Schriftstellerin

"Aufreibende Liebe"

Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir, aufgenommen bei einer Pressekonferenz in der dänischen Botschaft in Paris am 21.04.1983 nach der Entgegennahme des dänischen Sonning Kulturpreises.
Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir (hier 1983) und Violette Leduc verband eine intensive Beziehung. © picture alliance / dpa / Foto: UPI
Martin Provost im Gespräch mit Susanne Burg · 21.06.2014
Die Französin Violette Leduc wuchs ohne Vater auf und fand durch ihr Schreiben Kontakt zur berühmten Simone de Beauvoir. Die Philosophin habe die Vaterrolle übernommen und sei ihr eine liebevolle Beschützerin gewesen, sagt der Regisseur Martin Provost.
Susanne Burg: In einem Studio in Paris begrüße ich jetzt den Regisseur des Films, Martin Provost. Bonjour, Monsieur!
Martin Provost: Bonjour!
Burg: 2008 haben Sie Ihren Film über die verkannte Malerin Séraphine Louis gemacht, nun einen Film über die ähnlich verkannte Schriftstellerin Violette Leduc. Was reizt Sie an diesen Frauen, an solchen Geschichten?
Provost: Man muss sagen, dass diese beiden Filme eigentlich zur selben Zeit entstanden sind. Ich hatte das Drehbuch für "Séraphine" fertig, als ich René de Ceccatty traf, der mir von Violette Leduc erzählte, die einen sehr, sehr schönen Text über Séraphine geschrieben hat, weil sie sie kannte, und nachdem ich "Séraphine" abgedreht hatte, habe ich mich dann mit René de Ceccatty zusammengesetzt, und ich war wirklich felsenfest davon überzeugt, diese Frau, Violette Leduc, verdient einen eigenen Film.
Burg: Warum ist Violette Leduc eigentlich so vergessen? Sie hat mehrere Romane geschrieben, "Die Bastardin" war sogar Bestseller. Jean Genet hat ihr sein Stück "Die Zofen" gewidmet. Am Ende ihres Lebens war sie in Frankreich ja sogar sehr berühmt.
Provost: Ich bin da wirklich kein Spezialist. Warum werden gewisse Künstler, gewisse Maler, gewisse Schriftsteller vergessen und kehren dann wieder zurück in unsere Erinnerung. Ich glaube, sie kehren zurück, weil wir sie dann irgendwann wieder brauchen. Violette Leduc steht für eine Zeit, die heute ein bisschen in Vergessenheit geraten ist, wo sich die Frauen aufgelehnt haben. Wo sie beispielsweise endlich das Wahlrecht bekamen, wo es ihnen endlich möglich war, Geld zu erben, ohne das Einverständnis ihres Ehemanns. Und Violette Leduc ist auch deswegen so bekannt geworden, weil sie die erste war, die sich in ihrer Fiktion wirklich mit sich selbst befasst hat.
Simone de Beauvoir hat sich um Violette Leduc gekümmert
Burg: Und sie war ja auch dann mit Simone de Beauvoir befreundet, die hat sie protegiert. Sie konzentrieren sich in dem Film sehr stark auf das Verhältnis zwischen Simone de Beauvoir und Violette Leduc, eine nicht ganz einfache Beziehung. Irgendwann sagt Simone de Beauvoir, man kann nicht mit Violette befreundet sein. Was hat Sie als Regisseur an dieser Beziehung interessiert?
Provost: Ich war fasziniert von Violette Leduc, aber natürlich auch von Simone de Beauvoir und von der Beziehung dieser beiden Frauen zueinander. Und Sie müssen einfach verstehen, dass sich Simone de Beauvoir wirklich um Violette Leduc gekümmert hat in einer Phase, wo Violette verzweifelt war, wo sie total verarmt war und wo sie eigentlich in Erwägung zog, überhaupt nicht mehr weiter zu schreiben.
Und wo gibt es das schon heute, dass ein Verleger einen vollkommen unbekannten Autor auch noch finanziell unterstützt? Und das Zweite war eben diese sehr aufreibende Liebe, die Violette Leduc für Simone de Beauvoir empfand. Und natürlich hat Simone de Beauvoir eben da gewisse Grenzen gesetzt, aber ich bin davon überzeugt, hätte ihr Simone de Beauvoir wirklich die Arme so geöffnet, wie sich Violette das gewünscht hätte, wäre sie nicht in der Lage gewesen zu schreiben oder so zu schreiben.
Das erinnert mich an diese Vögel, die in der Lage sind, wunderschön zu singen, wenn sie getrennt sind, und sobald diese Vögel zusammen irgendwo sitzen, singen sie einfach nicht mehr. Was so unglaublich Schönes sind diese sehr poetischen Briefe, die Violette Leduc geschrieben hat an Simone de Beauvoir, die ein einziger Liebesschrei sind letztendlich. Und diese Liebesgedichte fand ich einfach wunderschön.
Burg: Sie hätten Violette aber auch noch viel manischer, fast pathologisch besitzergreifend darstellen können, denn diesen Zug hatte sie ja wohl auch. Das haben Sie nicht gemacht. Warum haben Sie diese Szenen etwas zurückhaltender gestaltet?
Provost: Ich versuche, allgemein in diesem Film mit einer gewissen Zurückhaltung zu arbeiten, weil es einfach nicht meine Art ist, Dinge sehr demonstrativ vorzuzeigen. Und dann muss man auch noch in diesem Fall sehen: Violette Leduc gilt zwar als eine Skandalschriftstellerin, die sich sehr stark mit ihrer Sexualität auseinandergesetzt hat, aber ich glaube, letztendlich hatte sie sehr wenig Erfahrung. Es war eine sehr einsame Frau, und Simone de Beauvoir – das ist mein Standpunkt – hat hier eine Art fehlende Vaterrolle letztendlich eingenommen, weil Violette Leduc keinen Vater hatte.
Der Vater verließ sie bei der Geburt. Sie war die Tochter eines Zimmermädchens, das geschwängert worden war von einem Mann, der dieselben Initialen hatte wie Simone de Beauvoir, SDB, also auch das spielt vielleicht eine Rolle. Und es war einfach wichtig, zu zeigen, wie Violette Leduc das existenziell auch ausgelebt hat, dieses Treffen mit Simone de Beauvoir, und was das für eine große Liebe für sie war. Aber Simone de Beauvoir war mehr an ihrem Werk interessiert als wirklich an der Person.
"LeDuc hat mit ihren Sinnen geschrieben"
Burg: Deutschlandradio Kultur, "Vollbild", das Filmmagazin – zu Gast ist der Regisseur Martin Provost. Wir sprechen über seinen neuen Film "Violette", über die Schriftstellerin Violette Leduc. Monsieur Provost, Filme über Schriftsteller sind nicht immer ganz leicht, weil eben der Prozess des Schreibens so schwer darzustellen ist. Sie zeigen Violette fast nie beim Schreiben, stattdessen eher beim Leben, dem Kampf mit dem Leben, der Liebe – war das die bewusste Entscheidung, weil Leducs Leben ja selber eben ihre größte Inspiration für die Literatur war?
Provost: Ja sicher. Es war so, dass, als ich "Séraphine" gefilmt habe und endlich in der Lage war, auch die Gemälde dieser Malerin zu filmen, da habe ich mich dann gefreut, da habe ich gedacht, jetzt habe ich es geschafft, jetzt habe ich genau das ausdrücken können, um was es mir ging.
Natürlich ging das gar nicht mehr in diesem Film. Bei einer Schriftstellerin gibt es ja nichts Langweiligeres, als zu zeigen, wie sie Seiten voll schreibt. Und daher musste ich einen Prozess des Gedächtnisses praktisch versuchen zu evozieren, weil ja Violette Leduc organisch geschrieben hat. Sie hat mit ihren Sinnen geschrieben. Sie hat immer gesagt, ich bin Intellektuelle. Und das musste ich versuchen, irgendwie darzustellen, indem ich das Verhältnis von Violette Leduc zu den Dingen, zum Leben, zur Natur – sie war ein sehr naturverbundener Mensch – eben zeigte und nicht auf den Intellekt abzielte. Und hier, mit diesem Film, wollte ich auch ein bisschen die Türen öffnen des Wissens und wie man Wissen erlangt. Darauf kam es mir an.
Burg: Sie erzählen ja auch in gewisser Weise die Literaturszene Frankreichs der späten 50er- und frühen 60er-Jahre mit. Eine Szene – also auf der einen Seite würdigen Sartre, Cocteau, Jean Genet das Werk von Violette Leduc – alles Männer. Gleichzeitig fiel ihr Roman "Ravage" der Zensur zum Opfer, weil sie da eben ihre lesbische Liebe im Internat erzählt und angeblich zu explizit wird. Sie erzählen vieles davon aber eher so nebenbei. Was war ihnen wichtig, welcher Eindruck sich von dieser Literaturszene der Zeit für den Zuschauer vermittelt?
Einen Fuß innerhalb, einen Fuß außerhalb der Gesellschaft
Provost: Sartre sieht man mal im Theater, über Cocteau wird nur geredet, Jean Genet sieht man in dem Film, er war sozusagen damals der modischste Schriftsteller, der modischste Dichter. Und er sah sich selbst wie einen Bruder von Violette. Ich wollte aber doch sehr diskret mit dieser Epoche umgehen und jetzt keine historische Aufarbeitung machen. Für mich ist es wichtig zu zeigen, welche Rolle nimmt ein Schriftsteller in der Gesellschaft ein.
Und bei Violette war es ganz eindeutig, sie hatte einen Fuß in der Gesellschaft und einen Fuß außerhalb der Gesellschaft, und das war mir wichtig zu zeigen. Und was mich so beeindruckt, ist eben die Schönheit der Sprache. Das hat fast etwas Transzendentales, finde ich, wenn sie über den Körper redet, wenn sie über den Sex redet, dann ist das so stark und mit so einer Kraft und Schönheit beschrieben, das hat mich unglaublich beeindruckt.
Und man sieht dabei eben auch, dass das in einer Zeit entstanden ist, wo man gar nichts gewagt hat literarisch. Heute wiederum wagt man alles, vielleicht sogar zu viel. Aber damals ist eben ein unglaublicher Fortschritt durch dieses Buch entstanden, und das muss einfach auch mal erwähnt werden.
Burg: "Violette", so heißt der neue Film, der am Donnerstag in die Kinos kommt, über die vergessene französische Schriftstellerin Violette Leduc. Ich habe mit Martin Provost gesprochen, dem Regisseur des Films. Vielen Dank fürs Gespräch, merci pour parler avec nous, Monsieur Provost!
Provost: Merci à vous!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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