"Schule des Lebens"

Pepe Danquart im Gespräch mit Susanne Burg · 17.05.2011
Es gibt wenige Biografien, die einen Bogen spannen wie die von Joschka Fischer: Von der 68er-Bewegung zum hessischen Umweltminister und dann ins Auswärtige Amt. Filmemacher Pepe Danquart nennt seinen Streifen "Joschka und Herr Fischer" einen Blick zurück auf deutsche Geschichte.
Joschka Fischer im Film: "Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum die Wahlsieger in Wahlnächten sich so wahnsinnig freuen. Ich verstehe es einfach nicht. Weil ein Wahlsieg bedeutet, dass du dich freiwillig den Strapazen eines Ultramarathons unterziehst."

Susanne Burg: Und der Regisseur ist jetzt bei uns zu Gast, guten Morgen!

Pepe Danquart: Guten Morgen!

Burg: Herr Danquart - irgendwie eine überraschende Aussage, wie ich fand, die man eben gehört hat, wo man doch immer den Eindruck hatte, Joschka Fischer sei einer derjenigen, die wirklich Lust an der Politik hat. Ist es ein resignierter Fischer?

Danquart: Nein, ich glaube nicht, resigniert, aber erschöpft zu dem Zeitpunkt. Er hat die Strapazen dieses Amtes hinter sich und das hat ihn, glaube ich, mehr mitgenommen, als er zugegeben hat, weil er es auch sehr ernst genommen hat. Es ging schon auch an seine Leistungsgrenze, wie man ganz offensichtlich merkte.

Burg: Es ist ein wahrer Marathon, den Sie da bestreiten, gute 60 Jahre Biografie von Joschka Fischer, 60 Jahre Nachkriegsgeschichte in einem Film. Eigentlich würde man denken, das sprengt jeden Rahmen. Warum haben Sie sich dennoch für den ganz großen Bogen entschieden?

Danquart: Na ich liebe ja die Komplexität. Hier ist es so tatsächlich, dass die 60 Jahre Biografie von Fischer mir einen Leitfaden gaben, einen Blick zurückzumachen in deutsche Geschichte, die meines Erachtens mehr dazu beigetragen hat, dass dieses Land sich entspannte, als vielleicht das Wirtschaftswunder oder die Politik Adenauers. Diese Befreiung, diese geistige Befreiung auch von der Nazizeit, die ganzen danach folgenden Aufstände oder Bewegungen, die außerhalb der Parlamente passierten. AKW-Bewegungen, aber vor allen Dingen auch die Studentenbewegungen, was man mit 68 nennt, was ja eigentlich zwei Jahrzehnte sind, 60er- und 70er-Jahre, die voll waren mit Emotionalität. Nicht nur quasi ein rationales Aufarbeiten, sondern dann kam die Popmusik, die Rockmusik, da kam Vietnam dazu, und dann später eben auch, wie die Grünen dann das Parlament aufmischten. Das alles konnte man an ihm exemplarisch festmachen und das war dann – so einfach der Gedanke naheliegt, so schwer war es, auf ihn zu kommen –, dann an der Biografie von Joschka Fischer zu erzählen.

Burg: Genau, eine Sache ist die Idee, die andere Sache die Umsetzung, diese ganzen Gedanken, das Material in einen Film zu packen. Sie haben sich dafür entschieden, Joschka Fischer in eine Art Bildergalerie zu stellen. Also er steht in einem großen, freien Raum, in einem Industriegebäude, um ihn herum sind Glaswände, auf denen Filme mit Zeitdokumenten laufen. Er taucht so gewissermaßen ein in die Geschichte, er lacht zum Beispiel in der Erinnerung, als er seinen alten Pfarrer bei einer Fronleichnamsprozession aus seiner Kindheit sieht. Aber er steht auch da in seinem Anzug ein bisschen steif, sehr ernsthaft, irgendwie dann doch auch staatstragend. Hätten Sie sich – ohne den Gedanken jetzt an eine Homestory – manchmal ihn auch einen Tick persönlicher oder privater gewünscht?

Danquart: Ich finde schon, dass er sehr privat ist, solange Privat auch Politisch ist. Also, das wurde ich schon oft gefragt, warum seine vielen Frauen nicht vorkommen und so was alles. Also das ist Boulevard, und nicht Privat, sage ich dann immer. Und ich finde, auch wenn man seine Töne hört: Dieses Hin- und Herschwanken, der Film heißt ja nicht umsonst "Joschka und Herr Fischer". Joschka ist ein Kosename, und jeder in diesem Land nennt ihn mit seinem Kosenamen. Gleichzeitig ist er aber auch nur der Herr Fischer und daher auch sehr streitbar und eine Persönlichkeit, an der die ganzen Widersprüche dieser Nation durchgegangen sind in seiner Zeit als Außenminister oder als Realpolitiker. Ich finde, ihn in seiner eigenen Geschichte und damit auch in unsere Geschichte zu stellen, durch 300 Stunden Archivmaterialien sich zu wühlen und 24 kurze Filme zu machen und ihm dann die Möglichkeit zu geben, einen Dialog zu führen auch mit der Geschichte, ist außergewöhnlich, hat vor mir noch keiner gemacht. Und ich bin sehr froh, dass ich auf diesen Gedanken kam. Dass er staatsmännisch wirkt, hat ein bisschen mit seiner, sagen wir mal, Korpulenz zu tun, vielleicht auch, weil man ihn noch so kennt, als Staatsmann.

Burg: Aber ich habe mich schon gefragt: Kann sich jemand nach so vielen Jahren in der Politik, nach so viel Erfahrung mit Medien, eigentlich der Mensch Joschka Fischer vor einer Kamera überhaupt zeigen, oder ist dann letztendlich das Menschliche wieder eigentlich nur eine Inszenierung?

Danquart: Das ist eine gute Frage, aber tatsächlich ist es keine Inszenierung. Ich kenne ihn durch diese fünf Jahre, ich begann ja schon 2005 auf dem Wahlkampf damals, seinem letzten Wahlkampf, zu drehen. Und manchmal werden Sie merken, dass er mich siezt. Also das heißt, er ist so in Gedanken drin, dass er gar nicht mehr weiß, in welcher Situation er ist, und das ist nicht gelernt, es ist kein Spiel. In der Privatheit und auch, was ich ja ganz interessant finde, das Staatsmännische, in das er manchmal wieder verfällt, ist er eben auch authentisch. Aber das andere, dieser Sponti, der Frankfurter Taxifahrer, all das, lodert wieder mehr, als es damals tat. Und das ist wohl wichtig.

Burg: Er lässt ja auch seine politische Karriere sehr viel Revue passieren. Man hat manchmal den Eindruck, er hätte einige Ämter eigentlich eher zögerlich angenommen. Also zum Beispiel … Also es hat ihn eigentlich mehr gelebt, als dass er aktiv nach der Macht gegriffen hätte. Er erzählt zum Beispiel, wie sein Mitstreiter Daniel Cohn-Bendit ihn fast gezwungen hat, sich 1983 für die Landesliste in Hessen aufstellen zu lassen oder, als er dann ‚85 Turnschuhminister von Hessen wird, sagt er im Film, der ganze Rummel sei ihm eigentlich total peinlich gewesen. Und irgendwie fand ich das alles schwer vorstellbar, eigentlich fand ich immer, Joschka Fischer ist doch geradezu der Inbegriff eines Machtmenschen?

Danquart: Das ist er, ohne Frage. Nur glaube ich, der Machtmensch ist sich dann im Durchsetzen bewusst. Da ich ja selbst Sponti war und wusste, was das bedeutet, Sponti … Für viele ist das heute ein Begriff, der, sozusagen ein Spontinismus … Aber es war der totale Freiheitswille, rebellisch sein. Die Auseinandersetzung, die ich angeschnitten habe, mit Daniel Cohn-Bendit, ist deswegen authentisch, weil da zwei Leute von derselben Geschichte erzählen, und unabhängig davon, nicht in einem Raum sitzend, auch nicht abgesprochen, ist schon auch erkennbar diese Loslösung, diese großen Debatten, die in diesen spontibewegten Linken, die vieles versucht haben, die Alternativökonomie, all das gehört ja mit dazu, die Anti-AKW-Bewegung, die Häuserkampfbewegung … Das war das Gegenteil von einer Partei! Dass da der Schritt in eine Partei schwierig war, ist völlig klar. Aber dass im Leben alles so geplant war, das glaube ich nicht. Was ganz entscheidend ist, was ich auch gelernt habe während dieses Films, ist: Wenn er sich mal entschieden hat, dann geht er bis zur letzten Konsequenz. Ich glaube, die Dinge sind ihm zum Teil passiert.

Burg: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit Pepe Danquart über seinen neuen Film "Joschka und Herr Fischer". Herr Danquart, der "Spiegel" schreibt, Sie würden aus Joschka Fischer eine Art Gegen-Baader machen, Sie seien ein Anti-Aust, indem Sie die 68er nicht nur auf den Terror-Irrweg reduzierten, so heißt es, sondern zeigen, wie Fischer die wilde Energie jener Jahre gebündelt hat. Stimmen Sie überein mit dieser Interpretation?

Danquart: Na ja, mit dem Kollegen vom "Spiegel" war ich bei der ersten Mai-Demonstration in Kreuzberg, und da der Kollege noch sehr jung ist, fand ich das auch den passenden Ort. In der Tat stimme ich damit überein. Die Filme, die ich vorher gesehen hatte, "Der Baader-Meinhof-Komplex" von Aust und auch "Wer, wenn nicht wir" oder "Dutschke," diese Inszenierungen, diese nachgespielten Sachen, die hatten mir nie diese Emotionalität transportiert, die in diesen Jahren da war. Und 68 und auch diese Zeit wurde oft gerade in Filmen und auch in Büchern immer auf die RAF, also auf den Terrorismus reduziert. Darüber hinauszugehen und, wenn der "Spiegel" dann schreibt, da Anti-Aust zu machen, dann bin ich dann halt der Anti-Aust. Es breiter aufzustellen, diese Musik, diese Emotionalität, als die Beatles kamen und die Hippies, die dann auch kamen, und dann aber auch die Medialisierung und damit auch das, was in Vietnam passiert, und dann diese Politisierung und dann plötzlich auch eins nach dem anderen.

Burg: Ich würde gerne noch mal auf das Jahr 1977 kommen, denn das war ein einschneidendes Jahr auch für Joschka Fischer. Er hat sich nach den Ereignissen des sogenannten Deutschen Herbstes von den radikalen politischen Gruppen abgewandt und ist dann eine ganze Zeit Taxi gefahren. Das hier sagt er selber im Film über seine Zeit als Taxifahrer:

"Das linke Weltbild war, der Mensch ist gut, die Verhältnisse sind schlecht, verbessere die Verhältnisse und setze das Gute im Menschen frei, vereinfacht gesagt. Also so eine Rousseausche Anthropologie, die an das Gute im Menschen glaubt. Im Taxi bin ich zum Realo geworden. Ich habe mitbekommen, dass das Großartige und das Hundsgemeine in jedem Menschen ganz eng beieinanderliegen."

Burg: Ja, Joschka Fischer. Herr Danquart, für wie wichtig halten Sie diese Zeit Joschka Fischers als Taxifahrer?

Danquart: Ich glaube, eine ganz wesentliche Zäsur in seinem Leben, vielleicht die wichtigste Zeit, das Ende, wie er selbst sagt, des radikalen Jahrzehnts als Straßenkämpfer, als Betriebsarbeiter, als Hausbesetzer. Und dann eben die Feststellung und auch das vor der Kamera Nachdenkliche des Herbstes ’77, was für ihn eine Sackgasse war, etwas, was er nie wollte. Joschka Fischer sagt immer, als sie ihn beschimpften, du Taxifahrer, im Parlament hat er immer gesagt, Ihr wisst gar nicht, was das für eine Schule des Lebens ist!

Burg: Einschneidend ist auch der Parteitag in Bielefeld ’99, bei dem Joschka Fischer einen Friedensplan vorlegt, der vorsieht, Truppen mit einem UN-Mandat ins Kosovo zu schicken. Fischer wurde da mit einem Farbbeutel beworfen. Wie bewertet Fischer seine Entscheidung und den Parteitag heutzutage, aus der Distanz, eigentlich?

Danquart: Die Rede, die er dort hielt, hält er wohl für eine der wichtigsten Reden, die er jemals in seiner politischen Laufbahn gehalten hat, 52 Tage nach der Regierungsbildung. Und im Film selbst wird ja auch seine erste Begegnung noch als Kind und spät-pubertierender Jugendlicher mit dem Holocaust gezeigt, also dass diese Opfergeneration der Deutschen eben auch eine Tätergeneration war, seiner Eltern, und auch dieses Furchtbare zu erkennen. Das macht ja Bögen dann auch zu solchen Sachen, nie wieder Völkermord. Und das sah er dort. Und aus diesem Grunde hat er diese Entscheidung getroffen, ich glaube, eben auch nicht alleine und viel Wahl hatten sie nicht, weil das war NATO-Beschluss. Anyway, für ihn war das gültig. Wie man die Sache politisch bewertet, kann noch immer jeder für sich selbst entscheiden.

Burg: Ja, Sie haben ja vorhin schon selber gesagt, Sie waren selber Sponti. Inwieweit ist denn das jetzt auch Ihr Lebensfilm geworden, also weil es eben auch die wichtigsten Jahre aus dem Leben des Pepe Danquart waren?

Danquart: Es ist sicher das erste Mal, dass ich mich filmisch bewusst mit meiner Biografie beschäftige, das ist richtig. Es sind auch viele Ausschnitte meines politischen und filmischen Lebens drin, und es ist auch ein Reflektieren, ein bewusstes Reflektieren über die eigene Biografie, nicht nur die filmische. Und insofern "benutzte" ich – also jetzt in Anführungszeichen – oder projizierte ich das in einen Joschka Fischer. Kein Alter Ego im klassischen Sinne, aber durchaus jemand, der eine Parallelitätsbiografie hat. Die Umlaufbahnen sind andere, aber die filmische Biografie selbst aufzuarbeiten, war schon auch ein eigenes Abenteuer, in das ich mich da hineinbegeben habe.

Burg: Pepe Danquart im Gespräch über seinen neuen Dokumentarfilm "Joschka und Herr Fischer". Der Film ist 140 Minuten lang, kommt am Donnerstag in die Kinos. Vielen Dank fürs Gespräch, Herr Danquart!

Danquart: Gerne!
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