Schreiben ist wie nach Hause kommen

Von Julia Eikmann · 28.08.2012
Seine siebte, die berühmte "Leningrader Symphonie" ist zweifelsohne das berühmteste Werk des Komponisten Dmitri Schostakowitsch. Auch die neuseeländische Autorin Sarah Quigley. Sie hat sich viel Zeit genommen, sich in historische Charaktere und Lebenssituationen hinein zu versetzen, und mit "Der Dirigent" einen bewegenden Roman rund um die 7. Symphonie geschrieben.
Der Innenhof der Ausstellungsstätte Kunst-Werke in Berlin-Mitte. Fröhlicher Café-Betrieb, ein knorriger Walnussbaum spendet Schatten, Kinder springen über das Kopfsteinpflaster. Hier hat das Leben in Berlin für Sarah Quigley angefangen.

"Es war schön, einfach über den Hof spazieren zu können und hier einen Kaffee zu trinken, wenn ich die eigenen vier Wände nicht mehr sehen konnte."

Man sieht der zierlichen Mittvierzigerin mit der großen Sonnebrille im Haar an, dass sie sich gerne an die Zeit in ihrer Stipendiatenwohnung direkt nebenan erinnert. Die gebürtige Neuseeländerin hatte gerade ihren Doktor in Literatur an der Universität in Oxford in der Tasche und für ein Jahr in Kalifornien gelebt, als sie kurzfristig für das Artist-in-Residence-Programm vorgeschlagen wurde.

"Ich hatte nicht wirklich einen Lebensmittelpunkt für mich gefunden, war nicht sicher, ob ich wieder nach Neuseeland gehen wollte. Und gerade als ich hinter die Fassade der Stadt vorgedrungen bin, war mein Jahr in Berlin auch schon wieder vorbei. Es ist keine sehr leicht zu verstehende Stadt, finde ich, aber ihre Geschichte hat mich fasziniert. Also dachte ich: Warum nicht ein Appartement mieten und noch ein Jahr bleiben? - Das ist 12 Jahre her und ich bin immer noch hier."

Sarah Quigley lacht, ihre pink lackierten Fingernägel spielen an dem Leder-Armband. Ein Grund zu bleiben war sicher ihr Mann, ein schwedischer Künstler, den sie in Berlin kennen lernte. Aber auch das Gefühl, sich in ihrer Heimat, in Neuseeland, als Schriftstellerin nicht entfalten zu können. Sie sagt es fast entschuldigend, auf keinen Fall möchte sie jemanden beleidigen.

"Ich fand Neuseeland etwas zu intim. Ich bin manchmal gerne anonym. Deswegen mag ich auch Berlin so: Ich mag es, in verschiedene Gegenden der Stadt zu fahren und zu wissen, dass ich niemanden treffen werde. Ich meine, Neuseeland hat nur vier Millionen Einwohner. Im Prinzip die Einwohnerzahl von Berlin verteilt über ein relativ großes Land. Als Künstler möchte ich verschwinden können, wenn mir danach ist."

Die Idee zu ihrem Roman "Der Dirigent" kam Sarah Quigley in den geschichtsträchtigen Straßen Berlins. Die Einschusslöcher in den Wänden, die Spuren, die Narben in der Stadt, ihre kommunistische Vergangenheit haben das Interesse der Schriftstellerin geweckt. Hier konnte sie sich in die Situation des belagerten Leningrads im zweiten Weltkrieg hinein versetzen, als Bomben auf hungernde, frierende Menschen fielen und Schostakowitsch seine berühmte 7. Symphonie komponierte.

Dann, endlich, fand er einen Weg in das Scherzo. Mit der trällernden Melodie der Streicher glaubte man, in einen frischen Morgen auf dem Land hinauszutreten. Dies war mit ein paar schleichenden theatralischen Cello-Staccato-Tönen unterlegt - ein wenig wie die Schritte einer Tante, die nicht stören will. Als nächstes die Oboe. Singend und in die Höhe fliegend, stellte sie Tatjanas Stimme von einst dar, bevor diese streitsüchtig und besitzergreifend geworden war. Gedämpft hörte er das Getöse der Flugzeuge; als er aufblickte, sah er das Porträt seiner Großeltern von der Wand rutschen.

"Einen ganzen Winter über bin ich jeden Abend im Schnee an der Spree entlang spaziert und habe mich tatsächlich gezwungen, die Symphonie zu hören. Ich hatte sie einfach über, ich kannte sie so gut, die Eröffnungsakkorde konnte ich auch ein Jahr, nachdem ich aufgehört hatte zu schreiben, nicht mehr hören. Aber ich musste sie so genau studieren, um hinter die Noten zu kommen und mir vorstellen zu können, welche Impulse Schostakowitsch womöglich bewegt haben, sie zu schreiben."

Insgesamt hat Sarah Quigley zehn Jahre an ihrem Buch gearbeitet. Immer abends, wenn sie von ihrem Brotjob als Lektorin für englische Texte heim kam.

"Verbissenheit war eine wichtige Charaktereigenschaft, um dieses Buch zu schreiben. Es gibt einfach Phasen wo man denkt: Was zum Teufel tu ich hier eigentlich? Es ist ein bisschen wie ein Langstreckenlauf, es gibt Momente der Stärke und solche, wo man sich nur noch hinsetzen und aufgeben will."

Verbissenheit, auf den ersten Blick passt das nicht zu der Frau, die unkonventionell Pailletten-Top und Print-Rock kombiniert. Eher möchte man es ein gutes Gespür nennen für das, was ihr Weg ist. In ihrer Jugend wollte Sarah Quigley Cellistin werden.

"Aber als ich anfing, Geschichten zu schreiben, merkte ich plötzlich, dass es genau das ist, was ich mit meinem Leben tun wollte. Musik fühlte sich schon zu 98 Prozent richtig an, aber die Literatur, das war wie nach Hause kommen, 100 Prozent ich, 100 Prozent, was ich tun musste."'"

Sarah Quigley lächelt und lehnt sich zurück. Mit ihrem Roman ist es ihr gelungen, beides zu kombinieren: Ihre Liebe zum Schreiben, aber auch ihre Liebe zur Musik.

""Es war wunderschön, wie die Rückkehr in ein Land, das ich immer geliebt habe, aber in dem ich schon lange nicht war."
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