"Score" von Martin Burckhardt

Ein futuristischer Hightech-Politthriller

Blick aus dem alten Flughafen Tempelhof auf das Tempelhofer Feld
Blick aus dem alten Flughafen Tempelhof auf das Tempelhofer Feld: Hier steht in dem Roman "Score" die Konzernzentrale. © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Von Thomas Wörtche · 09.04.2015
Martin Burckhardt wagt in dem Roman "Score" einen düsteren Blick ins Jahr 2039. Es gibt eine ECO-Zone, in der computertechnisch optimierte Menschen leben. Gesteuert werden sie von einer Konzernzentrale aus, die auf dem Tempelhofer Feld steht. Alles scheint ökologisch und ethisch korrekt zu sein - doch das wahre Grauen verbirgt sich hinter der Fassade.
Die Welt im Jahr 2039. Auf dem heutigen Tempelhofer Feld steht die Zentrale von Nollet, einem globalen Game-Konzern, der auch die politische Steuerzentrale für die ECO-Zone ist. ECO bedeutet Enriched Cybernetic Organism und meint den IT-optimierten Menschen, der diese abgeschottete Zone bewohnt. Dort scheinen alle Menschheitsprobleme gelöst, alles ist öko und bio, genetisch risikolos, nachhaltig, vernünftig, die gender-Rollen sind längst aufgelöst. Die düsteren Seiten von homo sapiens sind durch Rollenspiele in den gesellschaftlichen Kreislauf eingebunden.
Wer möchte, kann sogar innerhalb eines entsprechenden Szenarios arbeiten, sich sexuell ausleben oder Thriller-artige Szenarien durchleben, die oft auf Hitchcock´schen Vorlagen beruhen. Ansonsten erledigen Bots und Routinen alle anfallenden Arbeiten der täglichen Reproduktion, Medi-Bots kümmern sich um die körperliche Gesundheit, Implantate sorgen für einen stetigen Datenfluss für alle denkbaren und undenkbaren Parameter des menschlichen Lebens.
Chaos, Krieg, Schmutz und Armut - aber nur außerhalb der ECO-Zone
Dieser Livestream eignet sich, weil gespeichert, zum Nacherleben aller mögliche Situationen, man kann ihn auch mit Freunden teilen. Er gilt als nicht manipulierbar. Geld gibt es nicht mehr, die Währung in der ECO-Zone ist der "Score": Eine Art virtuelles, dem Individuum gutgeschriebenes Punktekonto, bei dem soziale, ökonomische und soziale Werte zusammengedacht werden, die man sowohl aus "der Realität" als auch aus Game-Situationen sammelt, die man aber auch bei entsprechendem "Fehlverhalten" verlieren kann. Der Score gilt als absolut manipulationssicher. Mit anderen Worte: Die ECO-Zone ist eine benevolent-totalitäre Gesellschaft absoluter Kontrolle und Überwachung. Außerhalb der Zone herrschen auch 2039 noch Chaos, Krieg, Schmutz, Armut, natürliche Fortpflanzung, Seuchen, Hunger, Religionen und Ideologien. Schurkenstaaten und Warlords. Noch sind die Grenzen durchlässig, noch gibt es Strukturen, die dem ECO-System beitreten wollen. Aber hardliner innerhalb der Festung ECO möchten das mit allen Mitteln verhindern.
Deutscher Roman auf internationalem Niveau
Das ist das dystopische Szenario, das Martin Burckhardts futuristischer Hightech-Politthriller "Score" entwirft. Ein klassischer Held, zunächst Mitglied der Elite und Teil der "Social Design Planning Group", wird umkonditioniert, um als machiavellistisches Werkzeug einer bestimmten Interessengruppe zu dienen. Das ist spannend erzählt, aber noch spannender ist Burckhardts Vision eines "sanften" Totalitarismus', dessen sinnvollen einzelnen Elementen man sich zunächst rational nicht entziehen kann.
Und dann entkleidet der Autor sein utopisches Modell, bis es seine wahren Strukturen preisgibt: Die sind grauenhaft. Neben den Romanen von Nathan Larson ("2/14", "Boogie Man") und besonders Daniel Suarez´ SF/Polit-Thriller "Control" hat Burckhardt hier einen hochkomplexen, mit allen drängenden Fragen unserer Tage – Utopien und Dystopien sind immer Romane über die Gegenwart – beschäftigten deutschen Roman auf internationalem Niveau vorgelegt. Narrativ gebunden verlieren diese abstrakten Themen ihr Bleigewicht, sie erscheinen in "Score" ganz einfach als spannend.

Martin Burckhardt: Score
Knaus, München 2015
352 Seiten, 14,99 Euro

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