Schwulsein im Sozialismus

Von Michael Meyer · 24.04.2012
Homosexuelle wurden in der DDR nicht, wie anderswo, bestraft und ins Gefängnis gesteckt - einfach war der Alltag dennoch nicht. Dies beschreiben sechs Männer unterschiedlichen Alters aus ganz subjektivem Blickwinkel in dem Dokumentarfilm "Unter Männern - Schwul in der DDR".
"Ich wollte mich ja eigentlich auch nicht outen, und hatte mich ja eigentlich gewehrt, diesen Film zu machen, mitzumachen, weil mein Leben eigentlich vorbei ist in der Richtung, in meinem Alter und ich hatte nicht die Absicht in der Richtung was zu ändern. / Aber Du machst doch noch mit? / Na gut, vielleicht hilft das manchen anderen, aus meinen Dingen gewisse Lehren zu ziehen."

"Ich hätte es als großes Unglück empfunden, wenn ich aufgewacht wäre und auf einmal nicht schwul gewesen wäre. Au weia, wat hätte ick denn dann jemacht? Dit habe ick mir mal überlegt, stell dir mal vor, du wachst auf und bist nicht mehr schwul. Ich meine, passiert nicht, aber so ... Wat machstn denn? Ach nee, darauf habe ick keen Bock jehabt und ehrlich gesagt, da ist schwul perfekt."

Christian Schulz, 78 Jahre alt, und Frank Schäfer, 53 erinnern sich höchst unterschiedlich an ihre Zeit in der DDR. Schulz, aufgewachsen in noch deutlich repressiveren Zeiten, hatte lange mit seiner Homosexualität gehadert, ließ sich sogar erfolglos von einem Psychiater dagegen behandeln. Schäfer, den man auch den berühmtesten Friseur Ost-Berlins nennt, spielte hingegen humorvoll mit dem Staat und seinen Schergen – und ließ sich trotz einiger Rückschläge nicht unterkriegen. Selbst dann nicht, als er verhaftet wurde- und das oft. "Das galt als cool", sagt Schäfer im Film. Einmal wurde Schäfer wegen seines punkigen Outfits sogar von einem Polizisten vergewaltigt:

"Gott sei Dank war ich kein kleines armes Jüngelchen, ich wusste schon, wie man so was macht, dass es ganz schnell vorbeigeht und so war es dann auch. Heute würde man sagen, es war eine Vergewaltigung, aber ich habe ganz schnell mitgemacht, weil ich wollte leben bleiben, weil ich wusste nicht, wenn ich mich wehre, wenn ich jetzt wirklich irgendwas veranstalte, ob der mir die Zähen rausschlägt, ob der mir wirklich was tut."

Das Spannende an dem Film von Ringo Rösener und Markus Stein ist, dass er ein breites Kaleidoskop von Schicksalen aufzeigt, wie schwules Leben in der DDR ausgesehen hat. Helwin, in den 50er-Jahren aus Chile in die DDR gekommen, erlebte im Arbeiter- und Bauernstaat seine sexuelle Befreiung, wenn auch nur bei flüchtigem Sex auf Klappen, den öffentlichen Toiletten. Er spricht heute mit viel Humor darüber. John, 1968 geboren, versuchte in der thüringischen Provinz die Flucht, überlegt es sich im letzten Moment aber anders, weil er sonst seine große Liebe nicht mehr wiedersehen würde.

Eine der bekanntesten Figuren der DDR-Schwulenbewegung war Eddie Stapel, der in den verschiedenen Regionalstädten wie Rostock, Magdeburg oder Jena Schwulengruppen gründete und Versammlungen abhielt. Das rief auch die Stasi auf den Plan: Gleich eine ganze Reihe dicker Aktenordner legten die Spione über ihn an:

"Wir waren Staatsfeinde, das könnt ihr Euch heute nicht mehr vorstellen ... all diese Oppositionsgruppen waren Staatsfeinde und die mussten aufgeklärt werden und wenn möglich zersetzt, dass sie wieder auseinanderfallen."

Der Film von Markus Stein und Ringo Rösner erscheint in weiten Teilen wie eine Entdeckungsreise in eine untergegangene Welt – mit allen Höhen und Tiefen. Rösner, 1983 geboren, sagt das im Film auch so: Er wollte wissen, wie das schwule Leben in der DDR war – allerdings zeigt der Film hauptsächlich das Leben in Leipzig, Magdeburg und in der ostdeutschen Provinz. Das Berliner Publikum war nicht rundweg begeistert über den Film:

"Diese Fragestellungen die fand ich ziemlich pubertär. Gerade wenn es um Klappen geht, also jeder, der im Publikum saß, wusste, was auf Klappen passiert. / Also ich fand den total witzig den Film, die Wahl der Protagonisten war sehr interessant. / Es sind eben Lebensgeschichten von vier Personen, ich habe in der gleichen Zeit dort gelebt und ich habe anders und offen schwul gelebt, ich habe seit 82 offen schwul am Arbeitsplatz gelebt."

Klar ist: Ein solcher Film kann nur ein Ausschnitt dessen sein, wie das Leben damals gewesen sein muss. Regisseur Ringo Rösener sagt, dass sie absichtlich nicht nur die freiere Berliner Szene zeigen wollten, sondern auch das Leben in der ostdeutschen Provinz:

"Wir haben eine bestimmte Szene ausgelassen, die sich in der Schoppenstube, im Burgfrieden, Café am Senefelder Platz getroffen hat, die haben das Bermuda-Dreieck genannt und das ist ja in der Erinnerung auch immer sehr farbig gefärbt. Wir haben ja auch Sachen nicht erzählt. Aber letztendlich war der Fokus auf den Männern, die wir hatten. Vielleicht ist das dann der Punkt, um zu sagen, vielleicht hätten wir den Film anders nennen müssen."
Und dennoch zeichnet der Film von Ringo Rösener und Markus Stein ein aufschlussreiches Bild schwulen Lebens in der DDR, bunt, vielfältig, aber durchaus mit vielen Repressionen behaftet. Das Erstaunliche ist, dass das Leben offenbar in den ersten Jahren der DDR gar nicht so schwer war, denn die Schwulen wurden anfangs noch ignoriert. Erst in den 70er- und 80er-Jahren richtete der Staat seinen Blick stärker auf die Homosexuellen – doch in dem Punkt ging es den Schwulen nicht anders, als vielen anderen Unangepassten in der DDR.

Service:
Nach Berlin hat "Unter Männern - Schwul in der DDR" in dieser Woche in weiteren Städten Premiere, unter anderem in Leipzig und Dresden. Ab Donnerstag ist der Film regulär in den Kinos.

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