Schule

Bildungshunger weltweit

Schüler und Lehrerin in Kenia
Schulklasse in Kenias Hauptstadt Nairobi © picture alliance / dpa / Mika Schmidt
Von Bernd Sobolla · 02.12.2013
Der Dokumentarfilm "Auf dem Weg zur Schule" erzählt Geschichten von Kindern in der kenianischen Savanne, im Atlasgebirge Marokkos, in Patagonien und in Indien. Ihre Sehnsucht, etwas zu lernen, lässt sie große Hindernisse und Entfernungen überwinden.
Was haben Kinder aus Argentinien, Marokko, Kenia und Indien gemeinsam, wenn sie zu ihrer jeweiligen Schule gehen? Nicht viel, sollte man meinen. Schließlich leben sie in unterschiedlichen Kulturen, unter völlig verschiedenen klimatischen Bedingungen, und es gibt keine geografischen Anknüpfungspunkte. Und doch kommt es oft vor, dass Kinder in diesen Ländern einen durchaus abenteuerlichen Schulweg haben, wenn man es positiv ausdrücken will.
Treffender aber sind wohl Adjektive wie lang andauernd, unwägbar oder auch gefährlich. Das gilt zumindest für die 11- bis 13-jährigen Kinder, die der Regisseur Pascal Plisson in seinem Film "Auf dem Weg zur Schule" porträtiert. Jackson zum Beispiel läuft in Kenia täglich 15 Kilometer zur Schule und hat immer einen Wasserkanister bei sich. Zahira muss in Marokko gar 22 Kilometer übers Gebirge wandern, wofür sie vier Stunden braucht. Und Carlito bringt es in Patagonien, der Südspitze Argentiniens, auf 18 Kilometer. Wobei er auf dem Pferd reitet, was "nur" eineinhalb Stunden dauert. Am kürzesten ist der Weg von Samuel in Indien. Seine Schule liegt nur vier Kilometer entfernt. Die allerdings muss er mit dem Rollstuhl fahren.
"Esst schneller, ich will nicht zu spät zur Schule kommen."
‒"Ich werde mal ganz viel Geld verdienen. Ganz viel Geld. Und weißt du, was ich mir dann davon kaufen werde?"
‒"Mhm."
‒"Einen großen LKW. Und dann fahre ich nach Delhi."
‒"Wenn du Geld hast, kannst du dir immer kaufen, was du willst."
Bis dahin dauert es aber noch ein paar Jahre. Und so stellt sich hier und heute die Frage, wie man die Bildungssituation vor allem in abgelegenen Regionen verbessern kann. Besonders in Afrika stehen die Experten vor riesigen Aufgaben, wie Wilfried Vyslozil betont, Vorstand von "SOS Kinderdorf weltweit":
"Ich glaube, wenn man von Afrika ausgeht, dass es jeweils von Region zu Region unterschiedlich zu bewerten ist: Äthiopien ist schon aufgrund seiner Gebirgsstruktur fast unüberwindbar in der Entwicklung kurzer Schulwege und eines dichten Netzes von Schulen. Ostafrika ist schon viel besser ausgestattet und der Süden auch. Südlich der Sahara ist es sehr schwierig. Da stagnieren wir im rohen Elend."
Eine große Herausforderung für die Zukunft. Bis dahin müssen die Protagonisten weiterhin zu Fuß gehen oder auf dem Pferd reiten, im klapprigen Rollstuhl fahren oder auf einer Karre, durch steiniges Gebirgsgelände und an wilden Tieren vorbei, wie zum Beispiel Jackson und Salome in Kenia:
‒"Da drüben, da sind die Elefanten, da sind sie meisten. Einen habe ich mal da hinten gesehen."
‒"Und wo sind sie jetzt?"
‒"Da unten sind welche."
‒"Wo?"
‒"Siehst du? Da drüben. Neben der Akazie, rechts davon. Sie haben sich versteckt. Zwischen den Akazien. Siehst du sie? Von hier oben kann man sie gut erkennen."
‒"Jetzt sehe ich sie auch."
‒"Wir nehmen die Abkürzung."
‒"Der Weg führt immer geradeaus. Wir müssen nur aufpassen."
‒"Und vor allem ganz leise sein."
Es mag absurd klingen, aber der Film bietet vielerlei Situationskomik, vor allem aber sollte er auch eine Debatte darüber anstoßen, ob Bildung nur eine nationale Aufgabe ist. Oder ob es sich nicht viel mehr um eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft handelt, wie Sandra Dworack, Bildungsreferentin von Oxfam, betont:
"Es ist eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft. Die Weltgemeinschaft hat im Jahr 2000 deutlich hervorgehoben, dass kein Land, was ernsthaft Bildung für alle möglich machen will, an mangelnden Ressourcen scheitern darf. Und viele ärmere Länder haben ihre Bemühungen deutlich erhöht, Infrastruktur zu schaffen, Lehrkräfte auszubilden, die Kinder in die Schule zu bekommen. Oft haben sie aber nicht die nötigen finanziellen Mittel. Und die Weltgemeinschaft hat versprochen, diesen Ländern dabei zu helfen, diese Mittel zu generieren. Und daher sind sie in der Verantwortung mehr zu tun."
Wenn sich Bildung mehr zu einer Aufgabe wandeln würde, die als internationale Herausforderung verstanden wird, könnten mittelfristig Infrastrukturprobleme behoben werden, die heute noch extrem bildungshemmend wirken. Vielleicht trägt dazu ja der Dokumentarfilm "Auf dem Weg zur Schule" entscheidend bei.
Leidenschaft und Neugier
Und auch hierzulande könnte das Werk etwas bewirken. Denn eines zeigen alle Protagonisten gemeinsam: Ihre Lust am Leben und ihre Sehnsucht zu lernen ist größer als alle Hindernisse und Gefahren, die sie täglich überwinden müssen. Und von einer großen Bildungssehnsucht kann man bei unseren Kindern nur in Ausnahmefällen sprechen. Da "Auf dem Weg zur Schule" in Kooperation mit der Initiative Vision Kino und vielen anderen Bildungsinstitutionen in die Kinos kommt und sich vor allem auch an Schulklassen wendet, kann man hoffen, dass unsere Kinder einerseits ein Gefühl für ihre privilegierte Situation bekommen. Und vielleicht springt andererseits ja auch ein Funke von der Leidenschaft und Neugier von Carlito und Co. auf sie über:
‒"Ich werde nie woanders hingehen. Ich wurde hier geboren. Mir gefällt es hier. Ich will gar nicht weg, denn das Land gehört meiner Familie. Und ich möchte gern Tierarzt werden."
‒"Ich weiß jetzt schon, was ich einmal werden will. Lehrerin. Das weiß ich schon."
‒"Ich will mal Ärztin werden, um dann Menschen zu helfen, die richtig krank sind. Und dann will ich mich auch noch dafür einsetzen, dass alle Kinder aus den entlegendsten Bergdörfern und eigentlich alle Mädchen, die zur Schule gehen wollen, wirklich eine Schule besuchen können."