Science-Fiction-Krimi

Im Dienste der Entheiligung

Eine Mann steht am Pazifikstrand von Carmel in Kalifornien.
Zwar nicht Gondwana - aber am Pazifik-Strand © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Jörg Magenau · 20.06.2014
Im Pazifik-Paradies Gondwana erproben Vertreter verschiedener Religionen das friedliche Miteinander. Doch dann passiert ein Mord - und aufklären soll den ein religionsfeindlicher und ziemlich schräger Ermittler. Simon Urbans zweiter Roman ist vergnüglich und spannend. Der Text wird durch trashige Comics ergänzt.
Gondwana ist das Paradies. Jedenfalls ist es als Paradies konzipiert. Aber Paradiese sind erstens langweilig, zweitens von Verboten verdorben, und drittens – das ergibt sich aus eins und zwei – zieht jedes Paradies naturgemäß seinen Sündenfall nach sich. Gondwana, das titelgebende Paradies in Simon Urbans Science-Fiction-Kriminal-Comic-Trash-Geschichte ist eine Insel im Pazifik, auf der ausgewählte Vertreter verschiedener Konfessionen – Evangelen, Katholiken, Juden und Muslime – das friedliche Miteinander erproben. Das funktioniert auf der schlichten Basis, dass hier die Gesetze aller Religionen für alle gelten, inklusive Fleischverbot, Alkoholverbot und Ganzkörperverschleierung für Frauen, die auch im Bus ganz hinten sitzen müssen und sowieso nichts zu sagen haben. Dauerüberwachung gehört auch dazu, denn was wären Regeln, Gesetze und Verbote, wenn sie nicht eingehalten werden?
Da ist es also gar nicht so erstaunlich, dass in dieser weniger paradiesischen als diktatorischen und fast schon an Orwells Zukunftsstaat erinnernde Welt das Undenkbare geschieht: ein Mord. Als Ermittler, auserwählt, um die Sache möglichst unter den Teppich zu kehren, erscheint ausgerechnet ein auch für Ungläubige ziemlich unerträglicher, arroganter Religions- und Gottesverächter mit dem ausgefallenen Namen Platon Ahorn. Seine einzige Ermittlungsmethode besteht darin, die Gläubigen und ihre Götter zu schmähen, weil er der Überzeugung ist, dass die Religionen der Grund aller Weltübel sind und in der Geschichte der Menschheit nichts Gutes hervorgebracht haben. Doch auch wenn er recht haben sollte: Platter und dümmer und angeberischer als dieser Platon (der nur deshalb so heißt, weil seine Mutter bei der Zeugung Platoon sah, dann aber ein o vergaß) kann man nicht sein.
"Masochristen" und der "Allahwerteste"
Aber wer ist dieser Inspektor eigentlich? Bald schon verfällt er bizarren Visionen, machen sich merkwürdige schizophrene Phänomene bemerkbar, und je weiter man mit ihm versucht, den Fall zu entschlüsseln (der vielleicht gar keiner ist, denn die Leiche fehlt), umso mehr wird er sich selbst zum Rätsel und verfällt in Alkoholexzesse. Am Ende sind die Guten die Bösen, um dann aber doch wieder die Guten zu werden. Eine schöne blonde lustvolle Frau mit dem Namen Jane (skandinavisch auszusprechen, damit es nicht nach Tarzan klingt) übernimmt eine wichtige Rolle bei der Umwertung aller Werte, und wenn schon ideologisch auf- und abgeräumt wird, dass es eine Freude ist, dann überschreitet Simon Urban auch gleich die Grenzen der Sprache und wechselt das Medium: Ralph Niese hat schön trashige Comics beigesteuert, die an den entscheidenden Stellen den Text aufbrechen (der oft genug selbst ins Comic-hafte abdriftet, wenn es heißt "Schluck" oder "Ächz" oder wenn in den Gedanken der Protagonisten Sprechblasen über ihren Köpfen "aufpoppen".)
"Gondwana", Urbans zweiter Roman, schöpft aus der Lust am Trivialen, spielt gekonnt mit den Genres und ihren Gesetzen und vor allem mit der Sprache, die im Dienste der Entheiligung alles Heiligen lustvoll ausgebeutet wird. Vom "Masgottchen" über die "Masochristen" bis zu den Muslimen, denen in ihren "Allahwertesten" getreten wird, kriegt da jeder sein Fett ab. Das ist vergnüglich zu lesen, spannend ist es auch. Und auch wenn der religionsskeptische Impetus ein wenig abgedroschen wirkt, ist dieses als Splatter-Movie endende Machwerk allen Dogmenabhängigen durchaus zu empfehlen.

Simon Urban: Gondwana. Roman.
Mit Comics von Ralph Niese.
Schöffling & Co, Frankfurt/Main 2014
384 Seiten, 22,95 Euro

Mehr zum Thema