Schüchterner Ästhet

Von Stefan Fuchs · 12.02.2007
Mit 42 Jahren und mitten in die Tristesse der Nachkriegszeit hinein gab Christian Dior sein Debüt als Modedesigner. Als er am 12. Februar 1947 in der Avenue Montaigne seine allererste Kollektion auf den Laufsteg schickte, wurde sie nicht nur ästhetisch als eine Sensation gefeiert. Der "New Look" gab zugleich den Startschuss für die moderne französische Modeindustrie.
"Kennzeichen der Pariser Mode ist der permanente Wechsel. Jede Saison bringt eine neue Mode, bringt neue Kreationen. Das ist eine große Herausforderung. Natürlich spielt die Presse dabei eine wichtige Rolle. Das Radio, die Zeitungen interessieren sich immer mehr für Mode. Sogar die Männer haben sie inzwischen entdeckt. Und auch die Verkäuferinnen sind wichtig, die Leute in Verpackung und Auslieferung, all die vielen fleißigen und geschickten Hände, die dazu beitragen, dass der Glanz der französischen Mode in der ganzen Welt erstrahlen kann."

Vom Glanz der Pariser Mode ist nach den Schrecken des Krieges nicht mehr viel übrig. Glamour ist nur noch im fernen New York anzutreffen, als ein in Modedingen völlig unbekannter Christian Dior am 12. Februar 1947 an der Seine seine erste Kollektion präsentiert. Der Titel "Ligne Corolle", "Blumenkelchlinie" ist Programm. Mit seinen Kreationen träumt sich der schüchterne Mittvierziger in die Kindheit im exklusiven Seebad Granville zurück: Streifzüge durch das Blumenmeer im großbürgerlichen Park der väterlichen Villa, Augenblicke kindlicher Verzückung im Anblick seiner in knisternde Fin-de-siècle Roben gekleideten Mutter.

"Ich habe die Blumenfrauen entworfen: zarte Schultern, knospende Büsten, Taillen schlank wie Lianen und Röcke weit wie Blütenkelche."

Im Frühling 1947 trägt Diors "Blumenfrau" wadenlange, sich glockenförmig öffnende Röcke, atemberaubend eng taillierte Kostümjacken, gefährlich spitze Pumps, und elegante Handschuhe. Dass man damit wenig mehr als stehen kann, dass es eines starken männlichen Armes bedarf, um ein Auto zu besteigen, dass die schwingenden grafischen Linien einen komplizierten Unterbau aus Wattierungen und starren Fütterungen brauchen, die aus den Kreationen eine Art Bekleidungsarchitektur machen, scheint dem romantisierenden Frauenbild, dem Dior nachhängt keinen Abbruch zu tun. Nur eine Handvoll amerikanischer Feministinnen protestiert, und eine wütende Coco Chanel mokiert sich aus ihrem Schweizer Exil in Sankt Moritz:

"Dior zieht die Frauen nicht an. Dior polstert die Frauen aus! Entsetzlich, diese Röcke aus Stofflängen, die glatt für zehn Kleider reichen würden! Abendkleider, die an einem hängen wie Felsbrocken. Lächerlich, diese eingeschnürten Taillen, diese gestärkten Roben, die in keinen noch so großen Koffer passen wollen!"

Als bahnbrechenden "New Look" feiert die amerikanische Presse diesen Stil, der in Wirklichkeit die Uhr entschieden zurückdreht. Die Frau als sentimentaler Schmuck der Männerwelt, als Fata Morgana des Reichtums inmitten des allgegenwärtigen Mangels trifft den Nerv einer Zeit, die wild entschlossen ist, die Not des Krieges zu verdrängen. Der Erfolg ist fulminant. Ein Jahr später eröffnet Dior eine erste Dependance in New York, bald tragen zwei Drittel des französischen Modeexports das Emblem seines Hauses. Der schüchterne Ästhet, der keinen Schritt tut, ohne Madame Delahaye, seine Wahrsagerin, zu befragen, hat Paris als Modemetropole gerettet. Konsequent setzt er die eherne Modemaxime des ständigen Wechsels um, entwirft jeden neuen Stil als Antithese des alten, verkauft Parfums, Lippenstifte und Accessoires aller Art, sorgt für das Überleben einer ganzen Industrie.

"Eine Kreation entsteht aus dem Zusammenspiel von tausenderlei Dingen. Da sind die Stofffabrikanten: Seidenstoffe aus Lyon, Wollstoffe aus dem Norden, Spitzen; die verschiedenen Kunsthandwerker: Schmuck, Handtaschen, Handschuhe, Accessoires aller Art, Stickereien, Federn. Alle leisten einen Beitrag zu dem einen großen, kollektiven Werk, das die Pariser Mode darstellt."

Ein Jahrzehnt lang dominiert Christian Dior die Laufstege. Dann ereilt den mit Gewichtsproblemen ringenden, hoffnungslos überarbeiteten Modepapst unerwartet ein Herzinfarkt. Als er im Herbst 1957 zu Grabe getragen wird, erhält er ein Staatsbegräbnis. Weinende Frauen säumen die Champs-Elysées, Paris ertrinkt in einem Blumenmeer: Kamelien, Nelken und überall die von ihm so innig geliebten Maiglöckchen.
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