Schwester, den iPod bitte!

Von Stephanie Kowalewski · 24.10.2011
Mit kleinen Multimediaplayern kann man nicht nur Musik hören und Videos anschauen - neuerdings lassen sich mit ihrer Hilfe auch Hüft- und Kniegelenksprothesen einsetzen. Eine Kölner Klinik hat in einem weltweit einzigartigen Pilotversuch den iPod im OP getestet.
Auf dem Operationstisch des Städtischen Klinikums Köln-Mehrheim liegt eine 75-jährige Frau, die wegen großer Schmerzen im rechten Knie kaum noch laufen konnte. Deshalb wird ihr der Chirurg Holger Bäthis in der kommenden Stunde eine Knieprothese einsetzen. Jede seiner Handbewegungen wird ab jetzt von einer Infrarotkamera beobachtet, die etwa zwei Meter vom Operationstisch entfernt steht.

"Jetzt haben wir im Prinzip das Kniegelenk eröffnet, ganz normale Operationsschritte durchgeführt."

An bestimmten Stellen des nun frei liegenden Kniegelenkes bringt der Operateur noch kleine Kugeln an, Antennen, die der Kamera als Orientierungspunkte dienen.

"Und nun messen wir das Kniegelenk für den Computer ein. Das Ganze beginnt mit einer Hüft-Dreh-Bewegung und anschließend taste ich mit einem Pointer gewisse Punkte im Kniegelenk ab."

Der Pointer ist eine Art Taststab, der wiederum in einem speziellen Gehäuse steckt, in das ein handelsüblicher iPod eingelegt ist, erklärt der Operationsassistent.

"Und dann gibt es verschiedene Aufsätze, die man auf dieses Gehäuse draufsteckt, für die verschiedenen Abschnitte der Operation. Die auch wieder Referenzpunkte, Referenzkügelchen haben, die vom Navigationssystem erkannt werden, dass das System weiß, mit welchem Gerät wir gerade arbeiten."

So steht die Kamera in ständigem Kontakt mit dem steril verpackten Medialayer. Alle Daten, die die Kamera und der iPod per Funk liefern, werden von einem Computer, der im Fuß der Kamera versteckt ist, in sekundenschnelle analysiert. Das Navigationssystem berechnet unter anderem, wo genau die Schnitte im Knochen der Patientin erfolgen müssen und wie die einzelnen Prothesenteile optimal sitzen.

"Und da muss man sagen, da ist halt ein Computer als Rechenmaschine dem Menschen überlegen."

Die Software in dem Computer ist vergleichbar mit denen der großen Navigationssysteme. Sie wurde aber von einem führenden Hersteller von OP-Navigationssystemen um eine spezielle Applikation für das kleine Mulimediagerät erweitert, auf dem Holger Bäthis nun die aktuellen Berechnungen angezeigt werden.
"Auf dem iPod bekommen wir die genauen Positionsdaten geliefert, aber wir bedienen auch den ganzen Computer über diesen iPod, also sprich über dieses Bedienfeld."

Nach nur wenigen Augenblicken ist das Kniegelenk vermessen. Schneller, als es mit den bisherigen kühlschrankgroßen Systemen geht, die wesentlich mehr Details abfragen. Details, sagt Holger Bäthis, die aber bei der praktischen Arbeit nicht notwendig sind. Das, was die Navigation über den mobilen Minicomputer liefere, sei ausreichend und ebenso präzise wie die Werte der großen Systeme.

"Und ich habe den iPod direkt vor meinen Augen im Sichtfeld, muss mich jetzt nicht noch woanders hinwenden, um die Werte abzulesen. Das ist wirklich sehr angenehm in der Anwendung. Einmal auf 'speichern' drücken, oben die Diskette."

Dann geht's richtig los. Teile der Ober- und Unterschenkel werden entstprechend den berechneten Werten abgesägt, Löcher gebohrt und, und, und. Computergestützte Navigationssysteme sind in der Chirurgie zwar keine Neuheit mehr, dennoch haben sich die recht großen und vor allem teuren Systeme im Klinikalltag noch nicht durchgesetzt, sagt Christoph von Schulze Pellengahr, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik in Bochum.

"Ich glaube, dass vielleicht 50 Prozent der Kliniken solch ein Gerät irgendwo im Haus stehen haben, dass aber vielleicht nur fünf bis zehn Prozent der Operationen tatsächlich insgesamt in Deutschland mit diesen Geräten durchgeführt werden."

Zwar sehen die meisten Mediziner den Vorteil der computergestützten Navigation im OP, doch lässt sich damit kein Geld verdienen. Denn die Krankenkassen zahlen einen festen Betrag für das Einsetzten einer Knieprothese – ganz gleich ob mit oder ohne teure Computertechnik. Der kleine Mediaplayer könnte eine preisgünstige Alternative sein, hofft Holger Bäthis, denn es ist kein teures Medizintechnikprodukt, sondern ein herkömmlicher Konsumartikel, den es überall zu kaufen gibt, der aber alles bietet, was man im OP so braucht.

"Der iPod hat wirklich einen sehr, sehr guten Rechner schon drin, von den Außenmaßen ist er sehr klein, er ist überall glatt, hat keine großen Oberflächen, er hat einen guten Akku und er kann halt per Funk Verbindung mit anderen Computern aufnehmen. Und das sind eigentlich genau diese Vorausetzungen, um sowas mit Computertechnik, die wir sonst schon haben, zu verbinden."

Inzwischen ist die Operation recht weit fortgeschritten.

"Jetzt haben wir die Probeprothese eingebracht und nun überprüfen wir die Beinachse und auch die Lage der Prothese noch einmal. Und wie uns der iPod jetzt hier anzeigt, haben wir die neutrale Beinachse erreicht und das ist auch genau das Ziel, was wir wollten. Insofern ein sehr schönes Ergebnis."

Holger Bäthis war an der Entwicklung des neuen Navigationssystems beteiligt. Im Rahmen einer Pilotphase hat er bereits gut 40 Hüft- und Knieprothesen damit eingesetzt.

"Wirklich negative Sachen können wir eigentlich auch gar nicht finden. Es funktioniert alles sehr gut und Nachteile, vor allem Nachteile für den Patienten, sehen wir in der Technik momentan nicht."
Seit kurzem ist die iPod-Navigation im OP offiziell zugelassen. Die Funkverbindungen sind übrigens kein Problem. Die modernene Opartionsgeräte sind quasi immun gegen die Funkwellen. Christoph von Schulze Pellengahr hat es sich vor ein paar Tagen während einer Operation vorführen lassen und ist angetan.

"Das Interessante ist, dass man das goße Navigationssystem nicht mehr braucht, sondern das Ganze ganz klein im iPod verpackt ist. Das Ganze ist etwas handlicher geworden und vielleicht dann auch in der Anwendung etwas einfacher. Und ich glaube auch, dass der Computer, in welcher Form auch immer, in Zukunft mehr Einzug im OP halten wird. Ich sehe jetzt gegenüber dem klassischen Gerät keinen wirklichen Nachteil. Ich denke, wir werden es mal ausprobieren."
Im OP-Saal in Köln-Mehrheim hat Holger Bäthis der Patientin inzwischen das künstliche Knie fest eingesetzt und ist zufrieden mit seiner Arbeit und auch mit der des Minicomputers in seiner Hand.

Mit dem gleichen Multimediagerät, mit dem sich der Arzt gerade durch das Knie der Patientin navigiert hat, könnte er nun nach getan Arbeit auch seine Lieblingsmusik hören.