Schottland-Volksabstimmung

Warum es für David Cameron noch schwierig wird

David Cameron zwischen den Flaggen Großbritanniens und der EU.
David Cameron wird über das Ergebnis des Referendums erleichtert sein - trotzdem wird es für ihn in Zukunft nicht leicht. © dpa/EPA/Julien Warnand
Moderation: Korbinian Frenzel · 19.09.2014
Die britische Labour-Abgeordnete Gisela Stuart sieht den britischen Premierminister David Cameron nach der schottischen Volksabstimmung vor neuen Herausforderungen. Gerade für England werde es schwierig, eine Föderalisierung umzusetzen.
Korbinian Frenzel: Schottland hat sich entschieden: Mit etwa 55 Prozent haben die Schotten nein gesagt, nein zur Unabhängigkeit. Das dürfte einen sehr erleichtert haben: den britischen Premierminister David Cameron. Der ist heute Morgen gleich in Downing Street No. 10 vor die Presse getreten und hat ein Statement abgegeben, und einen kleinen Auszug hören wir jetzt:
David Cameron: I also want to pay tribute to „Yes Scotland" for a well fought campaign, and I say to all those who did vote for independence: We hear you. We now have a chance, a great opportunity, to change the way that british people are governed and change it for the better.
Frenzel: We hear you – wir hören jetzt Gisela Stuart, Abgeordnete im britischen Unterhaus für die Labour Party, in Bayern geboren und aufgewachsen, also mit eigensinnigen Völkchen bestens vertraut. Guten Morgen Frau Stuart!
Gisela Stuart: Guten Morgen!
Frenzel: Sie lachen – und Sie sind wahrscheinlich auch erleichtert über diesen Ausgang?
Stuart: Ich bin natürlich unwahrscheinlich erleichtert, und was so wichtig war, ist: Die schweigende Mehrheit hat zu guter Letzt dann doch gesprochen und hat sich entschieden, dass es besser ist, dass wir zusammen sind. Und das ist wichtig für die ganze Insel. Aber die Konsequenzen werden jetzt natürlich interessanter werden, vor allem für England: Was macht man jetzt mit den englischen Städten, mit den englischen Regionen, wenn man Schottland mehr Macht gibt?
Frenzel: Wir haben ja gerade David Cameron gehört, er hat in seiner Rede angekündigt, ja, man kann das eigentlich zusammenfassen, dass er Großbritannien zu einem Föderalstaat machen möchte oder wahrscheinlich machen muss. Das also, was den Schotten jetzt gewährt werden soll, soll auch den Walisern gewährt werden und auch den Engländern, sozusagen als Hauptbestandteil des Vereinigten Königreiches. Ist das ein Weg, den Sie unterstützen?
Stuart: Das haben ja britische Premierminister schon seit Gladstone im 19. Jahrhundert versucht, und es ist ihnen nicht gelungen, und der Grund ist eben, dass England verhältnismäßig so viel größer ist als Schottland, das Walisische, Nordirland, und die Lösung wird schwierig sein. Und wir haben schon London mit den zehn Millionen Bewohnern mehr Entscheidungsrechte gegeben, und diese Asymmetrie der Entscheidungsfähigkeit, das ist dermaßen kompliziert ... Es ist leicht für David Cameron, zu sagen, wir werden das jetzt lösen. Wie das jetzt dann praktisch sein wird, ist erheblich schwieriger.
Frenzel: Das heißt, Sie haben den Eindruck, das sind jetzt erst mal warme Worte für die Schotten, aber es steckt nichts dahinter?
Lösungssuche für England außerhalb Londons
Stuart: Da steckt schon was dahinter, da muss was dahinterstecken. Es ist nur schwierig im englischen Zusammenhang, denn England außerhalb Londons – wir haben keine entwickelten Regionen, sogar unsere Großstädte – ich bin Abgeordnete für Birmingham –, unsere ... Unser wirkliches Wahlgebiet ist etwa 3,6 Millionen Leute in den West Midlands, aber wir haben keine Regierungsstrukturen, die das wirklich vertreten. Und das ist die Herausforderung jetzt für Cameron, wie man die Evolution in England außerhalb Londons in die Wahrheit umsetzt.
Frenzel: Hat die politische Elite – in London, sage ich jetzt mal, in England – diese ganze Situation über Jahre falsch eingeschätzt, verschlafen, also auch inklusive Ihrer Partei, der Labour Party?
Stuart: Nicht so sehr falsch eingeschätzt. Man wollte ganz einfach der Realität nicht ins Gesicht schauen. Unsere schottischen Abgeordneten der Labour-Partei, die waren sich der Probleme unwahrscheinlich bewusst. Aber man hat so gut wie keine konservativen Abgeordneten in Schottland, und deshalb war es leicht, das Problem zu vermeiden und so zu hoffen, dass es ganz einfach weggeht. Deshalb war die Volksbefragung jetzt für mich unwahrscheinlich wichtig. Erstens, die unwahrscheinlich hohe Wählerbeteiligung – es ist ... Die Schotten meinen das ernst. Und jetzt natürlich auch UKIP in England, wo ein Drang auch von den englischen Nationalisten jetzt plötzlich hier ist: Man muss das also lösen. Wie man das lösen wird, das wird natürlich schwieriger.
Frenzel: Es gibt ja die Sorge, dass am Ende ein Staat, auch, wenn er formal noch weiter besteht, innerlich zerfällt. Sehen Sie diese Gefahr bei Großbritannien?
Die Demokratie auf der Insel gestärkt
Stuart: Nein, nein. Ganz sonderbarerweise hat diese Entscheidung und der Prozess der Entscheidung, wie die Wähler jetzt zu diesem Entschluss kamen, hat diese ganze Demokratie auf der Insel unwahrscheinlich gestärkt. Es ist nicht das jetzt möglich, dass es zerbricht, sondern der Prozess hat das Zusammensein gestärkt.
Frenzel: Das heißt, Sie glauben auch, dass die Schotten, also die rund 45 Prozent, die für die Unabhängigkeit waren, dass die mit diesem Ergebnis leben können?
Stuart: Ja, und es war ganz wichtig, dass Alex Salmond vor einer Stunde dann gesagt hat: Ich akzeptiere die Entscheidung der Wähler. Und ich glaube, das wird jetzt auch passieren.
Frenzel: Gisela Stuart, Abgeordnete im britischen Unterhaus für die Labour Party. Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Stuart: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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