SED-Staat

"Sie können sich ja beschweren"

Blick in ein Wahllokal in Ost-Berlin während der Kommunalwahl am 7. Mai 1989.
Der Wahlzettel mit den Kandidaten der Einheitsliste, der Nationalen Front, wurde von den Wählern unverzüglich in die Wahlurne gesteckt. © picture-alliance / dpa / Roland Holschneider
Von Kirsten Heckmann-Janz  · 07.05.2014
98,85 Prozent der Wähler hätten für die Kandidaten der "Nationalen Front" gestimmt, verkündete Egon Krenz am 7. Mai 1989. Doch Oppositionelle zählten nach und prangerten die Wahlfälschung an.
"Es gab schon vorher die Versuche, die Wahlergebnisse zu überprüfen. Das hat aber nie so eine breite Form angenommen wie 1989 im Mai."
Frank Ebert. Er gehörte in der DDR zur Opposition und arbeitete als Drucker in der "Umweltbibliothek".
"Auch in der DDR gab es ja ein Wahlgesetz, das haben wir dann studiert und haben dann auf die Punkte geguckt, die für uns von Nutzen sein könnten, um den Wahlbetrug nachzuweisen. Einmal die öffentliche Bekanntmachung der Wahllokale und 'die Auszählung der Wahlergebnisse ist öffentlich'."
Evelyn Zupke war Ende der 1980er-Jahre im Weißenseer Friedenskreis aktiv. Bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 wollte die Gruppe Wahlbetrug nachweisen. Bei einem landesweiten Treffen der Friedenskreise, stellten sie fest, dass auch viele andere dieses Ziel hatten:
"Im Vorfeld der Wahl haben wir eine Veranstaltungsreihe durchgeführt, um eine Öffentlichkeit zu schaffen. Wir wollten es ganz bewusst von Anbeginn nicht konspirativ machen. Und das andere war, wir brauchten natürlich auch Leute. Wenn man in Weißensee − glaube ich − 68 Wahllokale hatte und wir sagen, in jedem Wahllokal drei oder vier Leute, dann kann man sich ausrechnen, wie viel 'Personal' in Anführungszeichen man gebraucht hat.
Ich selber war in Halle an dem Wochenende, wollte da auch an einer Auszählung teilnehmen, also ich habe mich da hin gesetzt und bin dann gleich des Raumes verwiesen worden, mit meiner damaligen Freundin und noch einem Freund zusammen. Wir haben uns natürlich beschwert, haben den Wahlleiter sprechen wollen, der kam sogar, und der hat dann gesagt 'Na, Sie können sich ja beschweren', was wir dann auch taten."
In Weißensee gelang es der Friedensgruppe und ihren etwa 200 Helfern, die Auszählung in fast allen Wahllokalen zu kontrollieren. In der Wohnung von Evelyn Zupke trugen sie die protokollierten Ergebnisse zusammen:
"Wenn ich mich recht erinnere, kamen wir so auf die 75 bis 80 Prozent Zustimmung zum Wahlvorschlag der Nationalen Front."
... der sogenannten Einheitsliste der SED und der SED-nahen Blockparteien und Massenorganisationen.
"Als wir unsere Ergebnisse hatten, sind wir dann hingefahren in die 'Kirche von Unten', wurden schon mit Hallo begrüßt, man hat schon auf uns gewartet, und dann war einerseits, dass wir alles zusammengetragen haben, dass fleißig gerechnet wurde, dass schon erste Erklärungen verfasst wurden, dass schon West-Journalisten anwesend waren, die dann auch schon Ergebnisse durchgegeben haben, und da war auch ein Fernseher und irgendwann kam dann Egon Krenz und hat dann in alter Manier und Selbstherrlichkeit dann das erste vorläufige Wahlergebnis verkündet. Und das haben wir dann mit entsprechenden, ja, von einem ganz breiten Spektrum an Gefühlen war das begleitet, Gejohle, Gepfeife, Lachen, wütend, schimpfend, einfach alles."
Das endgültige, das gefälschte Wahlergebnis verkündete Wahlleiter Egon Krenz später:
"Für die Wahlvorschläge der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik wurden 12.182.050 gültige Stimmen abgegeben. Das sind 98,85 Prozent.Gegen die Wahlvorschläge wurden 142.301 Stimmen abgegeben. Das sind 1,15 Prozent."
"Natürlich wuchs dann parallel zu diesem Ergebnis auch unser Frust. Wir hatten Strafanzeigen gestellt, wir hatten Eingaben geschrieben, wir haben im Prinzip das ganze System, was dieses Land hergegeben hat an Möglichkeiten, irgendwie sich zu wehren, ausgenutzt."
In den folgenden Monaten rief der Weißenseer Friedenskreis an jedem 7. um 17 Uhr zu Aktionen auf. Schließlich auch zu einem Treffen auf dem Alexanderplatz:
"Die Weißenseer hatten eine sehr gute Idee, die hatten weiße T-Shirts und hatten da jeweils einen Buchstaben darauf gemacht, wenn man sich zusammengestellt hätte, wäre rausgekommen 'Wahlbetrug'. Das hatte den Effekt, dass man jemand Einzelnem nicht nachweisen konnte, dass man Wahlbetrug vorwirft oder so. Wir haben uns dann getroffen am Alexanderplatz am Brunnen, sind dann in den Brunnen rein, weil es immer mehr Stasi war.
Ja, und dann ist es so geendet, dass wir mit äußerster Brutalität da rausgezerrt wurden. Also, ein Freund aus dem Friedenskreis, dem haben sie den Arm gebrochen. Eine alte Frau, die mit Krückstock dastand und gesagt hat zu einem Stasitypen: 'Jungchen, schämst du dich nicht.' Sowas kannte man nicht. Man hatte in den Cafés im Umfeld vorher gesagt: 'Hier wird heute ein Film gedreht, wundern Sie sich nicht.' Und jetzt war es schon eingebettet in andere Ereignisse, es kochte ja immer höher die Suppe in der DDR."
Insofern war die Aktionen gegen den Wahlbetrug vielleicht der Anfang vom Ende der DDR:
"Ich glaube, das ist inzwischen unbestritten, ja."
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