Schülerinnen in Nigeria

Seit 1000 Tagen in der Gewalt von Boko Haram

Eine der entführten jungen Frauen aus Chibok ist wieder frei - hier bei einem Empfang bei Nigerias Präsident Buhari.
Eine der entführten jungen Frauen aus Chibok ist wieder frei - hier bei einem Empfang bei Nigerias Präsident Buhari im Mai 2016 © picture-alliance / dpa / Stringer
Von Jens Borchers · 08.01.2017
Vor wenigen Tagen fand das nigerianische Militär im Nordosten eine der Schülerinnen, die von der Terrormiliz Boko Haram am 14. April 2014 entführt worden waren. Damit sind bisher 24 Schülerinnen gerettet worden. Aber 195 Mädchen sind nach wie vor in der Gewalt von Boko Haram. Seit 1000 Tagen.
Hosea Abana ist enttäuscht. Er engagiert sich seit mehr als zweieinhalb Jahren für die Befreiung der Schülerinnen aus dem Ort Chibok in Nordost-Nigeria. "Bring back our girls" heißt diese Kampagne– das ist ein Hilferuf und wütender Aufschrei zugleich.
Denn in den 1000 Tagen, in denen die Schülerinnen in der Gewalt der Terror-Miliz Boko Haram sind, haben sich die Aktivisten viel anhören müssen. Die Mädchen seien gar nicht entführt worden – das sagte ein Regierungsvertreter kurz nach der Entführung im April 2014. Der Kampf gegen Boko Haram sei gewonnen – diese Meinung vertritt heute der amtierende Präsident Nigerias, Mohammadu Buhari. Und vor einigen Tagen behauptete das nigerianische Militär, das Rückzugsgebiet der Boko Haram-Kämpfer, den Sambisa-Wald, erobert zu haben. Hosea Abana glaubt den Militärs nicht:
"Der Sambisa-Wald ist nicht erobert. Sie haben uns keine Beweise geliefert, keine gefangenen Boko Haram-Kämpfer gezeigt. Und erzählen dennoch, sie hätten den Sambisa-Wald unter Kontrolle – das ist nicht wahr."

"Wo sind unsere Chibok-Mädchen?"

Hosea Abanas Vertrauen in Regierung und Militär ist sehr begrenzt. Und auch Aisha Yesufu von der Bring-back-our-girls-Kampagne bleibt angesichts der jüngsten Erfolgsmeldungen misstrauisch. Die Regierung hatte im vergangenen Oktober nach langen Verhandlungen erreicht, dass Boko Haram 21 der entführten Chibok-Schülerinnen freiließ. Drei weitere waren vom nigerianischen Militär gefunden worden. Aisha Yesufu erinnert sich gut an das, was die befreiten Schülerinnen erzählt hatten:
"Die Mädchen hatten gesagt, dass sie im Sambisa-Wald waren. Und dass die anderen Mädchen auch dort sind. Wenn jetzt also das Militär den Sambisa-Wald erobert hat – wo sind dann unsere Chibok-Mädchen?"
Die Informationspolitik der nigerianischen Regierung und des Militärs in diesem Fall war schon häufig lückenhaft und widersprüchlich. Fest steht: 1000 Tage nach der Entführung der Oberschülerinnen aus der Ortschaft Chibok sind immer noch 195 von ihnen in der Gewalt der Terroristen. Die befreiten Schülerinnen sollen ausgesagt haben, dass viele von ihnen mit Boko Haram-Kämpfern zwangsverheiratet wurden. Dass sie Kinder von ihren Entführern bekommen haben. Dass sie sexuell mißbraucht und als Arbeitssklavinnen gehalten wurden.

"Die Regierung hat versagt"

Für Aisha Yesufu von der Bring-back-our-girls-Kampagne ist klar: Die Chibok-Schülerinnen sind kein Sonderfall. Yesufu sagt, sie stehen für alle diejenigen, die von Boko Haram entführt, versklavt oder zum Guerilla-Kampf gezwungen wurden. Und Yesufu stellt fest:
"Es ist die Pflicht jeder Regierung, Leben und Besitz der Bürger zu schützen. Im Fall der Chibok-Schülerinnen hat die Regierung versagt."
Präsident Buhari ließ am Sonntag mitteilen, er hoffe weiterhin, alle Entführten nach Hause zurückbringen zu können. Und ein Sprecher des nigerianischen Militärs sagt:
"Seien Sie versichert: Nicht nur die Chibok-Mädchen, sondern auch jede andere Geisel der Terroristen wird gerettet werden."
Selina Ezekeil, Mutter einers der 2014 von der Boko Haram Terrorgruppe entführten Schülerinnen aus Chibok in Nigeria
Selina Ezekeil, Mutter einers der 2014 von der Boko Haram Terrorgruppe entführten Schülerinnen aus Chibok in Nigeria© Deutschlandfunk/ Katrin Gänsler