Schonungslose Passion einer Hure

Von Franziska Stürz · 13.10.2013
"A harlot's progress" erzählt die Geschichte vom englischen Landmädchen Moll Hackabout: Sie zieht nach London, wird zur Hure, landet im Gefängnis und stirbt schließlich an Syphilis. Es sei eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert, sagt Ian Bell über das Thema seiner Oper, aber auch eine sehr aktuelle Geschichte.
Inspiriert von William Hogarth´s Bilderzyklus aus dem 18. Jahrhundert, der den Niedergang der Hure Moll Hackabout bis zu ihrem Tod an Syphilis im lüsternen London von 1730 dokumentiert, schuf der 33-jährige britische Komponist Iain Bell nun seine erste Oper. Die Hauptpartie der Moll ist der Sopranistin Diana Damrau auf den Leib geschrieben, für die Bell schon seit mehrere Liedzyklen komponiert hat, und die er als seine "erste Muse" bezeichnet.

Eine tragische, Mitleid erregende, bewegende Geschichte will Bell uns erzählen, die auch heute noch Gültigkeit hat, denn leicht ist die Krankheit Syphilis mittlerweile durch HIV oder AIDS zu ersetzen, und die gnadenlose Profitgier regiert nach wie vor die Gesellschaft in den Metropolen dieser Welt.

Regisseur Jens-Daniel Herzog zeigt daher die schonungslose Passion der Hure Moll in einem zeitlosen Bretterverschlag von Bühnenbildner Mathis Neidhardt, der sich zu Beginn der Oper wie eine Kiste schließt, aus der es kein Entkommen mehr gibt. Das gnadenlose Volk giert nach Frischfleisch und es wird beherrscht von Geldgier und geilen, brutalen, skrupellosen Männern. An Kopulationsszenen und Schmerzensausbrüchen mangelt es nicht in dieser Oper.

Das klingt etwas plakativ und eindimensional? Tatsächlich ist die Vorhersehbarkeit der Tragödie in ihrer detailgetreuen Wiedergabe der Hogarth´schen Bilderszenen ein dramaturgisches Problem. Schnell wird klar, hier gibt es keine Hoffnung. Alle Figuren sind bis zuletzt keinerlei Wandlung unterworfen, wenn man von dem krassen Verfall der Titelfigur einmal absieht, der von Diana Damrau absolut glaubwürdig und stimmlich großartig verkörpert wird.

Musikalisch zeichnet Iain Bell´s Komposition ein neo veristischer, absolut sängerfreundlicher Stil aus. Jede Figur hat ihren klar definierten muskalischen Charakter, die Bandbreite reicht von dramatisch sich zuspitzenden, exzessiven und virtuosen Ausbrüchen, in denen die exzellent besetzten Solisten wie auch der beeindruckende Chor gefordert sind, bis hin zu zart schwebenden und sehnsuchtsvoll zehrenden Passagen der gequälten Seelen. Immer ist der Text von Peter Ackroyd Grundlage von Bells etwas naiv-schwelgerischen Klangmalereien. Die stupenden und bravourös präsentierten Fähigkeiten der Koloraturspezialistin Diana Damrau kommen hier voll zur Geltung, wenn auch die lange Sterbeszene der Moll aufgrund der genannten dramaturgischen Schwächen nicht so stark berühren kann, wie beabsichtigt. Zur Moritat fehlt dem Werk die Satire, und die ausschließlich auf realistische Darstellung des Leidens ausgelegte Regie nimmt dem Zuschauer letztlich die Möglichkeit, wirklich ergriffen anstatt betroffen zu sein.