Schweden

Geldsorgen in der Idylle

Der See Borgsjoen in Schweden bei Sonnenuntergang im Juli 2014.
Der See Borgsjoen in Schweden bei Sonnenuntergang im Juli 2014. © Jonathan Nackstrand / AFP
Von Tim Krohn · 17.11.2014
Schweden ist seit Astrid Lindgren ein Sehnsuchtsort: rote Häuschen und rundum zufriedene Menschen. Aber das idyllische Schweden hat auch unter der Wirtschaftskrise gelitten. Die Folge sind Arbeitslosigkeit und Verschuldung der Bürger.
Vor einem Jahr rieb sich Europa verwundert die Augen: brennende Autos, randalierende Jugendliche ausgerechnet im sonst doch so kreuzbrav wirkenden Schweden?
Sozialarbeiter und Anwohner sagen, man hätte damit rechnen können. Die Jugendarbeitslosigkeit in Schweden liegt über dem europäischen Durchschnitt. Die Integration der Einwanderer ist in vielen Orten gescheitert - in Husby zum Beispiel, einem der trostloseren Viertel von Stockholm.
"Fast die Hälfte der Grundschüler hier in Husby schafft es nicht auf eine weiterführende Schule. Der Notendurchschnitt gehört zu den schlechtesten in ganz Schweden. In jeder anderen Kommune würden die Lokalpolitiker wohl alle Hebel in Bewegung setzen, um das schnell zu ändern. Hier scheint es ihnen egal."
85 Prozent der Menschen in Husby haben ausländische Wurzeln. Fast jeder zweite Jugendliche hier geht weder zur Arbeit noch zur Schule. Trotzdem sind im Einwanderungsland Schweden die Ausgaben für soziale Projekte zusammengestrichen worden.
Die Arbeitsämter fühlen sich überlastet, die Mitarbeiter überfordert. Ausgerechnet die Arbeitsvermittlung hat den mit Abstand schlechtesten Ruf aller schwedischen Behörden. Auch ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland gibt es nicht. Es hat sich nie entwickelt.
"Oft schaffen wir es nicht einmal mehr, die Krankenakten sorgfältig zu lesen. Und so bekommen wir nicht mit, dass es möglicherweise die Gefahr einer Infektion gibt."
Auch die Hebamme Christina Silva fühlt sich gestresst. Es fehlt an Betten, es fehlt an Personal, zu wenig für eine Entbindungsstation. Wer in Schweden ins Krankenhaus muss, kann oft lange warten.
Und noch so ein Beispiel: Die Schulen in Schweden. Beim PISA Test der OECD ist Schweden tiefer gefallen als alle anderen. Schweden steckt in der Bildungs-krise, Privatschulen boomen – ausgerechnet im Land der Chancengleichheit.
Die Schweden sind verschuldet
Die falunroten Häuser gibt es noch. Die Besitzer aber machen Schulden – mehr als in anderen Ländern der EU. Jeder dritte Schwede könnte von seinen Ersparnissen gerade mal sechs Wochen lang leben, danach wäre Schluss.
Zwei Wochen Strandurlaub nicht mal 800 Euro und der Flachbildfernseher für zu Hause nur 500! Das Konto ist zwar leer aber naja - es gibt für alles eine Lösung.
Viele Skandinavier denken und handeln genau so! Shore Sareh zum Beispiel. Die junge Frau aus Stockholm steckt knöcheltief im Dispo. Sie hat eine Wohnung gekauft, muss eigentlich ihre Hypotheken bezahlen. Aber nein, meint sie, es gäbe doch noch wichtigeres im Leben.
"Ein Tausender im Monat kann doch nicht nur für die Tilgung draufgehen. Ich lebe doch hier und jetzt. Und von diesem Geld kann ich leben. Es macht nichts, dass ich diese Schulden habe. Ich liebe es, auswärts essen zu gehen. Abendessen und Reisen, so verbrauche ich das Geld."
Shore und ihre Altersgenossen zwischen 26 und 35 führen ein Leben auf Pump. Die Banken haben immer gerne, schnell und vor allem viel verliehen.
Die Verschuldung der Privathaushalte in Skandinavien wird langsam aber sicher zu einem ernsten Problem. Jeder dritte Schwede heutzutage ist nicht mehr in der Lage, länger als sechs Wochen von seinen Ersparnissen zu leben.
"Diese Entwicklung ist beunruhigend. Wenn Schweden einen stärkeren Konjunkturabschwung erlebt und die Wohnungspreise in den Keller fallen – wir wissen, dass das dramatische Folgen haben kann. Für den einzelnen Haushalt genauso wie für die Wirtschaft insgesamt, die Arbeitslosigkeit würde steigen und so weiter und so weiter."
Martin Andersson ist der Chef der schwedischen Finanzaufsicht. Er weiß, dass da etwas aus dem Ruder läuft.
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