Sechstagerennen von Berlin

Frischer Wind und weniger Ballermann

Radsportler fahren am 19.01.2017 während des 106. Sechstagerennens im Velodrom in Berlin um die Wette.
Radsportler beim 106. Sechstagerennen im Velodrom in Berlin © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Von Sandro Schroeder · 29.01.2017
Das Sechstagerennen in der Hauptstadt heißt jetzt "Six Day Berlin". Die Veranstalter versprachen bei der 106. Ausgabe des Radsport-Klassikers in diesem Jahr einen Generationswechsel - mit weniger Ballermann-Feeling und  mehr internationalem Sport.
"Herzlich willkommen bei den Berliner Six Days ..."
Ein riesiger Video-Würfel hängt zum ersten Mal über der sichtbar abgenutzten Holzrennbahn. Die vier großen Bildschirme sollen das Renngeschehen leichter verfolgbar machen, kurze Videos erklären die Disziplinen. Der Neuanfang beim "Six Day Berlin" ist sogar hörbar: DJ Tomekk spielt die Musik. Das heißt, kein Frank Zander, kein ACDC und auch kein Sport-Palast-Walzer zum Mitpfeifen. Ein radikaler Bruch mit den Traditionen. Nicht allen gefällt das. Reaktionen aus dem Netz:
"Stimmung? Quasi nicht mehr vorhanden. Ihr seid gerade dabei, das gute, alte, traditionsreiche Sechstagerennen an die Wand zu fahren."
Der Schuldige ist für viele schnell ausgemacht: Der Lette Valts Miltovics. Der neue Chef des Rennens räumt immerhin ein, es mit der Musik vielleicht übertrieben zu haben. Aber er betont, man dürfe nicht das große Ganze aus dem Blick verlieren.

Die Sechstagefans sind kritisch

"Die meisten Sechstagerennen sind verschwunden, weil sie sich nie weiterentwickelt haben", sagt Miltovics. Sein Arbeitgeber, die Madison Sports Group, hat schon ein Rennen vor dem endgültigen Aus gerettet: In London hat sie das Six Day Rennen nach 35 Jahren Pause wiederbelebt.
In Berlin bleibt für Miltovics aber noch Einiges zu tun. Und das unter den kritischen Blicken der Berliner Radsportfans. Deren Herzblut hängt nämlich an Traditionen wie dem Sportpalast-Walzer.
Den hat Miltovics dann doch wieder ins Programm geholt, genauso die ACDC-Klassiker. Gunther Nimmich kommt wahrscheinlich trotzdem zum letzten Mal. Der 71-Jährige steht draußen, raucht eine zweite Zigarette:
"Und mir fehlt die Live-Musik. Es ist mir alles zu künstlich und mir so – äh - der Sport ist zum Glück geblieben, das ist wunderbar. Man spielt auch noch den Sportpalast-Walzer- Aber ansonsten finde ich es nicht mehr so schön wie früher."
Früher hat es auch schon Neuanfänge beim Rennen in der Hauptstadt gegeben. Nach der Wende wurde es erst 1997 wiederbelebt, wechselte 2013 das erste Mal den Besitzer und 2015 übernahm dann die britische Madison Sports Group. Für die neuen Inhaber gab es nicht nur Beifall. "Dollarzeichen in den Augen" der Verantwortlichen - wollen Kritiker gesehen haben.
"Halloooo Berlin – whoop, whoop - Jetzt kommen die Geisteskranken, jetzt kommen die, die Straßen in Berlin unsicher machen ..."

Frischer Wind mit "Rad Race"

Die "Geisteskranken" kommen vom "Rad Race". Eine selbstorganisierte Rennserie von Hobby-Athleten, die ihre Bahnräder auch im Alltag auf der Straße fahren. Beim "Rad Race" starten viele junge Frauen und Männer. Die würden hier locker als die Kinder vieler Zuschauer durchgehen - wenn nicht sogar als Enkel-Kinder.
"Wir sind bereit, der Countdown kann losgehen. 5,4,3,2,1 – Kick it!"
Noch dazu inszeniert sich die Truppe sehr gekonnt in den sozialen Medien. Kein Wunder, dass die neuen Six-Day Veranstalter den frischen Wind beim "Rad Race" suchen.
Nicht alles klappt perfekt bei der Premiere, drei Minuten nach Mitternacht. Egal. "Rad Race"-Mitgründer Ingo Engelhardt gibt sich selbstbewusst:
"Aber da ist natürlich auch musikmäßig und moderationstechnisch einfach auch ein harter Cut drin. Und auch der Übergang hat noch nicht so gut funktioniert. Ist einfach ein Lerneffekt. Aber die hatten 106 Jahre zum Lernen, wir hatten drei Minuten."
Der Lerneffekt vom kleinen Generationenwechsel rund um das "Rad Race"– der sollte auch den neuen Chefs vom "Six Day Berlin" Mut machen. Dann gibt's auch wieder mehr Beifall von den Rängen im Velodrom.
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