Schriftstellerin: Serbien ist weit entfernt von westlicher Demokratie

Melinda Nadj-Abonji im Gespräch mit Joachim Scholl · 20.02.2012
Der Leiter der serbischen Nationalbibliothek, Sreten Ugricic, musste seinen Posten räumen, weil er sich gegen die mediale Hetzjagd auf einen Schriftsteller gewandt hatte. Für die Schriftstellerin Melinda Nadj-Abonji zeigt der Fall, wie schnell politische Gegner in Serbien kalt gestellt werden.
Joachim Scholl: Schlagstöcke oder Bücher? Das hat der serbische Schriftsteller Sreten Ugricic kürzlich in einer Debatte in Belgrad auf die Frage "Was bleibt von der Freiheit?" geantwortet. Wenige Tage darauf wurde er als Leiter der Nationalbibliothek entlassen. Schon zuvor hatte die serbische Boulevardpresse gegen ihn gewettert, weil er sich mit einem anderen regierungskritischen Schriftsteller solidarisch erklärt hat. Entsetzt über diesen Vorgang war auch die Schweizer Schriftstellerin und Deutscher-Buchpreis-Trägerin Melinda Nadj-Abonji. Sie stammt aus Jugoslawien, ihre Familie gehörte in Serbien zur ungarischen Minderheit. Jetzt ist sie uns aus Zürich zugeschaltet - guten Tag, Frau Nadj-Abonji!

Melinda Nadj-Abonji: Ja, hallo, guten Tag!

Scholl: Was macht diesen Fall für Sie so skandalös, was hat sich da genau zugetragen?

Nadj-Abonji: Ja, diesen Fall macht sehr vieles eigentlich skandalös, also Sreten Ugricic wurde innerhalb von 24 Stunden entlassen, ohne dass da irgendeine Erklärung oder wirklich eine Debatte stattgefunden hätte, der Kulturminister, der eigentlich gegen die Entlassung gewesen wäre, der wurde nämlich gar nicht beigezogen. Es wurde innerhalb eines Telefongesprächs einfach entschlossen, dass man jetzt Ugricic entlässt. Und man muss wissen, dass er 2001 eigentlich von Zoran Djindjic berufen worden ist als Direktor der Nationalbibliothek, und er hat eine hervorragende Arbeit geleistet in diesen elf Jahren. Er ist auch europaweit wirklich bekannt, also alle Bibliotheken kennen ihn. Und er war eben dieser Regierung jetzt unter Tadic und vor allem unter Dacic - das ist nämlich der Innenminister und Polizeiminister - war er immer ein Dorn im Auge, weil er eben regierungskritisch ist und sehr intelligent und sehr vieles publiziert hat, das wirklich zum Denken anregt. Also es ist ein sehr bedenkenswerter Fall meines Erachtens.

Scholl: Dass er jetzt als Unterstützer von Terroristen bezeichnet wird, hat ja auch einen ganz besonders pikanten Grund, es geht hier um Waffen unter einem Veranstaltungsraum. Was ist da passiert?

Nadj-Abonji: Ja, es wurde gefeiert, nämlich die ... Entschuldigen Sie, jetzt muss ich noch mal überlegen, wann das genau war - ich glaube, am 8. Januar oder 10. Januar also dieses Jahres war das 20-jährige Jubiläum der Republika Srpska, und da waren eben ganz viele Offizielle eingeladen auch von Serbien. Und einen Tag vor dieser Feier wurden Waffen gefunden, und man hat dann ja natürlich spekuliert, was da los ist, und die Medien waren da schon entsetzt und haben da von einem Attentat, möglichen Attentat gesprochen. Also die Wahrheit ist, es ist eigentlich überhaupt nichts passiert, die Waffen wurden eben, wie gesagt, einen Tag vor dieser Feier entdeckt. Dann hat eben dieser montenegrinische Autor, Andrej Nikolaidis, eben einen Text geschrieben und hat das Ganze eigentlich überspitzt, er hat dann einen sehr ironischen Text zu diesem Vorfall geschrieben. Und gut, das ist sehr schwer zu erklären, weil er hat also wirklich ironisch formuliert, es könnte sein, wenn jetzt diese Waffen wirklich gebraucht worden wären, sei es möglich, dass man in zehn oder 20 Jahren oder 100 Jahren davon spricht, dass das ein zivilisatorischer Fortschritt sei. Und darauf hat dann eben die Presse reagiert, also vor allem die serbische Presse, die nationalistische Presse, und hat dann gesagt, ja, das ist ein Terrorist, also wie kann der so eine Aussage machen, und er wurde wirklich verhetzt, dieser Autor, also dieser Nikolaidis.

Scholl: Ich meine, dass man Schriftstellern aus solchen Äußerungen, die dann doch etwas ironisch oder ein bisschen fahrlässig gemacht werden, einen Strick dreht, das ist, glaube ich, jetzt nicht so die Besonderheit. Die Besonderheit ist natürlich dann wirklich, was daraus folgt, dass also Sreten Ugricic, der also hier Partei ergreift, sozusagen hier so aus dem Amt geschleudert wird. Ist das für Sie ein eindeutig politisches Kräftespiel - Sie sagten es schon, Sreten Ugricic wurde vom ermordeten Zoran Djindjic eingesetzt -, stellt man also mit ihm einfach einen unliebsamen politischen Gegner kalt?

Nadj-Abonji: Ja, absolut, also das ist wirklich unbestritten, und das wird auch von serbischen Intellektuellen, die sich für Ugricic eingesetzt haben, wirklich so deklariert. Das ist für mich ... Also ich meine, ich lebe hier, in der Schweiz, aber trotzdem, also genau aus dieser Distanz heraus erscheint einem das noch viel absurder, weil eben, es waren 25 Leute, die sich da engagiert haben, also gegen diese Hetze, die dann gegen diesen Nikolaidis gestartet worden ist, und Ugricic hat eigentlich nur gesagt, er sei für die freie Meinungsäußerung. Also er hat überhaupt nichts anderes getan, als ein demokratisches Grundrecht einfordern, und dafür wurde er von diesem Dacic, also von diesem Polizeiminister, also wirklich unglaublich beschimpft, und die Medien haben da mitgemacht. Und das ist eben das andere Thema, was mich sehr, sehr aufwühlt: die Rolle der Medien in dieser ganzen Geschichte. Also Medien und Politik, das ist so nah beieinander in Serbien, also das ist vergleichbar mit Italien und ja, davon kann man auch sehr viel lernen in westeuropäischen Ländern, dass man da wirklich sehr, sehr wachsam sein muss, was da mit den Medien passiert.

Scholl: Das geistige Klima in Serbien. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Schriftstellerin Melinda Nadj-Abonji. Wie geht es den Sreten Ugricic nach seiner Entlassung, welche Folgen hat das auch für die Nationalbibliothek?

Nadj-Abonji: Ja, welche Folgen, das ist noch nicht absehbar natürlich, aber die Regierung ist jetzt verpflichtet, ihm eigentlich innerhalb der Nationalbibliothek einen neuen Job zu geben. Er wartet immer noch darauf, also das heißt, er geht jetzt immer noch täglich da hin, das ist unglaublich, und er ist da irgendwo in einem kleinen Büro, also musste sein Büro als Direktor natürlich räumen, der Nachfolger ist schon da, und das ist ein konservativer Nobody, Historiker, spezialisiert auf, glaube ich, militärische Gedenkstätten. Und er bekommt jetzt schon mit, dass bestimmte Mitarbeiter entlassen werden, also die natürlich von ihm eingesetzt worden sind, dass bestimmte Projekte, die er initiiert hat, gestoppt werden. Also das ist so natürlich sehr, sehr unangenehm, und es ist jetzt so, dass er dann bald ins Ausland geht, nämlich in die Schweiz.

Scholl: Sie sprachen, Frau Nadj-Abonji, vom unguten Zusammenspiel von Politik und Medien in diesem Zusammenhang. Serbien will in die EU, im März soll es um den Status eines Kandidaten gehen, die Nichtanerkennung des Kosovo ist dabei der größte Stolperstein. Man spricht jetzt immer häufiger von einer EU-Skepsis im Land und auch einer Renaissance nationalistischer Mentalität. Fügt sich das denn zu dem Bild, das Sie inzwischen gewonnen haben, oder auch zu dem, was Sie von Ihren Bekannten, Freunden aus Serbien hören?

Nadj-Abonji: Absolut. Also, es ist eine nationalistische Tendenz, ganz klar. Es ist auch eine Ablenkung zu beobachten von den gegenwärtigen Themen und großen Problemen, die eben eigentlich im Land Thema sind, nämlich eine große Armut, eine unglaubliche Arbeitslosigkeit. Und eben dieser Fall jetzt auch von Ugricic zeigt eben, wie instabil eigentlich diese ganze Demokratie ist oder diese sogenannte Demokratie. Also wenn Sie mal bei Wikipedia schauen, also was bei Tadic steht oder bei Serbien, dann ist das so, ja, westlich orientiert und so weiter. Also ich meine, das ist alles so übertrieben, es ist wirklich weit davon entfernt, also überhaupt, eine Demokratietendenz ist vielleicht spürbar, aber eben das wird immer wieder unterbunden, gerade mit Leuten wie Ugricic, die eben wirklich eine internationale Ausstrahlung haben. Das ist das, was im Moment sehr, sehr beunruhigend ist.

Scholl: Im Zuge der Medienkampagne gegen die beiden Schriftsteller Nikolaidis und Ugricic haben sich 25 Kollegen solidarisiert und aufgerufen, also die Medienkampagne, die Hetze zu beenden - Sie haben das schon erwähnt, Frau Nadj-Abonji. Sie sind damit selbst ins Visier der Staatsmacht geraten. Ich meine, ist diese Haltung kennzeichnend für die Situation, in der sich kritische Intellektuelle derzeit in Serbien grundsätzlich befinden?

Nadj-Abonji: Ja. Also wenn man sich da äußert, wenn man ... also ich glaube auch, einige haben sich eben nicht geäußert, weil sie wirklich Angst haben, also das Klima ist geprägt von Angst, ist geprägt davon, ja, wie geht's weiter. Also wenn man Familie hat, man ist irgendwo angestellt, was ja viele sind, wenn sie schreiben, ist es so, dass man sich da wirklich auch zurücknimmt. Ich kann das auch verstehen. Also es ist nicht so, dass ich jetzt finde, alle müssten auf die Barrikaden, also beispielsweise der serbische PEN, das ist auch ein trauriges Thema, also die haben gar nicht reagiert. Ich hab dann sehr oft nachgefragt, also per Mail, warum nehmt ihr eigentlich keine Stellung, Sreten Ugricic ist Mitglied des serbischen PEN. Und dann haben sie eigentlich erst nach zehn Tagen, glaube ich, eine Erklärung veröffentlicht. Das zeigt auch, dass der serbische PEN wirklich Angst hat, also da wirklich Stellung zu nehmen. Und ja, das ist einfach genau das: Wenn man Angst hat, dann ist das Klima einfach ungut. Und diese Angst zeigt eben, wie dominant noch diese Machtstrukturen sind, die eben aus diesen 90er-Jahren und noch von einer wirklich sehr düsteren Zeit her stammen.

Scholl: Frau Nadj-Abonji, Sie haben schon gesagt, Sreten Ugricic wird vermutlich das Land verlassen, auch in der Schweiz leben. Sie haben ihn eben vor einiger Zeit eingeladen, und er konnte dann nicht kommen, weil genau dieser Fall eingetreten ist. Glauben Sie denn, dass Herr Ugricic ...

Nadj-Abonji: Das ist nicht ganz so. Also ich wollte ihn für den Mai einladen, und dann hat er mir gar nicht geantwortet ...

Scholl: ... geantwortet, weil ...

Nadj-Abonji: ... sondern er hat ... genau. Das alles ist dann dazwischengekommen.

Scholl: Gut, er wird jetzt kommen. Glauben Sie denn, dass er ...

Nadj-Abonji: Er wird kommen.

Scholl: ... dass er sozusagen diese internationale Präsenz auch dazu nutzen wird? Wofür wird er eintreten? Er ist ja auch selbst ein Mensch, der auch doch für ein multiethnisches Serbien, für ein liberales Serbien und auch für einen EU-Beitritt eigentlich ist.

Nadj-Abonji: Ja. Also ich glaube, er ist wirklich einer der ganz wichtigen Intellektuellen momentan, also in Europa. Ich meine, das ist jetzt sehr groß formuliert, das kann ich ja so gar nicht sagen, aber ich meine, in meinem Bekanntenkreis oder Leuten, denen ich begegnet bin, da würde ich sagen, da hat er mich absolut inspiriert und bereichert und beschenkt mit seinem Wissen. Er ist wirklich einer, der einen ganz großen Horizont hat und eben deswegen auch sehr bereichernd ist, weil er eben einerseits die serbischen Verhältnisse kennt, aber wirklich auch eben europäisch vernetzt ist und deswegen auch sagt, wir können Analogien herstellen, also es ist nicht so, dass er sagt, ja, hier ist der Osten und hier ist der Westen. Er hat einen sehr guten Artikel geschrieben in der "Süddeutschen Zeitung", wo er genau dieses Thema bearbeitet - also wo sind eben auch Schnittstellen zwischen Ost und West, eben wo sind gemeinsame Probleme oder analoge Probleme. Und genau das interessiert mich eben, weil ich diesen doppelten Blick habe und er mich da wirklich auch sehr, sehr wachsam macht. Und ich glaube, dass es gut ist, wenn er wirklich Serbien für eine Zeit verlässt. Ich meine, das muss man ja auch mal verdauen, das sind traumatische Erlebnisse, bis hin, er fühlt sich bedroht und das ist ja auch sehr, sehr körperlich und real - also das muss man einfach mal verdauen, oder?

Scholl: Der Fall Sretin Ugricic - Kultur und Politik in Serbien. Das war die Schriftstellerin Melinda Nadj-Abonji. Frau Abonji, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Nadj-Abonji: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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