Schwarze Seelen

Rezensiert von Susanne Nessler · 29.11.2005
1985 stößt Frank Westerman zufällig in einem spanischen Museum auf "El Negro" und nimmt sich vor, die Geschichte des ausgestopften Afrikaners aus der Kolonialzeit zu erhellen. In seinem nun erschienenen Buch "El Negro - Eine verstörende Begegnung" klärt Westermann nicht nur über die Identität des Afrikaners auf, sondern geht auch der Frage nach, wodurch Rassismus entsteht.
Es beginnt in einem kleinen spanischen Bergdorf nördlich von Girona. Der niederländische Student Frank Westerman begegnet auf ungewöhnliche Weise einem seiner Vorfahren. Im Naturkundemuseum in Banyoles steht er vor El Negro, einem ausgestopften Afrikaner. Ein Mensch präpariert und ausgestellt wie ein Tier. Es ist das Jahr 1985, Frank Westermann ist 19 Jahre alt, weißer Hautfarbe und studiert Hydrologie. Zusammen mit einem Kommilitonen reist er durch Spanien, zufällig ist er in das kleine spanische Museum gestolpert.

Er ist irritiert und erschrocken, wie bedenkenlos El Negro als ein Relikt des Kolonialismus vom Museumsdirektor und der kleinen Gemeinde Banyoles noch Ende des 20. Jahrhundert gesehen wird.

Diese verstörende Begegnung bewegt den jungen Studenten zu einem Plan: Er will dem Afrikaner seine Geschichte wiedergeben, herausfinden, wer El Negro war, woran er gestorben ist, klären, wie er in dieses Museum gelangt ist. Frank Westerman hofft, so aus dem Ausstellungsobjekt wieder das zu machen, was es eigentlich ist: ein Mensch.

Eine spannende, 15 Jahre dauernde Recherche beginnt. Der Autor besucht Archive und Museen, spricht mit Wissenschaftlern und Politikern in Europa und in Afrika. Stück für Stück, fügt sich das Puzzle zusammen.

Eine fesselnde und aufschlussreiche Geschichte über den Umgang mit Fremden. Ein aktuelles Thema, sehr persönlich erzählt, das viel Stoff zum Nachdenken gibt. Frank Westerman ist ein hervorragender Erzähler. Er rekonstruiert nicht nur die historischen Ereignisse, die dazu geführt haben, dass ein Afrikaner ausgestopft im Museum landete, sondern schreibt vor allem über die Menschen, die er in den 15 Jahren seines Projekts trifft.

Und er berichtet von seiner Arbeit in der Entwicklungshilfe, die ihn mit unterschiedlichen Kulturen zusammen bringt. Er verbindet in seinem Buch die eigenen Erfahrungen und Zweifel seiner Arbeit in verschiedenen Ländern mit der Suche nach der Identität des schwarzen Mannes.

Die zentrale Frage dabei ist: Wie entsteht Rassismus und wo genau beginnt er? – Als Leser ist man dem Autor dankbar, dass er hier kein Rezept anbietet und kein Urteil fällt. Er bleibt immer sehr persönlich, erzählt von seinen eigenen Zweifeln und Ängsten. Die Argumente und Standpunkte der anderen Seiten stellt er dazu. Westerman berichtet zum Beispiel, wie er selber in die Rolle des angestarrten und teils sogar gefürchteter Exoten gerät, als er Bewässerungsanlagen in Sierra Leone, Südafrika oder Jamaika baut.

Das ist im wahrsten Sinne des Wortes keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern eine hervorragende Grundlage für den Leser, persönlich über die Frage, wie gehe ich mit Fremden um, nachzudenken.

Die seltsame Faszination, die "El Negro" im 19. Jahrhundert hervorrief, ist nicht nur ein Phänomen der Kolonialismus. Sie existiert heute noch. Lebt weiter in der für den Autor zum Teil quälenden Frage, wie sinnvoll Entwicklungshilfe tatsächlich ist und inwieweit Europa noch eine Berechtigung hat, in die Gesellschaft anderer Kulturen einzugreifen. Der Autor sieht sich immer wieder damit konfrontiert, dass seine Arbeit keine wirkliche Änderung der Verhältnisse bewirkt. Herrschaftsdenken und die große Kluft zwischen arm und reich lassen seine idealistischen Ziele scheitern. Gerechtigkeit liegt im Respekt und nicht im Eingreifen, meint Westerman. Dieser Standpunkt führt ihn dazu, seinen Beruf in der Entwicklungshilfe aufzugeben und als Journalist zu arbeiten. Es erscheint ihm sinnvoller, Missstände öffentlich zu machen, als Bewässerungsanlagen in der Wüste zu bauen. Diese Position wird in den Gesprächen mit einigen Entwicklungshelfern nicht geteilt. Westermann beschreibt und toleriert sie, folgt aber der eigenen Überzeugung.
"El Negro" ist ein spannende Reisereportage mit vielen historischen Hinweisen und Erklärungen. Das Buch führt den Leser in sehr unterschiedliche Gegenden der Welt und konfrontiert ihn mit vielen Menschen aus sehr verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Während der Suche nach der Identität des Afrikaners, zeigen konkrete Alltagssituationen in Südafrika oder in Spanien, dass jeder Mensch seine ganz eigene Geschichte hat, abhängig vom jeweiligen sozialen Umfeld und den persönlichen Erfahrungen.

Die Geschichte von El Negro endet am 5. Oktober 2000. Nach zahlreichen Interventionen und Protesten aus der ganzen Welt, wird der unbekannte Afrikaner offiziell an Afrika zurückgegeben und in Botswana beerdigt.

Frank Westerman: El Negro - Eine verstörende Begegnung
Aus dem Niederländischen von Stefan Häring und Verena Kiefer
Ch. Links Verlag, Berlin 2005
240 Seiten