Schwerpunkt

    Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts

    Von Winfried Sträter  · 01.01.2014
    Der Krieg: das ist in der kollektiven Erinnerung der Deutschen der Zweite Weltkrieg. Die Leichen- und die Trümmerberge dieses Krieges haben den Blick auf die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts verstellt. Doch die Aufarbeitung der letzten und größten Katastrophe ist so weit gediehen, dass unser Blick nun weiter reicht.
    Die Intensität, mit der die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" 2014 (auf dem Buchmarkt schon seit Sommer 2013) thematisiert wird, zeugt von dem Bedürfnis zu verstehen, wie 1914 alles angefangen hat. Obwohl der amerikanische Bürgerkrieg bereits die Zerstörungskraft moderner Waffen offenbart hatte, war die Vorstellungswelt der europäischen Politiker - und der meisten Zeitgenossen - 1914 noch geprägt von vormodernen Kriegsbildern: Infanterie, Kavallerie, Feldzüge, Schlachtpläne und Entscheidungsschlachten - ein Ende nach überschaubarer Zeit. Vor diesem Hintergrund ist erklärbar, was Christopher Clark in seinem Buch "Die Schlafwandler" meisterhaft beschreibt: dass die verantwortlichen Politiker der Großmächte den Krieg leichtfertig in ihr machtpolitisches Kalkül einbezogen.
    Trotzdem ist für uns heute die Kriegsbegeisterung, die 1914 Künstler und Intellektuelle erfasste, schwer nachvollziehbar. Erlebte doch die damalige Welt gerade eine atemberaubende wissenschaftlich-technische, nicht zuletzt kommunikationstechnische Revolution. Die Menschheit rückte enger zusammen als je zuvor - zeitnahe Kommunikation rund um den Globus wurde möglich, ein intellektueller, künstlerischer Austausch ohne Beispiel war über Landesgrenzen und Kontinente hinweg in Gang gekommen. Wie war es möglich, dass in diesem faszinierenden ersten Stadium der Globalisierung der große Krieg geradezu als Befreiung von unerträglicher Spannung empfunden wurde?
    Das Verhängnis des Jahres 1914 ist eines der großen Themen dieses Jahres - zumal, wie Christopher Clark treffend analysiert, die heutige politische Weltlage vergleichbar unübersichtlich ist wie vor hundert Jahren. Deutschlandradio Kultur wird in den kommenden Monaten auf vielen Sendestrecken und in sehr verschiedener Form das Thema aufgreifen.