Schweizer Freiheitskampf auf badischer Bühne

Von Bernhard Doppler · 13.07.2013
Bad Wildbad zeigt alles, was Rossini zu "Guillaume Tell" komponiert hatte. Das Ergebnis ist zwar lang, aber sowohl musikhistorisch interessant als auch unterhaltsam. Auch wenn es unmöglich ist, eine pompöse Oper in der ehemaligen Trinkhalle effektvoll aufzuführen.
An seiner letzten Oper "Guillaume Tell" , uraufgeführt 1829 in Paris, hatte Gioachino Rossini im Vergleich zu seinen schnellen Kompositionsweise sonst recht lange gearbeitet, fast zwei Jahre. Immer wieder war er auf Umbesetzungen oder Wünsche des Balletts bei dieser aufwendigen Produktion eingegangen und hatte dem Theater neue Vorschläge angeboten. Dafür hatte er sich ein sehr hohes Honorar gesichert: eine Leibrente von 7.000 Pfund auf Lebenszeit. Nach "Guillaume Tell" hat Rossini dann in den folgenden 39 Jahren auch keine weitere Oper mehr komponiert. Zur Kur war der Frührenter auch einmal in Bad Wildbad im Schwarzwald.

Dort wird nun der "gesamte Tell" gezeigt, alles also was Rossini zu dieser Oper über den Schweizer Freiheitskampf komponiert hatte. Wenn es allerdings nur Varianten der offensichtlich gleichen Szene sind, werden sie aber erst am Ende des Wildbader Festivals konzertant vorgeführt werden; doch die szenische Wildbader Fassung dauert - Pausen inklusive - immer noch siebeneinhalb Stunden. Das ist nicht nur musikhistorisch interessant, sondern macht durchaus Spaß. Rossinis Theater-Musik kann nämlich süchtig machen, man ermüdet nie, höchstens, dass einige musikalisch schlichte Ballette etwas redundant sind.

Eine pompöse "grand opera" in der zum Theatersaal umgebauten Trinkhalle in einem kleinen Kurort effektvoll aufzuführen, scheint allerdings ein aussichtsloses Unterfangen. Intendant Jürgen Schönleber, der diese Produktion schon seit Jahren ins Auge gefasst hat, behilft sich mit manchmal mehr, manchmal weniger einleuchtenden Aktualisierungen, mit denen er einzelne Szenen pointiert. In den Griff bekommt er das große Panorama, das die Oper aufmacht; nicht.

Warum fuchteln die Aufständischen mit einem Schweizer Banksparbuch beim Rütlischwur? Was bedeutet die die Toilettenskulptur, an die Tells Sohn beim Apfelschuss gebunden wird? Auch das nur sechsköpfige Ballett ist wohl etwas überfordert. Unter den Augen der sadistischen Besatzungsmacht muss es "Volkstänze" vorführen. In der Tat korrespondiert ja Rossinis heitere Musik mit der Brutalität der Situation. (Die brutalen Vergewaltigungsszenen in "Clockwork Orange" hat Stan Kubrick immer gerade mit Musik aus "Guillaume Tell" unterlegt.)

Doch an den musikalischen Leistungen kann man sich zweifellos schadlos halten. Es ist Intendant Schönlebers Verdienst, aus Wildbad - das Festival feiert 2013 sein 25jähriges Bestehen - ein Zentrum der Plege der Oper des Belcanto, also der Oper aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemacht zu haben.

Viele junge Stimmen hat er für Wildbad entdeckt, die mit Leidenschaft agieren, so auch hier, insbesondere der beeindruckende Tenor Michael Spyres als Arnoldo. Tell - jugendlich, ein warmer Bariton: Andrew Forster Williams - ist zwar Revolutionsführer, aber nur eine von vielen größeren Rollen. Und mit Antonio Fogliani hat Schönleber zudem einen musikalischen Leiter gefunden, der mit dem aus dem tschechischen Brno stammenden Orchester, den Pulsschlag von Rossinis Musiks genussvoll zu Gehör bringt.

Wie in Wildbad gewohnt, flankierte die große Opernaufführung eine Operausgrabung, Adolphe Adams "Die Almhütte" - eine komische Oper, auch in den Schweizer Bergen spielend - , im 19. Jahrhundert sehr oft, im 20. Jahrhundert erst einmal aufgeführt und viel kürzer als "Guillaume Tell" statt nach siebeneinhalb Stunden war dieser etwas harmlos, aber ebenfalls genussvoll musizierte Opernabend schon nach 70 Minuten zu Ende.