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Schwangerenkonfliktberatung in Corona-Zeiten
Sensible Beratung im Videochat

Vor einem Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland eine Beratung gesetzlich vorgeschrieben. In Corona-Zeiten geht das in manchen Bundesländern auch per Videochat. Manches funktioniert dabei am Bildschirm sogar besser als im persönlichen Gespräch.

Von Carolin Born | 23.06.2020
Eine Frau betritt die Konfliktberatungsstelle "Donum vitae" in Düsseldorf.
Vor einem Schwangerschaftsabbruch ist der Gang zur Beratungsstelle verpflichtend (dpa picture alliance/ Martin Gerten)
Während der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie war es erst unklar, wie es damit weitergeht: der Pflichtberatung vor einem Schwangerschaftsabbruch. Für dieses Gespräch suchen Schwangere normalerweise eine Beratungsstelle auf. Doch mit den Vorkehrungen zum Infektionsschutz kam die Frage auf, wie es mit solchen Beratungen weitergehen soll. Bundesfrauenministerin Franziska Giffey hatte daraufhin gemeinsam mit den Landesministerinnen und -ministern entschieden, dass Schwangere nicht persönlich zum Termin erscheinen müssen, sondern die Beratung auch online oder am Telefon möglich sein soll. Für die Beraterin Christiane Struck aus Hildesheim war das eine gute Nachricht. Wichtig für sie ist:
"Dass der Bund und die Länder wirklich auch die Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstellen als systemrelevant angesehen haben, weil eben der Schwangerschaftsabbruch nach gewissen Fristen geregelt ist. Und dass diese Beratung gewährleistet ist – dass keiner Sorge hat, ich kriege kein Beratungsgespräch, ich kriege keinen Nachweis und ich kann keinen Abbruch machen."
Folgen der Coronakrise - Was in unserer Gesellschaft wirklich systemrelevant ist
Die Coronakrise sollte zum Anlass genommen werden, die Frage der Systemrelevanz neu zu stellen, sagte der Soziologe Hartmut Rosa im Dlf. Der Kirche attestierte er in den aktuellen Debatten Mutlosigkeit.
Christiane Struck berät Schwangere in Konfliktsituationen. Sie macht das für den Verein donum vitae, den katholische Christen gegründet haben. Denn wer in Deutschland eine Schwangerschaft ohne medizinischen Grund abbricht, muss vorher ein Beratungsgespräch absolvieren. Und drei Tage warten.
Weil der Abbruch nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche toleriert wird, lässt sich der Eingriff nicht so einfach aufschieben. Für betroffene Frauen ist es daher wichtig, dass das Angebot auch während der Coronakrise aufrechterhalten bleibt. Dafür hat sich Christiane Struck in die Beratung über Video eingearbeitet.
"Es ist ein anderes Miteinander-Sprechen. Nicht so direkt."
Im Beratungsgespräch Türen öffnen
Die Gründe, aus denen die Schwangeren zu Christiane Struck kommen, sind vielfältig: Für einige kommt die Schwangerschaft zum falschen Zeitpunkt. Sie wollen zum Beispiel erst noch ihre Ausbildung beenden. Oder sie haben bereits Kinder und wissen nicht, wie sich ein weiteres finanzieren lässt. Vielleicht ist es aber auch einfach nicht der richtige Partner – oder aber, es ist gar kein Kinderwunsch vorhanden. Um das im Gespräch herauszufinden, hört die Sozialpädagogin erst mal zu:
"Und dann, nach und nach, auch ins Gespräch einsteigen, wie wir das in der normalen Face-to-face-Beratung auch machen, anhand dessen, was die Frau mir geschildert hat. Da - ich sage immer bildlich: - verschiedene Türen aufmachen, um nochmal hinter Gründe oder auch hinter ihre Ressourcen oder ihre Lebensumstände zu schauen. Und auch zu hinterfragen: Warum kann das mit einem Kind nicht klappen? Oder sie eventuell auch darauf hinweisen, dass es Hilfsmöglichkeiten gibt, wenn es sich zum Beispiel um finanzielle Schwierigkeiten handelt."
"Das Einarbeiten war für mich eine Herausforderung"
Die digitale Beratung war Neuland für Christiane Struck. Doch sie konnte auf die Expertise ihrer Kolleginnen bauen. Diese hatten bereits Erfahrungen aus einem Modellprojekt gesammelt, bei dem es um die freiwillige Beratung rund um die Schwangerschaft ging, also zum Beispiel über vorgeburtliche Untersuchungen. Digitale Beratungsformen wurden erprobt, um Frauen auch online zu erreichen. Und so konnte donum vitae bei der Schwangerschaftskonfliktberatung auf dieses Wissen zurückgreifen, sagt Projektmitarbeiterin Luise Paulmann:
"Weil wir uns dann untereinander beigebracht haben: Wie funktioniert das mit der Videoberatung? Und unseren Kolleginnen in den Beratungsstellen zeigen konnten, wie die Plattform funktioniert und worauf man bei der Videoberatung achten muss."
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Also ganz praktische Tipps, wie Vereinbarungen darüber zu treffen, wie man damit umgeht, wenn die Internetverbindung so schlecht ist, dass das Gespräch abbricht. Und vor allem Routine darin bekommen, per Video zu kommunizieren.
"Wir haben uns gegenseitig per Video gecoacht. Und haben dann einfach in Videosessions das Programm ausprobiert. Haben geguckt, wie das ist, wenn man sich von Bildschirm zu Bildschirm sieht. Und wir haben dann Teambesprechungen darüber gemacht", sagt Luise Paulmann.
Sie hat auch Christiane Struck eingelernt, die von sich selbst sagt, sie sei eher vorsichtig mit Technik:
"Man ist im Beratungsgeschäft mit Telefon und E-Mail und Faxgerät ausgestattet. Und überhaupt in Videoberatung zu gehen, sich erstmal in diesem ganzen Techniksystem einzuarbeiten, das war für mich persönlich eine Herausforderung."
Manche Gesprächstechniken funktionieren digital nicht
Doch jenseits der Technik stellt sich natürlich die Frage, wie so bedeutende Entscheidungen – bekomme ich das werdende Kind oder nicht – überhaupt digital geklärt werden können. Die Beraterinnen berichten, dass sich auch über das Bild eine Verbindung zueinander aufbauen lasse, da Mimik und Gestik relativ gut erkennbar seien.
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Auch wenn jetzt die Ausgangsbeschränkungen etwas erleichtert werden, einige Läden wieder öffnen dürfen: Die Corona-Pandemie wird uns alle in unserem Alltag noch lange beschäftigen. Sie bleibt ein riesiger Stresstest.
Außerdem sei es für manche Schwangere einfacher, sich zu öffnen, wenn sie zu Hause in vertrauter Umgebung sitzen anstatt in der Beratungsstelle. Bei Bedarf könnten die Frauen ihr Bild auch ausschalten, um sich nicht zeigen zu müssen. Doch sie müsste auch manches anders machen, erzählt Christiane Struck:
"Ich arbeite häufig mit Steinen, dass die Frauen Steine in die Hand nehmen müssen. Dann suchen sie sich Steine aus: Welches Problem wiegt schwerer? Solche haptischen Sachen kann ich natürlich nicht machen."
Kreativität ist gefragt
Auch auf evangelischer Seite bieten die Beratungsstellen der Diakonie Schwangerschaftskonfliktberatung unter anderem per Video und Telefon an, sofern dies im jeweiligen Bundesland rechtlich überhaupt erlaubt ist.
Voraussetzung sei jedoch, dass die Träger vor Ort technisch entsprechend ausgestattet sind, so Angelika Wolff, Referentin für Schwangerschaftskonfliktberatung bei der Diakonie. In ländlichen Regionen sei zudem die Internetverbindung häufig zu schlecht, um per Video zu kommunizieren. Corona hat laut Angelika Wolff auch zu der Erkenntnis geführt, wie viel mehr Digitalisierung es noch brauche.
Beraterin Luise Paulmann ist überzeugt, dass die Videoberatung funktioniert – wenn die Beraterin auch dahintersteht. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, sei es wichtig, dass die soziale Arbeit auch diese Form anbietet. Denn sie komme der Präsenzberatung am nächsten. Es gelte, die Videotechnik kreativ zu nutzen:
"Zum Beispiel kann man auch per Video mit Karten arbeiten, also Bildkarten, die man ins Video zeigen kann, auf denen ein Bild oder eine Schrift drauf ist. Damit zum Beispiel arbeiten und die Klientin fragen, was sie mit dieser Karte verbindet oder wie sie sich heute fühlt oder was diese Karte mit ihr macht."
Für Christiane Struck war der Lernprozess aufregend: Sie hat ihre Hemmung gegenüber der Technik abgebaut. Nur auf eine Sache muss sie noch achten: dass sie nicht zu viel mit ihren Händen gestikuliert, weil das nicht gut für das Video ist.