Schwedischer Vexierspiegel

29.05.2009
In seinem literarischen Debüt spielt Jonas Karlsson in "Als der Zufall sich zwischen die Stühle setzte" mit Perspektiven und erzählt ein Puzzle aus nicht ganz alltäglichen Erfahrungen. In postmoderner Manier setzt sich der Autor über Leseerwartungen hinweg und dreht verwirrend an literarischen Spielregeln.
Jonas Karlsson, Jahrgang ’71, ist so was wie der schwedische Moritz Bleibtreu. In Skandinavien sehr bekannt als Theater-, Film- und Fernsehschauspieler, über die Grenzen seiner Heimat hinaus ist er ein tendenziell unbeschriebenes Blatt. Immerhin hat es sein literarisches Debüt nun auf den deutschen Markt geschafft: Der kleine feine Fahrenheit Verlag hat seinen vor zwei Jahren erschienenen Erstling herausgegeben – und damit einen bemerkenswerten Griff getan.

Dieses Buch ist kein Roman, ist auch nicht als solcher betitelt. In Schweden ist das Buch sogar dezidiert als novellsamling, also Erzählband herausgekommen – und so könnte man es auch lesen: als ein paar Beobachtungen, Ereignisse, Geschichtchen, die der Autor zusammengestellt hat, um damit von der großen Tiefe der kleinen Begebenheiten zu erzählen.

Da ist Pär, der Theaterkritiker, der ein einziges Mal in seinem Leben eine Premiere vor dem Schluss verlässt. Er will sich lieber mit seiner neuen Freundin treffen als im Theatersessel zu hocken, und die libidinösen Energien in ihm siegen über sein journalistisches Verantwortungsbewusstsein. Die Kritik, die er schreibt, wird mäßig - doch es dauert nicht lang, bis er merkt, dass er einen fatalen Fehler gemacht hat.

Oder da ist die junge Mutter, die anfängt ihren Mann zu hassen, weil er jede ihrer Handlungen – ob das Einlegen von CDs, das Wickeln des Kindes, selbst das Brote schmieren am Morgen – kommentieren muss. Erst am Schluss kommt sie darauf, wieso er diese Marotte an den Tag legt: Es liegt an seinem Beruf, er ist Sportreporter.

Der Theaterkritiker und seine Fehlentscheidung, die Mutter mit Tunnelblick oder auch die geplatzten Verabredungen und verpassten Gelegenheiten, von denen das Buch wiederholt erzählt – all das sind fein- und hintersinnige Kurzgeschichten, die für sich stehen können. Verwirrend ist nur, dass die Protagonisten der einzelnen Geschichten auch in weiteren Episoden auftauchen. So wenig es einen eindeutigen Helden gibt, so deutlich gibt es eine Handvoll Figuren, die durch die knappen Erzählungen flottieren.

Der Zusammenhang dämmert spätestens in dem Moment, in dem man sich zum wiederholten Male mit einem Protagonisten in einem bestimmten Lokal befindet – und bemerkt, dass man dieselben Ereignisse und Tischgrüppchen in einer vorhergehenden Szene schon einmal beobachtet hat: aus einer anderen Perspektive.

Jonas Karlsson ist ein Fallensteller, der nicht nur seine Helden in seltsame Situationen lockt, sondern auch dem Leser das Gefühl gibt, hier müsse ein mysteriöses Muster im Erzählten wirken. Ein System hinter dem Ganzen könne aufscheinen, wenn man nur genau genug liest. Aber: Denkste. Literarische Spielregeln wie etwa die angenommene Einheit von Charakteren oder Orten setzt Karlsson subtil außer Kraft, vermeintliche Verbindungsfäden werden offengelegt und im selben Moment wieder in Frage gestellt.

Am Schluss spricht das Autor-Ich Karlsson selbst über seinen postmodernen Vexierspiegel und kokettiert mit einem bekannten Topos: "Es sollte ein Theaterstück werden. Doch die Rollen wurden zu viele und zu laut. Sie kamen und nahmen Platz, sie bedienten sich und hielten sich überhaupt nicht an die Sache. Alle forderten sie ihre eigene Hauptrolle. Ich habe mein Bestes getan, sie in Schach zu halten. In den Fällen, in denen sie trotzdem untereinander intrigieren, kann ich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Irgendeine Form von eigenem Leben muss ihnen erlaubt sein."

Der Zufall setzt sich zwischen die Stühle, auf denen die Fiktionen bereits Platz genommen haben – über dieses deutlich-dunkle Bild lässt sich mit diesem schwedischen Debüt trefflich meditieren.

Besprochen von Katrin Schumacher

Jonas Karlsson: Als der Zufall sich zwischen die Stühle setzte
Fahrenheit Verlag, München 2009, 176 Seiten, 16,95 Euro