Schwur gegen militärisches Denken

Von Wolfgang Stenke · 20.10.2010
Als "verspätete Partei" haben Historiker die CDU bezeichnet. Denn erst auf dem Goslarer Parteitag vom 20. bis 22. Oktober 1950 gab die CDU sich die Struktur einer Bundespartei.
"Die öffentlichen Gebäude der alten Kaiserstadt hatten Fahnenschmuck angelegt, entlang der Straße vom Bahnhof zum Hotel 'Achtermann', dem Sitz des Parteibüros, flatterten an hohen Masten nicht nur die Fahnen der Bundesländer, sondern auch jene Berlins, der Länder der sowjetisch besetzten Zone und der Provinzen jenseits der Oder-Neiße."

Goslar am Rande des Harzes, unweit der Grenze zur sowjetischen Besatzungszone, war der Schauplatz des "ersten gesamtdeutschen CDU-Parteitages". 386 Delegierte drängten sich am Freitag, dem 20. Oktober 1950, im Traditionshotel Achtermann und im Odeon-Kino, um der Christlich Demokratischen Union Deutschlands erstmals ein Statut zu geben und einen ordentlich gewählten Vorstand. Motto über dem Podium auf der Bühne des Kino-Saals:

"Einigkeit und Recht und Freiheit."

Die CDU war zwar schon seit September 1949 Regierungspartei und stellte mit Konrad Adenauer den Kanzler, doch rechtlich hatte sie nur den Status einer Arbeitsgemeinschaft verschiedener Landesverbände: eine mühsam austarierte Verbindung von Katholiken und Protestanten unterschiedlicher regionaler und gesellschaftlicher Herkunft - von Arbeitnehmern über Wirtschaftsvertreter bis zu Vertriebenen. Erst im Mai 1950 hatte die von Adenauer dominierte Konferenz der CDU-Landesvorsitzenden die Gründung der "Christlich-Demokratischen Union als Gesamtpartei Deutschlands" beschlossen. Daraus eine schlagkräftige Organisation zu bilden, war das Gebot der Stunde. Denn kaum an der Macht, sank die Popularität Adenauers und seiner Partei. In Meinungsumfragen hieß es über Adenauer, er sei "zu unsozial", "zu alt" und "zu kirchenabhängig".

In dieser Situation wählte die CDU unter Adenauers Federführung sehr bewusst Goslar als Tagungsort. Die historisch bedeutende Stadt mit der Kaiserpfalz lag dicht an der Demarkationslinie zur SBZ - der "blutenden Wunde Deutschlands", wie es im Parteitagsprotokoll hieß. - Adenauer zu den Delegierten des ersten gesamtdeutschen CDU-Parteitags:

"Im Falle einer russischen Aggression wären wir das Opfer, das erste Opfer. Der Kalte Krieg wird mit aller Kraft gegen uns geführt. Die 5. Kolonne steht bei uns überall bereit."

In Goslar zog der Kanzler alle rhetorischen Register, um in diesen Tagen des Kalten Krieges, der in Korea auch ein heißer war, seine Christdemokraten gegen die kommunistische Gefahr in Stellung zu bringen.

"Ich wollte, meine Freunde, die Bewohner der Ostzone könnten einmal uns offen schildern, wie es bei ihnen aussieht. Unsere Leute würden hören und sehen, dass der Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo, durch Konzentrationslager ausgeübt hat, mäßig war gegenüber dem, was jetzt in der Ostzone geschieht."

Ein gewagter historischer Vergleich, 1950 offensichtlich mit Beifall aufgenommen. Nur wenige Minuten später, bei der Darstellung seiner Position zum Thema "Wiederbewaffnung", beschwor Adenauer in derselben Parteitagsrede die christdemokratische Ablehnung des preußisch-deutschen Militarismus in seiner nationalsozialistischen Extremform:

"Die Bundesregierung, der Bundestag und ich persönlich werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass das militaristische Denken, das seine schärfste Ausprägung in der nationalsozialistischen Zeit gefunden hat, unter keinen Umständen wiederkommt."

Die Delegierten wählten den Kanzler in Goslar mit 302 Stimmen zum Vorsitzenden der CDU. Sein Widersacher Jakob Kaiser erhielt bei der Wahl der beiden Stellvertreter allerdings zwei Stimmen mehr. Über die restlichen Vorstandsposten hatten nicht die Delegierten zu entscheiden, ihre Träger wurden unter Berücksichtigung des konfessionellen und regionalen Proporzes vom Bundesausschuss gewählt: 15 Katholiken, zehn Protestanten. Das Parteistatut, das zuvor von den Landesvorsitzenden beschlossen worden war, konnte der Parteitag nur noch billigen. Laut Protokoll erhoben die Delegierten sich zu diesem Zweck "mit großer Geschlossenheit und Einmütigkeit" von den Sitzen. Nicht eben ein Lehrstück in innerparteilicher Demokratie, wohl aber die offizielle Geburtsstunde einer Kanzlerpartei.