Schulz: EU hat Vorreiterrolle im Klimabereich

Moderation: Jörg Degenhardt · 09.03.2007
Nach Ansicht des Europaparlamentarier Martin Schulz muss die Europäische Union beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle spielen. Europa könne nur so auch politischen Druck auf andere Länder ausüben, betonte Schulz. Werde der EU-Klimagipfel ein Erfolg, liege das auch am hohen Renommee von Bundeskanzlerin Merkel.
Jörg Degenhardt: Auf ihrem ersten Gipfel als EU-Ratspräsidentin hat sich Angela Merkel im Ringen um einen wirksamen Klimaschutz offensichtlich durchgesetzt, das heißt, es gibt im Grundsatz eine Einigung auf eine 20-prozentige Reduzierung des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid bis zum Jahre 2020. Auch bei der umstrittenen Festschreibung einer verstärkten Nutzung von erneuerbaren Energien zeigte sich Merkel, die auf verpflichtende Vorgaben beharrt, vorsichtig optimistisch. In der Nacht wurden für einen Kompromiss Vorschläge auf Arbeitsebene vorbereitet. Die EU will sich darauf verpflichten, 20 Prozent erneuerbare Energien im EU-Durchschnitt im Jahre 2020 zu erreichen. Am Telefon ist der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz. Guten Morgen!

Martin Schulz: Guten Morgen!

Degenhardt: Auch wenn noch nicht alles zu Ende verhandelt ist, könnte dieser Gipfel ausnahmsweise Mal zu einer wirklichen Erfolgsgeschichte werden?

Schulz: Doch, ich glaube, ja, und das würde mich sehr, sehr freuen, weil es zeigt, dass in Europa die Staats- und Regierungschefs in der Lage sind, sich zu einigen, und in diesem Fall, glaube ich, wäre es auch symbolisch von großer Bedeutung, weil der Klimawandel und die Maßnahmen, die man unternehmen muss, um ihn zu stoppen, sind ja von elementarer Bedeutung für Europa und für die Welt, und wenn man dort tatsächlich jetzt zu dem Ergebnis käme, die 20-Prozent-Zielmarke festzulegen, das wäre ein großer Erfolg.

Degenhardt: Wie groß wäre denn der Anteil der Kanzlerin an diesem Erfolg, an diesem Kurswechsel, der dahinter steht in der Energie- und Klimapolitik?

Schulz: Ja, Deutschland hat die Ratspräsidentschaft inne, das heißt, die Bundesregierung führt zurzeit den Vorsitz und hat damit auch eine leitende Funktion. Ich hatte gestern die Gelegenheit, mit Frank-Walter Steinmeier zu reden in Brüssel, der ja im Rat der Außenminister die Vorbereitungen für dieses Gipfeltreffen geleitet hat. Der war ähnlich vorsichtig optimistisch wie wir beide jetzt hier am Telefon, aber es ist schon ganz klar: Frau Merkel hat ein hohes Renommee. Das hat sie unter anderem auch deshalb, weil Deutschland halt das größte Land der EU ist und weil wir in der Frage der erneuerbaren Energien vor allen Dingen ja auch eigentlich der Pilotstaat in Europa sind. Also da hat sie ganz gute Karten von zu Hause aus mitgebracht. Ich glaube, das ist ganz gut, dass sie da auch tough geblieben ist, hart geblieben ist. Da gibt es auch welche, die wollen nicht, und ich habe den Eindruck, sie macht es ganz gut.

Degenhardt: Von wegen erneuerbare Energien und deren Ausbau am Energiemix, was sagen Sie eigentlich Ihren sozialdemokratischen Kollegen in anderen Ländern, die an der Atomenergie festhalten wollen, also etwa die Franzosen oder auch die Bulgaren?

Schulz: Persönlich sage ich ihnen, dass ich das für eine nicht zu verantwortende Energieform halte, weil vor allen Dingen die Entsorgungsfrage nicht geregelt ist und da nicht eine Generation von betroffen sein wird, sondern alle Generationen in den 20.000 Jahren. Das ist in meinen Augen nicht zu verantworten, und es wird auch den Klimawandel – diese Argumentation halte ich für falsch – nicht stoppen, wir stoppen ihn nicht mit mehr Energie aus Kernkraftwerken, sondern mit weniger Verbrauch. Auf der einen Seite muss ich akzeptieren, Energiepolitik ist nationale Angelegenheit. Da können sich die Mitgliedstaaten nur auf europäischer Ebene freiwillig einigen. Zwingen kann man niemanden, also muss ich damit leben, dass es andere gibt, die eine andere Auffassung haben als ich und die dann auch umsetzen.

Degenhardt: Das klimapolitische Engagement der Europäer insgesamt, das können wir hier zwar loben, aber was nützt das eigentlich, wenn die Amerikaner, wenn die Chinesen oder die Inder nicht mitmachen? Kann man die mit den Klimagipfelergebnissen jetzt von Brüssel möglicherweise beeindrucken?

Schulz: Ja, das glaube ich schon. Wenn sich eine der größten Industrie- und Verbrauchsregionen, was Energie angeht, der Erde, wie Europa das ist, so positioniert, übt das politisch Druck auf andere Regionen aus, und ich denke mal, ganz unabhängig jetzt vom Verhalten der Amerikaner oder der Australier oder der Japaner, Europa selbst muss seinen eigenen Ansprüchen gerecht werden, und wenn wir das tun, ist das schon per se ein guter Schritt, und ich bin schon fest davon überzeugt, dass man im Rahmen der internationalen Organisationen wesentlich glaubwürdiger einfordern kann, dass andere was tun, wenn man selbst mit gutem Beispiel vorangeht.

Degenhardt: Lassen Sie uns noch über einen anderen Punkt sprechen. Frau Merkel bekam in Brüssel gestern auch von den Staats- und Regierungschefs der EU freie Hand für die Ausformulierung der so genannten Berliner Erklärung, mit der die Europäische Union in zwei Wochen bei einem Sondergipfel in Berlin an ihre Gründung vor 50 Jahren erinnern will. Glauben Sie, dass man mit diesem Dokument vielleicht auch ein bisschen neuen Schwung in den EU-Verfassungsprozess bringen könnte, denn der könnte ja einen solchen Schwung gebrauchen?

Schulz: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Wenn es gelingt, die Berliner Erklärung konsensual auf die Schiene zu setzen, also wenn man sich einigt auf eine Beschreibung der Erfolge Europas, der Werte, auf denen dieser Kontinent gegründet wird, und der Zielperspektiven, die man braucht und die man beschreiben muss, wenn sich 27 Regierungen darauf einigen, dann ist das ein guter Auftakt für die Erneuerung der Verfassungsdebatten, denn man muss sagen: All die Sachen, die wir jetzt diskutieren beim Klimawandel, die müssen irgendwann auch umgesetzt werden, und wenn Europa da seinen Beitrag zu leisten soll, dann muss es effektive Organe haben, effektive Institutionen. Die haben wir aber nicht auf der Grundlage des heutigen Nizza-Vertrages. Da brauchen wir die Verfassungsreformen, und dazu ist die Berliner Erklärung ein psychologischer Auftakt. Da muss ich wirklich sagen, habe ich den Eindruck, dass das Gespann Merkel-Steinmeier hervorragende Arbeit leistet, und Frau Merkel, da hat sie in den letzten Wochen, glaube ich, auch richtig hart gearbeitet. Ich konnte das hautnah beobachten und aus vielen, vielen Begegnungen habe ich dann mitgenommen, dass sie auch sehr engagiert ist, Frank-Walter Steinmeier auch. Da macht die deutsche Ratspräsidentschaft auch einen richtig guten Eindruck, und wenn wir da auch die Polen und die Tschechen...

Degenhardt:...das war gerade meine Frage: Wo sind die europatauglichen Mitspieler für Steinmeier und Merkel? Wahlen in Frankreich, Chirac tritt ab, Blair scheidet aus dem Amt und die Osteuropäer, so habe ich den Eindruck zumindest, haben nicht so das große Interesse, dass es in der Verfassungsfrage vorangeht.

Schulz: Vorsichtig! Blair und Großbritannien, da gebe ich Ihnen Recht, da weiß man jetzt nicht so genau, wie die Richtung ist. Aber bei Polen und bei Tschechien müssen Sie immer eins sehen: Gerade auch Polen, auch die Gebrüder Kaczynski wollen die Europäische Union erweitern, und die wollen, dass dauerhaft auch zum Beispiel des Westbalkans eine europäische Perspektive haben. Die wissen aber auf der anderen Seite aber auch: Ohne Verfassungsreformen keine Erweiterung. Das ist ganz klar, das sagen nämlich die anderen Staaten und vor allen Dingen das Europäische Parlament, das ja den Erweiterungen zustimmen muss, hat eine ganz klare Beschlusslage, das ist auch für mich persönlich eine klare Aussage: Ohne die Verfassung gibt es keine Erweiterung.

Degenhardt: Dann hoffen wir mal, dass ein erfolgreicher Klimagipfel in Brüssel auch Schwung bringt in der Verfassungsfrage. Ich bedanke mich an dieser Stelle erst einmal für dieses Gespräch. Das war Martin Schulz. Er ist der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament.