Schwimmende Handtaschen

Von Andreas Stummer · 14.02.2011
Seit den 80er-Jahren haben sich die Krokodil-Bestände Nordaustraliens mehr als verdoppelt. Früher nannte man sie "lebende Handtaschen" - und nur tote Krokodile waren gute Krokodile. Doch heute ist Artenschutz auch ein Geschäft.
Der Adelaide-Fluss im tropischen Norden Australiens, etwa 100 Kilometer südlich von Darwin. Vorbei an ausladenden Mangrovenbäumen und dichtem Regenwald tuckert die "River Queen" bedächtig durch das trüb-braune Wasser. An Bord des kleinen, überdachten Ausflugsbootes umklammern Touristen mit der einen Hand schussbereite Videokameras und mit der anderen die rostige Reling. Denn Tourführer Frank hat versprochen: Nirgendwo in der Gegend gibt es mehr Krokodile.

Frank hat recht gehabt. Hinter der nächsten Flussbiegung dösen am schlammigen Ufer zwei Krokodile faul in der Nachmittagssonne. Zwei Prachtkerle, mindestens vier Meter lang, das Maul halb geöffnet. Frank drosselt den Motor. Doch gestört durch das Maschinengeräusch gleiten die Krokodile in Sekunden-schnelle ins Wasser, umkreisen wie leblos dahintreibende Baumstämme einmal das Boot mit den Touristen und tauchen unter.

"Ich hatte eigentlich so das Gefühl: "Hier hast du einen wahren König vor dir. Nach dem Motto: "Ich hab´ keine Feinde mehr – außer ´n Mensch." Ich möchte dem Tier nicht in freier Natur oder Wildbahn begegnen – weil du hast keine Chance ..."

Wer sich an Krokodile nur herantraut, wenn sie – sicher – hinter Maschendraht und in eingezäunten Freigehegen sind, der braucht auf dem Weg zurück nach Darwin nur im "Crocodylus Park" haltzumachen. Das Gelände ist Tierpark, Forschungsstation und Krokodilfarm in einem. Ein geteerter Weg windet sich zwischen eigens angelegten Tümpeln und mit Holzbaracken überdachten Bassins. In den oft braunen, stinkenden Wasserlöchern leben mehr als tausend Krokodile – von frisch geschlüpften, nur etwa 30 Zentimeter langen bis hin zu ausgewachsenen Fünf-Meter-Ungetümen. Hier werden Krokodile gezüchtet, ihr Verhalten studiert und die Tiere Besuchern nähergebracht.

Der Park wurde 1994 von Graham Webb gegründet, dem Paten der australischen Krokodilindustrie. Nicht weil "Crocodylus" ein Familienbetrieb ist, sondern weil er ein wenig aussieht wie Marlon Brando: leichte Hängebacken, graues, nach hinten gekämmtes Haar, massige Figur. Webb hat Rheuma. Bei einem Rundgang durch den Park stützt er sich immer wieder auf einen selbst geschnitzten Spazierstock.

Webb weiß alles über Australiens Salzwasser-Krokodile. Sie sind die Dinosaurier unter den Reptilien und haben sich in mehr als 200 Millionen Jahren ihrer Umwelt perfekt angepasst. Doch es brauchte nur ein paar Jahrzehnte, um sie beinahe auszurotten. Seit den 40er-Jahren wurden die Krokodile Nordaustraliens gnadenlos gejagt: um Wasserstellen für Rinderherden zu sichern und wegen ihrer wertvollen Haut. Graham Webb zeigt mit seinem Stock durch den Zaun auf ein Vier-Meter-Krokodil mit aufgerissenem Maul und fügt noch hinzu: oft auch aus Furcht.

"In alten Schauergeschichten waren die Krokodile immer der Erzfeind: "Werft ihn den Krokodilen zum Fraß vor"! Sie sind perfekt designte Fressmaschinen: Sie lauern im Wasser, tauchen ab, schwimmen unsichtbar an ihre Opfer heran und: "Zack" – schnappen sie zu."

Graham Webb bleibt vor einem Becken voller Baby-Krokodile stehen. Er erinnert sich gut an das Jahr 1971: Vielleicht ein-, zweitausend Tiere waren damals noch übrig - Australiens Salzwasser-Krokodil wurde unter Artenschutz gestellt, der Export von Krokodil-Produkten verboten. Trotzdem ging das Töten und der lukrative Handel mit Häuten und Fleisch weiter.

"Die Krokodile waren damals im Norden Australiens so gut wie verschwunden. Es wurden keine Tiere mehr gesehen. Es waren vielleicht noch 500 erwachsene Krokodile übrig. Der Rest waren Jungtiere, gerade erst ausgeschlüpft oder höchstens ein Jahr alt. Es sah nicht gut aus für die Krokodile."

Um den blühenden Schwarzmarkt zu unterbinden, konterte die Regierung mit einem radikalen Plan: Nicht tote, sondern lebende Krokodile sollten – ganz legal - das große Geld bringen. Die Überlegung war: Was Profit abwirft, wird auch nicht ausgerottet. Zusammen mit kommerziellen Krokodil-Farmen wurden Prämien für die Eier der Tiere ausgesetzt. 40 australische Dollar pro Ei, umgerechnet etwa 30 Euro. Die Eier-Prämie war ein voller Erfolg.

"Es hat uns alle überrascht, wie schnell sich die Krokodilbestände wieder erholt haben. Es waren zwar kleinere Tiere – aber nach nur zehn Jahren wurden bereits wieder an die 25.000 Krokodile gezählt."

Dazu wurden auf den Farmen so viele Tiere für den Auslandsmarkt gezüchtet, dass die Internationale Artenschutz-Konferenz 1986 Australiens Krokodile nunmehr als "gefährdet" einstufte. Unter strengen Auflagen war der Handel mit Krokodil-Erzeugnissen aus Farmbetrieb wieder erlaubt. Und statt, wie früher, ausgewachsene Tiere abzuschießen, begannen immer mehr Wilderer lieber ihre Nester zu plündern.

Adam Britton ist ein professioneller Eierdieb. Am Rand des Finniss-Sumpfes in der Nähe von Darwin watet er - einen Leinensack auf dem Rücken - und bewaffnet mit einem mannshohen Holzstock durch das knietiefe Brackwasser. Sein Ziel: Ein Krokodil-Nest im Schilf, das er vom Hubschrauber aus entdeckt hat.

"Sümpfe wie dieser sind der beste Lebensraum für Krokodile. Hier finden sie immer etwas zu fressen und hier können sie ungestört ihre Nester bauen. Nur die stärksten Krokodile behaupten sich hier. Die kleineren und schwächeren Tiere werden von den größeren umgebracht oder vertrieben. Sie müssen sich flussauf- oder –abwärts ihren eigenen Platz erkämpfen."

Breitkrempiger Schlapphut, Dreitagesbart und eine abgegriffene Ledertasche voller Landkarten: Adam Britton erinnert ein wenig an Indiana Jones – nur, dass er keinen verlorenen Schätzen, sondern Krokodilen hinterherjagt. Den 38-jährigen Zoologen hält es nie lange hinterm Schreibtisch, lieber macht er sich in den Sümpfen rund um Darwin die Hände schmutzig. Aus Neugier und weil es sich lohnt. Diesmal hat Adam Glück. Das Muttertier ist nirgendwo zu sehen, das Nest ist verlassen. Und voller Eier.

Die Zeit drängt. Adam packt gut zwei Dutzend faustgroße, kalkweiße Krokodil-Eier ein, dann macht er sich schleunigst Richtung Ufer davon. Den Stock, mit dem er sich oft fünf, sechs Meter lange aggressive Krokodil-Weibchen vom Leib halten muss, den braucht Adam heute nicht. Lohn der Angst: 800 Euro. Und die Gewissheit, dass der Beutezug dem Fortbestehen der Krokodile nicht schadet.

"Die Krokodile in diesen Eiern würden hier nicht lange überleben. Frisch geschlüpft sind sie leichte Beute für jedes Tier im Umkreis. Wir können deshalb alle Eier in diesem Sumpf mitnehmen, ohne dadurch den Bestand zu gefährden."

Die Eier bringt Adam auf eine Krokodilfarm, sind die Tiere drei Jahre alt werden sie geschlachtet. Nur die Augen und die Zunge bleiben übrig. Der Panzer und die Innereien werden für den chinesischen Naturmedizin-Markt exportiert, die Knochen zu Seife und Reinigungsmittel. Aber vor allem dank des wertvollen Leders und der schmackhaften, eiweißreichen Steaks ist für Krokodil-Farmerin Ann Palmer jedes Tier mehr als 300 Euro wert.

"Wir verarbeiten hier auch das Fleisch – etwa 70 Prozent davon exportieren wir nach Asien. Die besten Salzwasser-Krokodile werden in Europa zu Hermes-Handtaschen verarbeitet. Das Hauptprodukt auf unserer Farm sind die Häute."

Im Norden des Landes gibt es 15 Krokodil-Farmen, die zusammen etwa 50.000 Tiere halten. Graham Webb betreibt eine der größten. Er ist stolz darauf, dass die einheimische Krokodil-Industrie jährlich etwa 60.000 Kilo Fleisch und 14.000 Häute produziert – und sich die Zahl frei lebender Krokodile wieder auf den Stand wie vor 40, 45 Jahren erholt hat.

"Die Menschen Nordaustraliens haben etwas weltweit sehr Seltenes erreicht. Sie haben ein vom Aussterben bedrohtes Raubtier wieder in jeden Sumpf und Fluss ihrer Gegend zurückgebracht. Weil sich dieser Artenschutz für sie lohnt. Jetzt macht man das überall, aber Ende der 70er hat man uns als Natur-Vandalen beschimpft. Doch unser Erfolg spricht für sich."

Die Behörden schätzen, dass heute wieder mehr als 80.000 Krokodile in den Flussläufen, Sümpfen und Wasserlöchern Nordaustraliens leben. So viele, dass sich Menschen und Krokodile im Norden des Landes immer häufiger in die Quere kommen. Oft mit tödlichen Folgen.

Ohne Genehmigung ist es nach dem Artenschutz-Abkommen in Australien streng verboten, Krokodile in freier Wildbahn zu fangen oder zu töten. Doch wenn es nach den Behörden in Nordaustralien geht, dann ist die Schonzeit für die größten Krokodile abgelaufen. Künftig soll es Großwildjägern erlaubt sein eine begrenzte Anzahl von Tieren schießen zu dürfen. Internationale Trophäensammler sind bereit für die Jagd auf ein sieben, acht Meter langes Salzwasser-Krokodil umgerechnet bis zu 25.000 Euro zu zahlen. Dazu kämen Kosten für Unterbringung, Betreuung und Verpflegung – meist in kleinen Aborigine-Dörfern. Die Jäger würden ein wenig Wohlstand in Gegenden bringen, die bisher nur von der Wohlfahrt gelebt haben.

Arnhem Land an der Nordspitze Australiens: 560 Kilometer östlich von Darwin liegt das Arafura-Sumpfland, eine unberührte Wildnis so groß wie das Stadtgebiet von Köln. Mangroven, Morast, trübe Flussläufe und brackige Tümpel - nirgendwo in Australien gibt es mehr Krokodile. Wally Yolk nennt sie "schwimmende Eidechsen". Sein massiger Bierbauch und das "Trau keinem über 40"-T-Shirt täuschen: Der Aborigine vom Stamm der Pinjarra jagt Krokodile, seit er ein kleiner Junge ist. Wally hofft, dass die Behörden die geplanten Safaris erlauben. Denn zusammen mit den Trophäen-Jägern kämen für viele arbeitslose Aborigines auch gut bezahlte Jobs als ortskundige Führer in die Gegend.

"Das wäre sehr wichtig für uns. Ein solches Einkommen würde nicht nur Geld bedeuten, sondern auch vielen Hoffnung geben. Diese Safaris wären ein Schritt nach vorne und würden die Zukunft unserer Kinder verändern."

Was Wally meint wird deutlich, wenn man nach Raminginning kommt, die größte Siedlung am Arafura-Sumpf. Am Ortseingang stapeln sich verrostete Autowracks, halb bekleidete Kinder spielen mit leeren Plastikflaschen, die Eltern sitzen unter den Vordächern ihrer verwahrlosten Häuser. 800 Menschen leben in Raminginning. In Verhältnissen, die eine Schande sind. Das Einzige, das hier draußen vom Nichtstun ablenkt, das ist die Jagd auf Krokodile.

Ein Drei-Meter-Blechboot mit Tuckermotor, ein greller Suchscheinwerfer und besenstiellange Holzstöcke mit Stahlschlingen daran – mehr brauchen Wally und seine Crew nicht. Sie wissen, wo die größten Krokodile zu finden – und vor allem: wie sie zu fangen sind.

Zweimal im Monat fährt Wally nachts in den Sumpf und sucht mit dem Scheinwerfer das hohe Schilfgras ab. Wenn das Licht von einem Paar gelblich funkelnder Krokodilaugen reflektiert wird, lässt er das Boot vorsichtig an das Tier herangleiten. Wenn es ihm gelingt, die Drahtschlinge um das Maul des Krokodils herumzulegen und zuzuziehen, sitzt es in der Falle.

Das Fleisch eines ausgewachsenen Krokodils kann eine zehnköpfige Aborigine-Familie für Wochen ernähren. Das ist gesünder und billiger als die tiefgefrorenen Rindersteaks im Kramerladen. Solange die Zahl der Tiere, die gejagt werden sollen, begrenzt ist - und sie human getötet werden - solange hat niemand in Raminginning etwas gegen Krokodil-Safaris. Schon gar nicht, wenn die Tourgruppen im Ort untergebracht und von einheimischen Aborigines geführt werden.

Doch der Vorschlag "Kopfprämien für tote Krokodile" hat Naturpark-Behörden und Artenschützer gespalten. Nicole Beynon vom australischen Tierschutzverein ist empört: Profit sei keine Rechtfertigung, sagt sie. Das Wohl eines Tieres – auch eines Krokodils - käme immer vor finanziellem Gewinn.

"Hier geht es um den großen, weißen Trophäenjäger, der aus Deutschland oder den USA einfliegt, um zu seinem Vergnügen australische Tiere abzuknallen – nicht für Nahrung, sondern aus Lust am Töten. Dieser grausame Sport hat hier nichts verloren. Vor nicht allzu langer Zeit waren die Krokodile vom Aussterben bedroht, weil sie gejagt wurden. Die Bestände haben sich nur wieder erholt, weil sie geschützt waren."

Tierschützer wie Nicole Beynon kann Krokodil-Farmer Graham Webb nicht ausstehen. Die säßen nur in Sydney in voll klimatisierten Büros und hielten Vorträge darüber, was Leute wie er zu tun und zu lassen hätten. Webb kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Nach dem Artenschutz-Abkommen für bedrohte Tierarten, kurz CITES, können Tiere nur gehandelt werden, wenn es das Überleben der Art nicht gefährdet. Die Behörden in Nord-Australien wollen vorerst jährlich nur 100 Tiere zur Trophäen-Jagd freigeben. Für Graham Webb ist das keine Verletzung der internationalen Richtlinien.

"CITES hat ähnliche Programme in der Vergangenheit schon öfter unterstützt. Man sieht das eher als ein Plus für den Artenschutz und nicht als ein Minus. Wenn Landbesitzer viel Geld für den Abschuss von sehr wenigen Tieren bekommen können – dann wäre das ein optimale Situation."

Derzeit liegt der Vorschlag auf dem Tisch des australischen Umweltministers in Canberra. Ohne seine Zustimmung wird es keine Krokodil-Safaris geben. Bisher hat die Regierung ähnliche Anliegen abgelehnt: Australien sei kein Freigehege für Schießwütige. Aber selbst bei der Naturparkverwaltung hofft man auf eine Ausnahmegenehmigung. Vorausgesetzt die Krokodiljagden wären streng reguliert und kontrolliert. Niemand möchte Tierquälereien sehen. Doch die Öko-Tourismus-Branche ist skeptisch. Seit Jahrzehnten wird der fast menschenleere Norden Australiens als einer der letzten unberührten Flecken Erde vermarktet.

Die "River Queen" schleppt sich behäbig auf dem Adelaide-Fluss um eine Biegung. Vogelschwärme trocknen am Flussufer ihr Gefieder, ein Krokodil lümmelt faul auf einer Sandbank. Hunderttausende kommen jedes Jahr nach Nordaustralien, um Tiere in der Wildnis zu erleben und Krokodil-Beobachtungsfahrten sind ein Millionengeschäft. Sollte aber bald Großwildjagd auf Krokodile gemacht werden, dann fürchtet Tour-Unternehmerin Averil Jones, die Besitzerin der "River Queen", dass viele Touristen wegbleiben.

"Zweifellos würde das Australiens Ruf als ökologisch verantwortungsvolles und tierfreundliches Reiseziel ruinieren. Ich glaube, der Öko-Tourismus und Touren, auf denen unsere Tierwelt nicht zu Schaden kommt oder in ihrer Umgebung ge-stört wird, sind langfristig um vieles mehr wert."

"Vorsicht Krokodile !" An Flussläufen, vor Sümpfen und Wasserlöchern stehen überall Warnschilder. Seit den 80er-Jahren haben sich die Krokodil-Bestände Nordaustraliens mehr als verdoppelt. Früher nannte man sie "lebende Handtaschen" - und nur tote Krokodile waren gute Krokodile. Doch heute ist Artenschutz auch ein Geschäft. "Krokodile sind keine knuddeligen Koalas", meint Züchter Graham Webb. Wären sie nicht bares Geld wert, dann würde wohl kaum jemand Australiens ältesten Raubtieren eine Krokodilsträne nachweinen.