Schwarz-Grün in Hessen

Hauptsache, es bleibt ruhig

Der Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier (CDU, r), überreicht dem Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen in Hessen, Tarek Al-Wazir (l), eine schwarz-grüne Krawatte.
Nach außen immer lieb zueinander: Hessens Grünen-Chef Al-Wazir (li.) mit Ministerpräsident Bouffier beim Krawattentausch © picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
Von Ludger Fittkau · 13.01.2015
Der Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und sein Stellvertreter Tarek Al Wazir (Grüne) führen seit einem Jahr die schwarz-grüne Koalition in Hessen. Um das Bündnis für die Bundespolitik attraktiv zu machen, vermeiden sie Konflikte und agieren lautlos.
Wenn es so etwas gäbe, wie das hessische Wort des Jahres, hieße es "Lärmpause". Es war der Grüne Tarek Al Wazir, der dieses Wort 2014 in den hessischen Sprachschatz einführte. Der Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident bezeichnet damit seinen Versuch, den lärmenden Flugverkehr am Flughafen Frankfurt am Main in den späten Abendstunden und am frühen Morgen abwechselnd auf bestimmten Start-und Landebahnen zu bündeln und andere unbenutzt zu lassen. Damit will er den lärmgeplagten Anwohnern des Rhein-Main-Airports zusätzliche "Lärmpausen" bescheren.
Diese Idee ist bisher noch nicht umgesetzt worden, doch die "Lärmpause" könnte als Oberbegriff für das dienen, was die erste schwarz-grüne Koalition in einem bundesdeutschen Flächenland seit einem Jahr bietet: eine ziemliche Stille, zumindest kein lautes Wort, erst recht kein Politgetöse. Wiesbaden ist wieder das, was es einmal war, bevor es nach dem Zweiten Weltkrieg zur hessischen Hauptstadt wurde: Ein ruhiger Kurort, geprägt durch ein tiefenentspanntes Klima zwischen Tarek Al Wazir und dem CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier:
Bouffier: "Wir arbeiten sehr vertrauensvoll zusammen. Auch professionell. In gegenseitigem Respekt. Wir sind kein Streitbündnis, sondern wir arbeiten erfolgreich."
Al Wazir: "Und sowas verändert auch eine betont konservative Partei wie die Hessen-CDU. Ich mache mir da nix vor, es gibt auch immer noch Leute, für die ist das alles sehr gewöhnungsbedürftig. Aber das Land ist schon ein anderes geworden, zum Glück."
Erst Rücktrittsforderung, dann Zusammenarbeit
Vor allem ist es ruhig geworden, das Hessenland. Lärmpause herrscht all überall, finden auch die Oppositionspolitiker Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD und Janine Wissler von der Linkspartei:
Wissler: "Wir wundern uns auch, dass diese Koalition so harmonisch zusammenarbeitet. Angesichts der Tatsache, dass Tarek al Wazir noch wenige Tage vor der Landtagswahl Volker Bouffier als Rechtspopulisten bezeichnet hat. Die Grünen haben noch wenige Tage vor der Landtagswahl den Rücktritt von Volker Bouffier gefordert und jetzt regiert man einträchtig zusammen."
Schäfer-Gümbel: "Und dort sehen sie, dass extrem viel Energie darauf verwendet wird, nach außen ein geschlossenes, harmonisches Bild zu geben – aber die Themen, die fallen dabei hinten runter."
Themen wie Kommunen, die hoffnungslos verschuldet sind oder Ganztagsschulen, denen es an Geld für den Nachmittagsunterricht mangelt. Oder die Aufarbeitung des NSU-Mordes in Kassel oder die überstürzte Abschaltung des Atomreaktors in Biblis, die für die Steuerzahler noch sehr teuer werden könnte. Und und und....
Hessen als Labor für mögliche Koalitionen
Doch ein Thema wurde angepackt, Sie wissen schon: die Lärmpause. Dabei geht es aber nicht wirklich um den Frankfurter Flughafen oder die Koalition in Wiesbaden, nein. Es geht in Wirklichkeit um Angela Merkel. Sagt der Parteienforscher Jürgen Falter, der vom nahen Mainz aus die stille Koalition in Wiesbaden beobachtet:
"Man darf eines nicht übersehen, Hessen ist natürlich das Experimentallabor für mögliche Konstellationen im Bund und beide Seiten wollen, dass das gutgeht, damit die Grünen nicht nur auf rot-rot-grün festgelegt sind, damit die CDU nicht nur auf eine große Koalition und am Ende gar auf die AfD angewiesen ist."
Die nächste Bundestagswahl ist also der wahre Grund für ein Jahr „Lärmpause" in Hessen. Deswegen könnte das hessische Wort des Jahres – die Landtagsopposition würde es wahrscheinlich das „Unwort des Jahres" nennen – deswegen könnte der "Lärmpause" noch eine Karriere über Hessen hinaus bevorstehen: In Berlin nämlich. Viele Beobachter behaupten ja schon seit langem, dass der Regierungsstil der Angela Merkel ohnehin eine Aneinanderreihung von Lärmpausen sei.
Also: Hessen ist das stille Politmodell für Berlin- oder auch umgekehrt.
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