Seefrauenlieder von der Küste

Von Gerhard Richter · 17.08.2012
Im Ostseeort Prerow arbeiteten die Einwohner früher als Fischer oder Seeleute. Die Erinnerung an diese Zeit ist noch lebendig. Vor allem, wenn der ortseigene Shanty-Chor singt - in einer für dieses Genre ganz ungewohnten Besetzung: mit Frauen.
"Mein Ururgroßvater ist auch noch als Steuermann zur See gefahren, und der musste die Seefahrt aber auf Wunsch meiner Ururgroßmutter aufgeben, weil ihr Vater und ihr Bruder beide auf See geblieben sind und sie ihren Mann nicht auch noch verlieren wollte. Und der hat dann hier in Prerow den Dampfer gefahren, im Prerowstrom-Bodden, dass die Leute vom Festland hier auf den Darß herkommen konnten."

Das waren die Anfänge des Tourismus auf dem Darß, der Halbinsel aus Strand, Kiefernwald und Wiesen an der Ostseeküste. Karin Malt, die Ururenkelin des Dampferkapitäns, betreibt mit ihrer Familie heute eine Pension. 100.000 Gäste kommen jedes Jahr nach Prerow, bringen Geld und bringen Arbeit. Nicht jeder der 28 "Stromer" hat da immer Zeit übrig zum Singen:

"Einige Mitglieder, die halt auch Gastronomie oder sowas machen, können nicht zu jedem Aufritt im Sommer mitkommen, weil es sich nicht machen lässt. Aber der Chor ist so stark geworden, dass wir auch einen guten Aufritt hinkriegen, wenn nicht 100 Prozent aller Mitglieder da sind."

Zum Auftritt heute - am Prerower Seemannskirchfest - sind 18 gekommen. Acht Frauen und zehn Männer. Alle im weißen Polohemd, die Frauen mit rotem Halstuch, die Männer mit dunkelblauem. Vor der Bühne sitzen schon 150 Zuhörer auf Plastestühlen und Bierbänken und sehen zu, wie der Chor die Bühne entert.

Die Sänger stellen sich in zwei Reihen hinter die Mikros. Gitarre und Bass werden eingestöpselt, Hanna Schliecker schnallt sich ihr Akkordeon um. Die 60-jährige Erzieherin hat bisher gesungen. Weil Not am Mann war, hat sie letztes Jahr den Platz an den Tasten übernommen:

"Ein Shanty-Chor, dazu gehört ein Akkordeon und 'ne Gitarre, und ganz ohne ist das nicht so schön, und dann hab' ich mich bereit erklärt, mit viel Mühen hab' ich mir das erarbeitet für dieses Jahr. Mir unterlaufen nach wie vor Fehler, aber das ist halt live, das ist halt so."

Vor der Bühne steht Peter Malt, mit Vollbart und Kapitänsbauch und dirigiert. Manchmal spielt er auch Gitarre. Der pensionierter Mathe-Lehrer und Hobbymusiker hat den Shanty-Chor quasi "vom Stapel gelassen". Er hat damals gezielt Einladungen verschickt, an die musikalischen Einwohner von Prerow:

"Und tatsächlich waren elf, zwölf, 13 Leute da. Einige, die ich auch nicht eingeladen hatte, die aber von Mund-zu-Mund-Propaganda dorthin gekommen sind. Ja, und da haben wir uns zusammengesetzt und seitdem arbeitet der Chor auch wirklich kontinuierlich."

Seit der Gründung 1999 hat der Chor 85 Lieder im Repertoire, 60 davon sind auf Kommando abrufbar. Es gibt eine Reihe von Solisten, Männer und Frauen, die die Romantik der Meere publikumswirksam rüberbringen. Peter Malt:

"Wir wollten von Anfang an Musik machen, bei der wir Spaß haben, wir wollten mit unserer Musik Spaß verbreiten und ich hatte den Hintergedanken, Mehrstimmigkeit mit reinzubringen."

Die traditionellen Shanties und Seemannslieder sind meist nur zweistimmig, aber weil die Frauen Alt und Sopran beisteuern, können "De Prerower Stromer" musikalisch hoch am Wind segeln. Drei, vier, fünfstimmig sind die Matrosenlieder, Volksweisen und Schlager teilweise arrangiert, oft in Plattdeutsch. Und die Frauenstimmen passen auch thematisch gut zu den angeblichen Seebärensongs, findet Karin Malt:

"Ich meine, die meisten Seemannslieder handeln ja gar nicht mal von der Arbeit auf See, sondern von den Frauen und Mädchen, die zu Hause warten, und diesen Part erfüllen wir im Chor."

50 Auftritte absolvieren "De Prerower Stromer" jedes Jahr. Mit ihrem Kleinbus mit der Verstärkeranlage fahren sie unter der Woche zu den nahegelegenen Kur- und Rehakliniken, und am Wochenende auf die Feste auf der Seebrücke, im Hafen oder an der Seemannskirche. Geprobt wird nur im Winter. Dann hat Peter Malt Zeit, in seinen 100 Liederbüchern zu stöbern:

" … und setz mich dann auch an Computer und versuche, die Lieder für unsern Chor ein bisschen umzuschreiben."

Im Schützenhaus wird geprobt - Evergreens oder selten gehörte Songs aus den Ländern rings um die Ostsee. Aus Litauen oder Schweden. Oder auch aus der eigenen Heimat. Wie das Darßlied:

"Von den Wellen rings umbrandet,
von den Stürmen überrannt,
liegt an Pommerns Ostseeküste,
meine Heimat Inselland!"

Ein Forstbeamter aus dem Nachbarort hat diesen Text geschrieben, Peter Malt hat ihn vertont. Jetzt ist das Lied auf einer der vier CDs, die der Chor schon aufgenommen hat, mit eigener Technik in langen eisigen Winternächten. Auf einer CD haben sie sogar Weihnachtslieder eingesungen, auf Seemannsart.

Die CDs verkaufen sie bei ihren Auftritten an die Gäste, als Andenken an Prerow und den Auftritt der "Stromer", der meist mit dem Ostseelied endet.