Schwäbisch, orientalisch, musikalisch

Von Marianne Allweiss · 13.09.2013
Hunderttausende Menschen mit arabischem Hintergrund leben mittlerweile in Deutschland. Doch es gibt hierzulande nur einen einzigen Chor, in dem sie gemeinsam mit Deutschen Lieder aus ihrer Heimat singen können: den Hiwar-Chor in Stuttgart.
Samir: "Wenn ihr gut singt, dürfen wir essen. Sonst ess' ich allein."

Das Singen ist wichtig. Das selbstgemachte Buffet im Anschluss aber mindestens genauso. Das wird schnell klar an diesem Donnerstagabend im Foyer eines Jugend- und Kulturzentrums in Stuttgart. Den Mitgliedern des Hiwar-Chores geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Hiwar, den "Dialog".

Jörg: "Ich komme hier aus der Umgebung: Schwabe. Bin von Beruf Rechtsanwalt, war aber längere Zeit in der arabischen Welt, im Libanon. Und durch das Singen im Chor kann ich meine alten Sprachkenntnisse wieder aktivieren und ich habe zugleich 'ne Gemeinschaft."

Sabine: "Ich bin über meinen Arabischlehrer hier in den Chor gekommen."

Achmad: "Ich bin von Anfang an dabei gewesen. Was gibt's Schöneres? Eine interkulturelle Kommunikation durch Musik und Gesang."

Naima: "Ich komme aus Marokko und ich bin seit über 35 Jahren in Deutschland. Ich möchte nicht, dass ich mich von der deutschen Kultur abseile, ich möchte aber die arabische Kultur beibehalten und das ist die Gelegenheit in dem Chor, beides zu haben."

Beides haben wollte auch Samir Mansour. In Syrien war er ein bekannter Sänger und Musiker. In Deutschland hat es ihm immer schon gut gefallen. Und so ist er 1999 nach einer Konzertreise einfach geblieben. Eigentlich wollte er hier studieren, doch dann kamen immer mehr musikalische Projekte. 2007 hat er den Hiwar-Chor gegründet.

Anfangs sind die Lieder fremd, dann werden sie geliebt
Sieben Mitglieder hatte der Chor am Anfang. Inzwischen sind es bis zu 50, sie sind 21 bis75 Jahre alt. Viele kommen aus Deutschland, andere aus dem Iran, dem Libanon, aus Tunesien oder der Türkei. Nicht alle sprechen Arabisch und nicht alle haben davor schon gesungen, geschweige denn traditionelle arabische Lieder.

Samir: "Die Schwierigkeit sind zwei Sachen. In der Sprache gibt es manche Vokale, so wie ahh, oder hahh, oder kkk, die man nicht in der deutschen Sprache verwendet. Und die Vierteltöne zum Beispiel oder auch die orientalischen Tonleitern, die ungewöhnlich für die deutschen oder europäischen Ohren sind. Es läuft alles viel, viel besser als früher. Und es sollte noch besser sein."

Samir Mansour arbeitet mit viel Geduld und mit vielen Wiederholungen. Meist gibt er den Rhythmus vor, auf der Oud, der orientalischen Laute, oder auf dem Kanun, einer Zither. Daran orientieren sich auch die Querflötistin und die drei Trommler - wenn sie nicht jäh unterbrochen werden, was vor allem bei neueren Liedern häufig passiert.

Samir: "Ich höre euch nicht."

Sabine: "Es war wirklich schwierig, aber dann haben wir ein Chorwochenende gemacht und haben das richtig eingetrichtert. Ich war damals so verzweifelt, ich dachte, das krieg ich nie hin. Aber mit fast allen Liedern, am Anfang sind sie einem ein bisschen fremd und dann fängt man an, sie zu lieben."

Am liebsten haben die Sängerinnen und Sänger Rubaiyat, ein Gedicht, das Samir Mansour für sie vertont hat. Es ist musikalisch anspruchsvoll. Und auch der Text ist besonders:

Jörg: "Ja, es geht eigentlich immer um Wein, Gott und Liebe. (Lachen) Nein, nicht immer. Omar al Khayyam war ja so ein kleiner oder großer Goethe in der iranischen, in der persischen Welt im frühen Mittelalter. Und er hat scheinbar sehr religiöse Gesänge gemacht, die aber immer einen blasphemischen Unterton hatten. Er singt zum Beispiel, verehrt den Wein und fragt dann auch: Allah, warum hast du uns den Wein gegeben, wenn wir ihn nicht trinken sollen?"

Jedes neue Lied wird von einem deutsch-arabischen Kreis liebevoll übersetzt, schließlich wollen alle wissen, was sie singen. Wo der deutsch-arabische Dialog endet, den sich der Chor auf die Fahnen geschrieben hat, dazu gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten:

Samir: "Jeder hat seine politische Meinung, seine Religion. Aber hier machen wir nur Kultur."

Jörg: ""Wir diskutieren schon auch über Politik. Das ist nicht zentral im Chor, aber man hört, was die anderen denken. Gemeinsam zu singen, lebt ja davon, dass man auf den anderen hört. Und das kann man natürlich übertragen: Ich glaube, Musik dient auch dazu, auf andere Leute zu hören und einfach zu akzeptieren, was sie singen oder was sie sagen.""

Heute haben sich die Sänger und Musiker gut zugehört. Sie sind noch mehr Unterbrechungen und Kritik von Samir Mansour gewöhnt. Der ist erschöpft, aber zufrieden.

Samir: "Ja, gut... Jetzt essen!"

Website des Deutsch-Arabischen Hiwar-Chors


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