"Schritt in die richtige Richtung"

Michael Sommer im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 13.01.2009
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, hat das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung als "Schritt in die richtige Richtung" begrüßt. Allerdings gingen die Maßnahmen seiner Ansicht nach nicht weit genug. Außerdem kritisierte er, dass das Maßnahmenpaket nicht vernünftig gegenfinanziert sei.
Birgit Kolkmann: In der "Ortszeit" begrüße ich nun den Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, guten Morgen, Michael Sommer!

Michael Sommer: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Sommer, gibt es ein dickes Lob vom DGB für die Koalition und ihr Konjunkturprogramm?

Sommer: Nein, das gibt es nicht. Es ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben gesagt, ein Konjunkturprogramm muss her, von daher ist es wirklich ein Schritt in die richtige Richtung, weil wir ja wirklich Arbeit bedroht sehen. Wir sehen ein Konjunkturprogramm als Teil eines großen Schutzschirmes für Arbeit.

Nun haben wir gesagt, es muss durchgreifen, also groß genug sein. An dem gemessen reicht es aus unserer Sicht nicht, wir haben immer das doppelte Volumen vorgeschlagen. Jetzt schauen wir mal, was von den 18 Milliarden an Investitionen tatsächlich schnell auf die Straße gesetzt wird, denn es war unser zweites Kriterium, dass es schnell wirksam sein muss.

Das dritte Kriterium, was wir hatten, war, dass es dem privaten Konsum Anreizmuster gibt, dass Elemente von der Abwrackprämie bis hin zu den 100 Euro für Kinder, auch das ist zu wenig. Und wir haben immer den Schwerpunkt bei öffentlichen Investitionen gesehen.

Was überhaupt nichts bringt aus unserer Sicht, ist das, was der steuerpolitische Teil ist. Der ist teuer, der bringt für den Konsum und für die Anregung der Konjunktur gar nichts, er ist eher auch systemwidrig, er ist nicht gegenfinanziert. Also von daher muss man sagen, da ist wirklich das hängengeblieben. 8400 Euro Grundfreibetrag ist in Ordnung, aber dass das jetzt ein Konjunkturprogramm ist, das glaubt niemand. Und bei der Krankenkasse und beim Krankenkassenbeitrag wird praktisch alles auf null gesetzt, ohne dass tatsächlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchgehend entlastet werden.

Also von daher sagen wir mal ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Da gibt es ein paar Punkte, wo wir gar nicht wissen, was los ist, zum Beispiel bei der Verbesserung von Kurzarbeitergeld. Da habe ich bislang auch keine Agenturmeldungen gesehen, müssen wir heute mal die Verlautbarungen der Koalition abwarten.

Kolkmann: Auf 18 Monate verlängert die Möglichkeit.

Sommer: Ja, gut, das war schon klar, aber die Frage waren die Detailbedingungen für Leiharbeiter zum Beispiel für befristet Beschäftigte und für Klein- und Mittelbetriebe, da gibt es sehr wichtige Regelungen, wo wir sehr intensiv eigentlich genauer wissen müssen, was los ist.

Kolkmann: Sie sind ein gefragter Mann, und deswegen sind wir froh, dass wir jetzt mit Ihnen sprechen.

Sommer: Ich habe einfach das andere Telefon ausgeschaltet, keine Sorge.

Kolkmann: Aber das war ja noch ein sympathisches altmodisches Klingeln. Herr Sommer, Sie haben das eben so ein bisschen dargestellt, als sei doch etwas passiert, aber nicht so richtig genau das, was Sie haben wollten dabei. Es sind doch eine ganze Menge der Gewerkschaftsforderungen eingeflossen. Wenn man natürlich auch von einem Kompromiss ausgehen muss, und das liegt in der Natur der Sache, auch in einer Großen Koalition. Da können Sie sich doch ganz gut wiederfinden. Warum also dieses Negative jetzt?

Sommer: Ich habe Ihnen ja gesagt, ich bin verhalten positiv und es gibt Schritte in die richtige Richtung und es gibt Sachen, die wir einfach für falsch halten. Das Problem ist, dass die Menschen zum Schluss ja die Politik daran messen werden, ob dieses Konjunkturprogramm geholfen hat, den Schutzschirm für Arbeit aufzuspannen oder nicht. Und da können wir jetzt nicht so tun, als ob alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre. Ich bleibe noch mal dabei: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, und wenn Sie vor einem halben Jahr mit mir über 50 Milliarden Investitionsprogramm geredet hätten und ich hätte das gefordert, dann hätten Sie anschließend wahrscheinlich gesagt, der Herr muss doch wahrscheinlich in die Irrenanstalt eingewiesen werden.

Kolkmann: Weil Sie sich so gefreut hätten auf dem Sender?

Sommer: Ich hätte mich vor einem halben Jahr schon gefreut, weil es war vor einem halben Jahr schon richtig, bestimmte Sachen für die Konjunktur zu machen. Deswegen, es bleibt dabei: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, nur wenn Sie in die Details gehen, dann merken Sie, vieles ist auch wirklich Makulatur. Und wir werden heute Gelegenheit haben, heute noch bei der Bundeskanzlerin über das eine oder andere zu sprechen, und wir brauchen auch die eine oder andere Klarstellung. Und dann schauen wir mal.

Die Gewerkschaften werden es mit Sicherheit positiv begleiten, auch dieses Bürgschaftsprogramm, wobei ich mich frage, wozu brauche ich ein zusätzliches Bürgschaftsprogramm, um die Unternehmen mit Krediten zu versorgen, wenn ich gleichzeitig schon einen Rettungsschirm für Banken habe, der darauf zielte, nicht die Banken zu retten, sondern die Kreditwirtschaft aufrechtzuerhalten. Von daher müssen ...

Kolkmann: Das hat offenbar nicht funktioniert.

Sommer: Von daher muss man ein paar Sachen ... Ja, da muss man wahrscheinlich da nachbessern, statt da noch oben etwas drauf zu tun. Es geht ja nicht darum, ein paar Banker zu retten. Also von daher, es gibt ein paar Fragen, die man stellen muss, und die werde ich auch stellen.

Kolkmann: Da scheint sich ja nun auch der Staat als Banker profilieren zu wollen, aber das können Sie heute ja noch mal nachfragen. Mit Ihrer Kritik an dem, was jetzt beschlossen ist, sind Sie ja nicht ganz weit weg von Guido Westerwelle, dem FDP-Chef. Der sagte ...

Sommer: Das ist doch völlig anders, weil Guido Westerwelle will ja Steuersenkungen, das will ich nicht…

Kolkmann: Jetzt möchte ich bitte auch mal was fragen dürfen, Sie haben die ganze Zeit schon so viel gesprochen, sollen Sie auch, aber ich möchte bitte zwischendurch was fragen dürfen. Er sagt ja, es ist albern zu glauben, dass man mit so banalen Beträgen wie bei der durchschnittlichen Steuerentlastung, die würde dann bei 10 oder 15 Euro bei einem normalen Haushalt im Monat liegen, dass man damit die Konjunktur stabilisieren könne. Tatsächlich weiß ja keiner, ob dieses ganze Programm nun wirkt, oder?

Sommer: Nein, das weiß niemand. Aber ich sage noch mal, wir gehen davon aus, dass die öffentlichen Investitionen wirken, und die 18 Milliarden sind in Ordnung, es müsste mehr sein aus unserer Sicht. Punkt zwei: Das, was Guido Westerwelle, die FDP und einige andere Leute wollen, nämlich durchgreifende Steuersenkungen, praktisch die Trittbrettfahrerei, die die Krise nutzen, um ihre uralten Forderungen, mehr netto vom Brutto, durchzusetzen, wie auch heute - grundfalsch. Von daher bin ich da völlig anderer Auffassung als die FDP. Uns geht es um nachhaltige Konsumanreize. Da gibt es Elemente, ich habe die eben genannt, das ist in Ordnung, aber was bei der Steuer passiert, ist eher kontraproduktiv. Übrigens hilft es auch nicht, den berühmten Mittelstandsbauch abzusenken, also sprich die Facharbeiterinnen und Facharbeiter zu entlasten, das ist gar nichts, was …

Kolkmann: Sie wollen die Reichen schröpfen?

Sommer: Ich will eine Gegenfinanzierung haben. Was heißt schröpfen? Ich will einfach zum einen, dass die Verursacher der Krise auch ein bisschen zu ihrer Beseitigung beitragen, das ist der eine Teil, und der zweite Teil ist eine Frage von Gerechtigkeit. Und der dritte Teil ist, dass man natürlich auch die Neuverschuldung nicht ins Unendliche treiben kann. Und wer Steuersenkungen auf der einen Seite macht, muss über Gegenfinanzierung reden. Und das haben wir immer im Unterschied zu anderen getan.

Kolkmann: Nun hat Guido Westerwelle, ich möchte ihn noch mal zitieren, auch gesagt, es seien noch nie so hohe Schulden gemacht worden wie jetzt, selbst Theo Waigel mit seinen 40 Milliarden hat das nicht geschafft seinerzeit. Das kann man doch wirklich nicht nachhaltige Politik nennen, oder?

Sommer: Also erstens muss man da - jetzt bin ich fast in der Rolle, eine Politik zu verteidigen, die ich nicht durchgängig für richtig halte -, aber erstens muss man sagen, so eine Wirtschaftskrise hatten wir in der Nachkriegszeit noch nie. Also das heißt, es fehlen auch die Vergleichsmaßstäbe. Punkt zwei ist: Ein vernünftiges gemachtes Konjunkturprogramm refinanziert sich selbst oder zum Teil selbst jedenfalls. Andersrum gesagt, wenn es nicht kommt, verschärft es die Krise und damit auch die Einnahmeseite des Staates wird schlechter. Von daher muss man das alles gegenrechnen.

Und ich halte das insgesamt für vernünftig, wenn es in vernünftigen Grenzen bleibt. In dem Moment, wo man an die Steuern rangeht und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die kleinen Leute entlasten will, was ich für richtig halte, da muss man allerdings wirklich auch ernsthaft über Gegenfinanzierungen reden. Da kann man nicht die Unternehmenssteuern senken, den Spitzensteuersatz unangetastet lassen, die Erbschaftssteuern freundlich gestalten für große Erbschaften und Ähnliches mehr, das passt nicht zusammen.

Kolkmann: Herr Sommer, ganz kurz zum Schluss: Glauben Sie, es braucht noch ein Konjunkturpaket Nummer drei, eventuell. Nummer vier?

Sommer: Ich weiß es nicht, Frau Kolkmann. Ich hoffe es nicht. Ich sage Ihnen das ganz ehrlich: Niemand kann sich daran sühlen, dass die Krise tief ist und noch tiefer wird. Andererseits haben wir die große Befürchtung, dass das Programm im Volumen nicht ausreicht, und dann würde man ein drittes brauchen. Ich hoffe, dass wir es nicht brauchen. Wenn wir uns irren sollten, wäre es mir lieb, dann wäre es mit der Wirtschaft besser. Aber ich habe die Befürchtung, dass wir eins brauchen, ja.