Schriftsteller Zafer Senocak im Interview

Erdogan spielt den Fürsprecher der Entrechteten

Moderation: Nicole Dittmer und Julius Stucke im Gespräch · 06.06.2016
Nach der Völkermord-Resolution des deutschen Bundestages hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan türkischstämmige Bundestagsabgeordnete angegriffen, sie in die Nähe von Terroristen gestellt - und Bluttests gefordert. Der Schriftsteller Zafer Senocak meint: "Die Grenze zur Polit-Posse ist überschritten."
Der Schriftsteller Zafer Senocak hofft auf einen ruhigen Monat und sagt scherzend im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur: "Heute hat der Fastenmonat Ramadan begonnen und gute Muslime halten sich zurück - auch verbal."
Die Morddrohungen im Internet gegen türkischstämmige Bundestagsabgeordnete machten zwar Angst, aber: "Es drückt auch eine Art Hilfslosigkeit aus, Argumente scheinen ausgegangen zu sein", so Senocak.
Dass nun eine Schwelle überschritten werde - zur Beleidigung, zur Anmaßung, zum Gewaltaufruf, das sei ein Zeichen für Ratlosigkeit.

Da braut sich etwas sehr Gefährliches zusammen

"Wir müssen aber weiter sehen, wir müssen fragen: Wie kommt es, dass eine große Mehrheit hinter Erdogan steht? Das ist doch die interessante Frage", sagt Senocak. Das betreffe nicht nur die Türkei, sondern etliche Länder aus dem Nahen Osten. Dort herrsche "ein großer Frust", was vielleicht auch mit den kolonialen Erfahrungen zusammen hänge, in denen sich diese Länder nicht entwickeln konnten.
Erdogan habe es geschafft, die Türkei wirtschaftlich erstarken zu lassen. "Das nutzt er leider dafür aus, sich zum Fürsprecher aller Entrechteten und Randständigen zu machen. Er ist populär von Marokko bis nach Afghanistan."
Es braue sich derzeit wirklich "eine ganz, ganz gefährliche Sache zusammen", weil sich Millionen Menschen in der islamischen nicht verstanden und ausgegrenzt fühlten.
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