"Schwäche des amerikanischen Staates"

Herfried Münkler im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 26.05.2010
Die Behörden seien ihrer Kontrollfunktion zu wenig nachgekommen, meint der Politologe Herfried Münkler. Möglicherweise sei es für den Konzern BP nun attraktiver, Konkurs anzumelden, als die Kosten für die Katastrophe zu übernehmen.
Jörg Degenhardt: Wahrscheinlich ist es die größte Ölkatastrophe aller Zeiten, aber in Washington finden sie nur große Worte und keine Lösungen, um sie endlich in den Griff zu kriegen. Wir haben den Bericht noch im Ohr. Da wettert der US-Innenminister gegen den BP-Konzern, der soll seiner Verantwortung nachkommen, sonst werde die Regierung BP, wörtlich, aus dem Weg räumen. Gleichzeitig räumt der Chef der amerikanischen Küstenwache ein, dass die US-Regierung im Kampf gegen die Ölpest auf das Unternehmen angewiesen ist. Herfried Münkler ist am Telefon, Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Guten Morgen, Herr Münkler!

Herfried Münkler: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Im Klartext heißt das also, das Weiße Haus ist bei der Bekämpfung der Katastrophe abhängig von denen, die sie verursacht haben?

Münkler: Das wird man so sagen können. Solche Großtechnologien sind immer katastrophenanfällig und die Frage ist, wem man die Sicherungssysteme überlässt, ob man erwartet, dass die Unternehmen, die entsprechend tätig sind, Know-how und Equipment bereitstellen, um im Falle von solchen Katastrophen etwas dagegen zu unternehmen, oder aber, ob man sagt, das ist uns zu riskant, das muss der Staat machen. Man kann sagen, dass der erste Weg eher der US-amerikanische ist, der zweite eher der europäische. Gut, ob bei einem vergleichbaren Unfall in Europa staatliche Spezialisten bereitgestanden hätten für diesen speziellen Fall und ob die in der Lage wären, das besser zu machen, das ist sehr die Frage. Aber zunächst einmal tritt hier hervor: Es sind zwei unterschiedliche Philosophien im Umgang mit Katastrophen, und das hat natürlich im Falle der USA zur Folge, dass im Prinzip die Regierung zwar Worte machen kann, aber im Prinzip muskellos ist.

Degenhardt: Bleiben wir in den USA. Wie konnte es denn zu dieser Abhängigkeit überhaupt kommen? Welche Fehler wurden da in der Vergangenheit gemacht?

Münkler: Was jetzt deutlich ist, dass offenbar die Behörden zu sehr und zu eng an den Unternehmen dran gewesen sind, um ihre Kontrollaufgabe zu übernehmen, sozusagen fast Zustände, wie sie bei Volkswagen unter Hartz geherrscht haben, und da darf man dann natürlich erwarten, dass hier und da ein Auge zugedrückt wird. Das ist offenbar das, was sich die Regierung vorzuwerfen hat, nicht genug und nicht genau genug darauf geachtet zu haben, dass hinreichend Sicherungssysteme für den Katastrophenfall eingebaut sind, denn es waren auf der Insel welche eingebaut, aber die haben, als die Katastrophe kam, der Brand ausgebrochen ist, ja alle versagt.

Degenhardt: Die Kosten der Katastrophe liegen jetzt schon bei 600 Millionen Dollar. Was vermuten Sie, wie viel davon wird der amerikanische Steuerzahler übernehmen, wie viel der Konzern?

Münkler: Das ist schwer im Vorhinein zu sagen. Erstens ist das eine Frage der Versicherbarkeit von solchen großen Katastrophen. Sicherlich ist BP in gewisser Hinsicht bis zu einem gewissen Grade versichert, und diese Risiken sind breit gestreut, die werden dann abgedeckt, aber dann ist die Frage, ob man mit diesen 600 Millionen jetzt schon wirklich hinkommt, ob die Kosten und die Schäden nicht doch sehr viel größer sind, zumal dann, wenn das Öl nach Florida treibt. Und dann ist auch die Frage, ob es nicht für BP attraktiver ist, einen Konkurs anzumelden, wie man ja gerne solchen Konsequenzen entgeht, und dann bleibt im Prinzip der Großteil der Kosten an den amerikanischen Steuerzahlern hängen beziehungsweise zunächst einmal im amerikanischen Staatshaushalt, und dann wird man sich darüber streiten, ob die Regierung hätte vernünftiger und anders agieren können.

Degenhardt: Wie kann denn die Regierung aus den Fehlern der Vergangenheit lernen? Wie kann Obama zum Beispiel wieder in die Offensive kommen im Verhalten gegenüber BP?

Münkler: Das sehe ich im Augenblick nicht wirklich. Das was angedeutet wird, dass man zivilrechtliche Klagen gegen BP unternimmt, das heißt, dass man versucht, die Kosten einzutreiben, gut, das wird man bis zu einem bestimmten Punkt auch tun können, bis zu jenem Punkt, an dem die Unternehmensführung zu dem Ergebnis kommt, es sei interessanter, das Unternehmen aufzulösen, um auf diese Weise Zahlungsunfähigkeit festzustellen, und dann ist das halt vorbei. Das heißt, die amerikanische Regierung muss bei ihren Schadensersatzforderungen auch darauf achten, dass sie im Prinzip BP nicht in diese Position hineinbringt, denn wenn BP erst in dieser Position ist, dann wird alles am amerikanischen Steuerzahler hängen bleiben.

Degenhardt: Noch mal: Zeigt der Konflikt die Schwäche des amerikanischen Staates und was können wir Europäer daraus vielleicht lernen?

Münkler: Ja, die Schwäche des amerikanischen Staates wird sichtbar. Ob umgekehrt der europäische Weg, staatliche Vorsorge, staatliches Know-how, staatliches Equipment bereitzuhalten, der bessere ist, das würde allenfalls ein Experiment, das wir besser nicht unternehmen sollten, zeigen, denn Katastrophen zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie genau dort passieren, wo man am wenigsten und am schlechtesten vorbereitet ist. In den anderen Fällen greift ja im Prinzip die Vorsorge und Abwehr so, dass es nicht zur ganz großen Katastrophe wird. Und ob man sozusagen alle Sicherheitsrisiken und -lücken schließen kann, wenn man staatliche Möglichkeiten vorhält, das ist sehr die Frage. Ansonsten wollen wir darauf hoffen, dass in Europa größere Sorgfalt herrscht, dass die staatliche Aufsicht genauer ist, dass hier keine Nachlässigkeiten eingreifen. Aber selbstverständlich kann bei den Offshore-Inseln an der schottischen Küste oder der norwegischen Küste im Prinzip etwas Ähnliches passieren.

Degenhardt: BP kontra USA – vom Machtkampf zwischen Staat und einem internationalen Konzern. Das war ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Vielen Dank dafür, Herr Münkler, und einen schönen Tag!

Münkler: Bitte schön!
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