Schauspieler und ein TV-Gesicht, das alle irgendwie kannten. Heute ist er katholischer Priester, ein Pater der Salesianer − und Künstlerseelsorger des Erzbistums Berlin.
Sonntagabend in der Kirche St. Thomas von Aquin in Berlin-Mitte. Der Gottesdienst, eingeleitet von der Sopranistin Elisabeth Renkl, ist kein gewöhnliche Messe, sondern ein "Künstlergottesdienst". Geleitet wird er von dem Ordenspriester Thomas Astan. Pater Astan, viele nennen ihn einfach nur Thomas, ist geradezu prädestiniert, diesen Gottesdienst zu leiten. Denn in seinem früheren Leben war er selbst Künstler, genauer gesagt Schauspieler, der zum Beispiel an Seite von Horst Tappert in der Krimiserie "Derrick" spielte.
Ausschnitt aus Derrick: "Besuch aus New York", 1979:
"Darf ich Ihnen meinen Ausweis... Sie finden darin auch meinen Waffenschein. Was sind Sie? Privatdetektiv? / Ja, Privatdetektiv. Sie sehen meine Adresse, die, meines Büros, und wenn es Ihnen Spaß macht, sage ich Ihnen auch meine Steuernummer. / Was machen Sie denn hier auf der Straße vor dem Haus? / Das haben Sie doch gesehen. Ich beobachte ein junges Mädchen."
Besonders gern spielte Thomas Astan dubiose Typen aller Art...
"... die irgendwo von dem normalen Wege abrutschen. Das ist ja viel interessanter als das Gute. Was wollen sie denn beim Guten noch spielen. Beim Bösen kommen halt Dinge zum Ausbruch. Ja, ich habe mich sehr wohl dabei gefühlt."
Geboren wird Thomas Astan im westfälischen Wormbach. Sein Vater stirbt früh an einer Kriegsverletzung, die Mutter muss sich um das familiäre Baugeschäft kümmern. Er besucht ein Internat, wo er intensiver mit der Kirche in Berührung kommt, was sich aber zunächst einmal negativ auswirkt:
"Dort habe ich natürlich so die ersten Schritte, die mir teilweise sehr zu viel waren, muss ich sagen: Achtmal am Tag in die Kirche gehen. Die Folge davon war, dass dann eine ziemliche Entfremdung kam."
Im Internat spielt Thomas Astan mit Begeisterung in der Theatergruppe. Und als er Hans-Jörg Felmy in einer "Hamlet"-Inszenierung sieht, steht für ihn fest, dass er Schauspieler werden will. Zwischen 1964 und 1968 studiert er Schauspiel und Germanistik in Salzburg und Wien sowie Philosophie in Berlin. Alles läuft prima: In den 70er-Jahren steht er regelmäßig vor der Kamera und spielt zugleich in Frankfurt, Wiesbaden, Münster und Berlin im Theater, wobei er auch selbst inszeniert.
Doch dann beginnt die Krisenzeit: Ein Intendant macht ihm das Leben schwer. Astan kündigt. Ein Aufenthalt bei Freunden in Italien beginnt vielversprechend: Aus einem Toscana-Schloss wollen sie gemeinsam einen Erholungsort und ein Kunstzentrum mit Theater machen. Doch in einer Nacht- und Nebelaktion wird das Anwesen verkauft. In dieser Zeit erkrankt ein Freund von ihm an Aids, und der Schauspieler denkt wieder mehr über Gott nach:
"Ich muss sagen, dazwischen lag auch immer so der Verlust des Glaubens. Ich habe sicher zehn Jahre glaubens- und kirchenfern gelebt. Und diesen Verlust habe ich schon als eine Entbehrung gefunden."
Als Thomas Astan dann mit Horst Tappert auf einer Theatertournee am Bodensee ist, um "Die 12 Geschworenen" zu spielen, gibt ihm ein befreundeter Präfekt, der seine Orientierungslosigkeit sieht, den entscheidenden Rat:
"'Hast du denn schon mal daran gedacht, einen Wechsel zu vollziehen?' Sage ich: 'Eigentlich nicht.' Sagt er: 'Es muss ja nicht bei uns sein. Aber in die Erziehung. Du hast immer Jugendgruppen gehabt, die du geführt hast.'"
In München erkundigt sich Thomas Astan bei den Salesianern, wie ein Einstieg aussehen könnte. Kein Zufall. Für Don Bosco, den Ordensgründer, galt das Theaterspielen als Erziehungsprinzip. Als sogenannter Aspirant inszeniert er im Berliner Don Bosco-Heim erfolgreich ein Theaterstück. Ein Professor der Salesianer lädt ihn ein, in Rom Theologie zu studieren. 1989 geht Thomas Astan in die Heilige Stadt; sieben Jahre später wird er zum katholischen Priester geweiht. Es folgen drei Jahre in der Missionsprokur in Bonn. Anschließend, 1999, zieht er nach Berlin, um dort den Aufbau der neuen Katholischen Akademie zu unterstützen. Wobei er einen Teil der Schauspielarbeit auch in sein geistliches Leben integriert:
Der Künstlerseelsorger Thomas Astan 1999
Thomas Astan© dpa / picture alliance / Manfred Hahn
"Sicherlich die Offenheit neuen Themen gegenüber ... Und vor allen Dingen in der Kirche, da ich mich immer über die Sprache vermitteln musste, auch am Theater, war das natürlich ein Hauptanliegen. Auch in der Theologie. Wie vermittle ich den Glauben? Denn die Sprache verändert sich immer."
Auf Anregung vieler Theaterleute ernennt ihn Kardinal Georg Sterzinsky bald zum Künstlerseelsorger des Bistums:
"Ich denke, Künstler nehmen die Realität fast alle anders wahr. Sie suchen doch eine andere Ausdrucksweise von dieser Realität und dass die teilweise ins Abstrakte geht. Und so sind sie um ein Vielfaches kritischer, dass sie kritisch an den Glauben herangehen und ihn ganz anders hinterfragen und ihn auch ganz anders leben."
Das heißt aber nicht, dass Thomas Astan in seinen Predigten eine Sprache benutzt, die sich eher an Intellektuelle wendet – im Gegenteil:
"Und die Weisheit des einfachen Volkes hat mehr mit einer Herzensbildung zu tun als die Theorien der intellektuellen Erkenntnis im Umgang miteinander. Wie viel Wahrheit und Weisheit enthalten unsere Volksmärchen? Und wie kurzlebig sind demgegenüber wissenschaftlich aufgeputzte Theorien, welche heute in aller Munde und morgen schon wieder vergessen sind?"
Insbesondere nach den Künstlergottesdiensten versucht er, die Inhalte in anschließenden Diskussionen zu vertiefen und einen Austausch zu fördern, der sich nicht allein auf die Kirche reduziert.
"Es kommen viele, die ähnlich wie ich, lange Zeit abstinent waren oder verwirrt waren. Da gehört mit dazu, dass wir nach dem Gottesdienst meistens zwei Stunden diskutieren, sprechen und zusätzlich jeden Monat eine Führung durch die Museen machen. Dass wir die Bilder dann halt analysieren und sie mit heutigen auch vergleichen. Und die Künstler bereit sind, das zu erklären. Oder sie bringen Bilder mit in die Kirche. Die Predigt ist dann eine Bildinterpretation."

Homepage des Erzbistums Berlin mit Informationen zur Künstlerseelsorge