Schriftsteller: Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten in Bahrain nehmen zu

Qassim Haddad im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 28.12.2011
Ein Jahr nach Beginn der Aufstände in der arabischen Welt hat der bahrainische Schriftsteller Qassim Haddad Zweifel daran geäußert, dass sich demokratische Reformen in seinem Heimatland durchsetzen lassen. Die herrschende Kaste lebe in der Vergangenheit, die Bevölkerung bereits im 21. Jahrhundert. Das führe zum Zusammenprall.
Matthias Hanselmann: Bahrain ist ein Königreich. Es besteht aus 33 Inseln in einer Bucht im Persischen Golf. Die Hauptinsel ist durch eine Brücke mit Saudi-Arabien verbunden. Ganze 1,2 Millionen Einwohner hat Bahrain, die Staatsreligion ist der Islam. Bahrain bedeutet im Arabischen zwei Meere - und tatsächlich besitzt die Insel zwei Meere: Das eine, das sie umgibt, und das andere ist ein Meer von Grundwasser. Einer der prominentesten Bürger Bahrains ist der Schriftsteller Quassim Haddad, der gerade ein neues Buch veröffentlicht hat, ein Buch über einen arabischen Dichter der vorislamischen Zeit. Geschrieben hat er es in arabischer Kalligrafie, die künstlerischen Fotos stammen von seiner Tochter, und Musik zum Buch, komponiert von Haddads Sohn. Ich habe mit dem Bahrainischen Dichter gesprochen, er ist zurzeit auf Einladung des DAAD in Berlin. Zunächst wollte ich wissen, wie es denn eigentlich um die Oppositionsbewegung in seiner Heimat bestellt ist. Demonstrationen im Frühjahr wurden ja brutal und mit Hilfe saudi-arabischer Panzer niedergewalzt.

Qassim Haddad: Die Forderungen, die das Volk jetzt gerade aufstellt im Rahmen des Arabischen Frühlings, sind keine neuen Forderungen, sondern es sind sehr alte Forderungen, die schon seit über 20 Jahren von vielen Generationen, also von nachfolgenden Generationen gestellt wurden. Und was neu ist an dem Arabischen Frühling, ist, dass die Forderungen oder dass die Menschen tagtäglich auf die Straßen gehen, und es hat zu starken Auseinandersetzungen oder heftigen Zusammenstößen mit der Polizei und dem Militär geführt.

Was sich auch zeigt im Rahmen der Veränderung oder der Revolution jetzt in der Arabischen Welt, ist, dass die herrschende Kaste sozusagen sich in der Vergangenheit befindet, auf traditionellen Formen beruht, und die Bevölkerung sich bereits im 21. Jahrhundert befindet, und das führt eben zu diesem Zusammenprall zwischen Alt und Neu.

Hanselmann: Herr Haddad, in deutschen Zeitungen war zu lesen, die Opposition in Bahrain sei im Keim erstickt worden und somit bedeutungslos geworden. Wo und wie äußern sich denn noch Proteste in Bahrain?

Haddad: Eine dieser Formen ist, Druck auf die Regierung auszuüben, dass sie das, was sie versprochen hat, auch verwirklicht. Was sie versprochen hat, ist, die Konstitutionelle Monarchie, das hat sie zwar formell gesagt, aber das möchte sie nicht, sondern sie will nichts von ihrer Herrschaft abgeben. Die oppositionelle Bewegung ist sehr heterogen. Es gibt Menschen, die gehen auf die Straße und demonstrieren, es gibt die Form der politischen Bewegung, also durch Institutionen und Vereine, und es gibt auch Menschen, die durch das Schreiben zum Beispiel ihren Protest oder ihre Meinung äußern.

Was ganz problematisch ist in Bahrain, ist, dass die Bevölkerung so gespalten ist. Gleichzeitig ist Bahrain eines der kleinsten Länder. Das heißt, das, was Bahrain gerade aushalten muss, ist eine sehr, sehr schwierige Situation. Jedenfalls ist der Wunsch aller, die an den Aufständen teilnehmen und ihre Opposition zum Ausdruck bringen, dass man jetzt einen Dialog führt, was natürlich auch sehr schwierig ist, wenn die Politik, wenn die herrschende Kaste nicht das einhält, was sie verspricht.

Hanselmann: In Ihrer Heimat Bahrain existieren ja zwei islamische Glaubensrichtungen, die Schiiten und die Sunniten. Die Schiiten befinden sich in der bevölkerungsmäßigen Mehrheit und werden von der sunnitischen Minderheit regiert. Man kann sich vorstellen, dass hier großes Konfliktpotential vorhanden ist. Wie erleben Sie dieses vielleicht auch im privaten Bereich?

Haddad: Was ich schade finde an dem, wie sich die Situation momentan in Bahrain entwickelt, ist, dass plötzlich ein Problem auftaucht zwischen Sunniten und Schiiten, das ursprünglich kein Problem war. Erst in den letzten - sagen wir, seit Anfang der 90er-Jahre - hat sich dieses Problem entwickelt. Vorher gab es das so nicht. Man kann es als Konfessionalismus bezeichnen, als Beispiel dafür, dass es eben diese Probleme vorher nicht gegeben hat, bin ich seit 40 Jahren mit einer Sunnitin verheiratet. Ich habe nie große Konflikte oder auf religiöser Ebene mit meiner Frau gehabt, oder nie das Gefühl gehabt, dass wir nicht zusammen passen aufgrund dieses unterschiedlichen religiösen Hintergrundes.

In Wirklichkeit ist es jetzt so, dass die Situation in Bahrain nicht nur konfliktgeladen ist, sondern sogar gespalten, also die Gesellschaft ist aufgespalten zwischen Sunniten und Schiiten, und es gibt gewisse Kräfte, die diese Konflikte schüren und daraus auch ihren Nutzen ziehen. Das Problem ist nur, dass wenn die Gesellschaft so gespalten ist, kann man überhaupt keine politischen oder gesellschaftlichen Veränderungen erzielen. Erst muss man die Menschen wieder aufeinander zugehen lassen, damit man überhaupt neue Pläne aufstellen kann zusammen.

Hanselmann: Wenn diese Spaltung so groß ist, wenn sie von diesen politischen Kräften, die Sie zitiert haben, betrieben wird, sodass die Bevölkerung wirklich gespalten ist, wie könnte dieser Prozess rückgängig gemacht werden?

Haddad: Der einzige Weg, um sich wieder anzunähern zwischen den verschiedenen Gruppierungen in der Gesellschaft ist der Dialog. Also der Dialog nicht nur zwischen den Sunniten und den Schiiten, sondern auch der Dialog zwischen der Bevölkerung und eben den Machthabenden. Die Alternative wäre ein heilloses Blutvergießen zwischen den Schiiten und den Sunniten. Und das ist unakzeptabel.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Quassim Haddad, er ist Schriftsteller aus dem Emirat Bahrain, wo Anfang des Jahres viele Oppositionelle auf die Straße gegangen sind und gegen ihr Regime, gegen ihre Regierung protestiert haben. Anders als zum Beispiel in Ägypten oder Tunesien waren diese Proteste allerdings nicht so erfolgreich, sondern wurden brutal niedergeschlagen. Quassim Haddad ist auch Vorsitzender des Bahrainischen Schriftstellerverbandes. Herr Haddad, Sie sind als streitbarer, als kritischer Schriftsteller bekannt. Sie gelten als unerbittlicher Rebell, und sie sind bereits mehrmals inhaftiert worden. Insgesamt haben Sie wohl fünf Jahre Ihres Lebens im Gefängnis verbracht. Was hat man Ihnen denn vorgeworfen?

Haddad: In den 70er-Jahren oder Anfang der 70er-Jahre war ich in einer politischen Organisation, einer linken politischen Organisation, der Volksfront, könnte man sie nennen. Ich bin oft verhaftet worden - nicht nur ich, sondern meine ganze Generation ist verhaftet oder auch verfolgt worden, und letztendlich waren unsere Forderungen nicht sehr viel anders wie heute, die Forderungen, die heute von der Bevölkerung aufgestellt werden, und zwar eine Befreiung von der politischen Oppression und eben auch eine Forderung nach mehr gesellschaftlicher Gerechtigkeit.

Hanselmann: Wie sieht es heute aus? Können Sie Ihren Protest äußern und sind nicht so vielen Repressalien unterworfen? Wie schaut es in Bahrain zurzeit aus? Müssen Sie in ständiger Angst und Sorge leben, erneut verhaftet zu werden?

Haddad: Seit den 70ern bis heute haben sich viele Veränderungen in Bahrain vollzogen im Bezug auf Meinungsfreiheit, und auch das Vereinsrecht hat sich verändert. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat der neue König Reformen durchgezogen, viele Menschen sind aus dem Gefängnis entlassen worden, also politische Gefangene sind aus den Gefängnissen entlassen worden, und viele Exilanten sind zurückgekehrt. Und in all dieser Zeit habe ich ohne Probleme meine Bücher in Bahrain veröffentlicht. Manche habe ich in Bahrain veröffentlicht, andere außerhalb von Bahrain, aber immerhin werden sie in Bahrain vertrieben oder auch verkauft, ohne dass es Probleme gibt.

Hanselmann: Ihr neuestes Buch beschäftigt sich mit einem Dichter aus vorislamischer arabischer Zeit. Er lebte im 6. Jahrhundert. Was ist für Sie interessant an diesem Dichter?

Haddad: Der Dichter heißt Tarafa Ibn El-Abd, er lebte ungefähr 70 bis 80 Jahre vor dem Islam, und er zählt zu dem berühmtesten arabischen Dichtern der vorislamischen Zeit. Er ist einer der Dichter der sogenannten Moallakat, das sind Gedichte, die auf der Kaaba aufgehängt wurden, ganz besonders schöne Gedichte. Und meine Beziehung zu diesem Dichter hat sich aufgebaut sehr früh, und zwar seit der Grundschulzeit, da habe ich ihn zum ersten Mal kennengelernt, einmal, weil ich entdeckt habe, dass er in Bahrain gelebt hat, aber nicht im heutigen Bahrain, sondern dem historischen Bahrain - das ist eine Region, die sich von Oman bis nach Basra im Irak gezogen hat, also eine sehr große Region, die die ganze Golfregion umfasst hat.

Die andere Besonderheit, die mich an ihm fasziniert hat, war sein Standpunkt gegenüber dem Stamm, dem Stammeswesen sozusagen oder der Stammesgesellschaft. Er war ein Rebell, ein eigensinniger Mensch und war sehr aufrührerisch und hatte neue moderne Ideen sozusagen. Für diese Ideen wurde er verfolgt von dem König von Hira, das war der König, der eben in dieser Zeit in Bahrain, in dieser Region, regiert hat. Er hieß Amr Ibn el-Hem, dieser König, und er hat ihn hinrichten lassen. Außerdem hat mich fasziniert an ihm eines seiner Gedichte, und ich finde, es ist eins der schönsten Gedichte, die ich gelesen habe, in der alten arabischen Dichtung.

Hanselmann: Herr Haddad, Ihr Sohn hat Musik zu ihrem neuesten Buch gemacht, zu Ihrem neusten Werk, eine CD liegt bei. Welche Rolle spielt denn die Musik dabei?

Haddad: Mein Sohn Mohammed ist Komponist. Als ich hier in Berlin die Rohfassung von dem Gedichtband geschrieben habe, hat mein Sohn mitgelesen, und das hat ihn wohl bewegt, dazu Stücke zu schreiben. Er hat neun Stücke dazu geschrieben. Meine Tochter, sie ist Fotografin und hat fotografiert, während ich geschrieben habe, und für mich ist diese Musik sehr wesentlich, weil ich selbst im Text auch über Musik gedichtet habe, und zwar über die traditionellen Lieder, die die Perlentaucher auf hoher See gesungen haben. Da gibt es eine ganze Tradition im Bahrain von eben diesen Liedern.

Mein Sohn Mohammed hat eine Verbindung hergestellt zwischen dieser traditionellen Musik, also von diesen Perlentauchern, und gleichzeitig aber neue musikalische Elemente eingeflochten, sodass es ein Gewebe aus alten Elementen und neuen Elementen ist. Letztlich ist dieses ganze Werk für mich eine Einheit von drei verschiedenen Künsten, einmal der geschriebene Text, einmal die Musik und einmal Fotografie, also die visuelle Komponente, und dass das jetzt mit den eigenen Kindern passiert, finde ich für mich was sehr Besonderes.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.