Schöner Spritzen

Fluch und Segen von Botox

Passanten vor dem Schaufenster einer Schönheitspraxis in Berlin, die Botox-to-go und Fett-weg-Behandlung anbietet
Botox-to-go- und Fett-weg-Behandlungen sind für immer mehr Menschen so normal wie der Gang zum Friseur. © imago/Jochen Tack
Von Ariane von Dewitz · 26.02.2017
Viele tun es. Doch keiner spricht darüber: Ungeliebte Falten mit Botox glätten, um ein wenig jünger auszusehen. Das Nervengift wird auch hierzulande immer salonfähiger – und damit auch zum Riesengeschäft für Schönheitschirurgen und Hersteller des Nervengifts.
Manch schönheitsbewusster Großstädter setzt eine Botox-Behandlung bereits mit einer Farbkur für Haare oder einem Zahnbleaching gleich. Botox-to-go mit einem Coffee-to-go – schnelle, einfache und immer kostengünstigere Behandlungen locken Botox-Kunden manchmal sogar während der Mittagspause in große Schönheitstempel, wie die "Ästhetikwelt Berlin".
Bemerkenswert ist auch: Botox-Konsumenten werden immer jünger. Unter Schülern und Studenten hat sich längst herum gesprochen, dass Botox Falten nicht nur tilgt, sondern gar nicht erst entstehen lässt. Psychologen warnen insbesondere vor dem Sucht-Faktor: Der Weg vom Botox-Kunden zum Botox-Junkie sei oft nicht weit. Und: Bei schlechter Dosierung und unprofessioneller Anwendung könne das Nervengift sogar irreversible Gesichtsschäden anrichten. Blaue Flecken, unschöne Rötungen und Verschiebungen – nicht ausgeschlossen.
Ästhetikwelt-Schönheitschirurg Karsten Lange hingegen sieht kein großes Risiko dabei. Und findet: "Warum alt aussehen, wenn man sich nicht so fühlt?"

Das Manuskript in ganzer Länge:
Den roten Teppich zum Eingang in die "Ästhetikwelt Schönheit" hat Julia bereits selbstbewusst abgeschritten und sich danach an der goldenen Empfangstheke des Beauty-Studios angemeldet. Nun sitzt die 26-jährige Berlinerin mit dem blond gefärbten Haarschopf, auf einem imposanten lila Samtsofa im Patienten-Wartebereich. Sie nippt an ihrem Gurkenwasser, lässt den Blick über Aquarium, den vor sich hin köchelnden Samowar und riesige Flatscreens schweifen. Darauf zu sehen: Junge, faltenlos lächelnde Menschen, die in Zeitlupe durchs Bild schweben und für Botox-Behandlungen werben.
Genau deshalb ist Julia heute hier. Gleich wird auch sie sich mit einer winzigen Nadel das Nervengift Botox unter die Gesichtshaut spritzen lassen. Schönheitschirurg Karsten Lange holt sie für diesen minimal-invasiven Eingriff in der Wartehalle ab.
Arzt: "So, wollen wir loslegen?"
Patientin: "Ja."
Arzt: "Dann kommen Sie doch mal mit, wir gehen mal in unseren Behandlungsraum."
Arzt: "Sie waren ja schon bei uns zur Behandlung, nicht?"
Patientin: "Ja."
Arzt: "Aber, sie wissen, es muss sein: Vor jeder Behandlung müssen wir eine ausführliche Beratung machen. Da Sie ja schon ein paar Mal da waren, können wir es ja eigentlich kurz halten. Und Sie wissen ja, mit der Beratung ist ja gar nicht so kompliziert. Botulinumtoxin ist ein Präparat, ein normales Medikament, was leider ein bisschen einen schlechten Namen abbekommen hat. Es heißt immer Toxin, aber ich finde es nicht so giftig. Wenn man weiß, was man als Arzt macht, ist das Risiko einer Botulinumtoxin-Therapie sehr gering."
Patientin: "Das ist mir bekannt, ja. Das hab ich doch ja schon vor sechs Monaten machen lassen. Und das hat eigentlich gut geholfen."
Geholfen hat die letzte Botox-Behandlung gegen Julias heftige Migräne, die sie bereits seit acht Jahren ständig quält. Abends geht sie kaum noch vor die Tür, in Bars und Discos hält sie es nicht aus, ihr Freund und auch die Freundinnen sind schon genervt von ihrem konsequenten Rückzug. Die quirlige und eigentlich unternehmungslustige Julia leidet selber am allermeisten darunter.
Patientin: "Das wird mir niemand glauben, aber das sind Migräneanfälle vielleicht ein Mal die Woche. Gestern war es zum Beispiel ganz schlimm. Und das ist keine Lebensqualität. Deswegen versucht man ja alles. Hab Akkupunktur versucht, Medikamente versucht. Botulinum hat mal geholfen, für sechs, acht Wochen."
Arzt: "Immerhin."
Patientin: "Immerhin, ja. Das war mein erstes Mal. Und jetzt bin ich wieder hier. Hauptsache es funktioniert."

Siegeszug seit den 1980er-Jahren

Mitte der 1980er-Jahre beginnt Botox seinen Siegeszug durch die Schönheitschirurgie. Forscher hatten damals begriffen, Gesichtsfalten entstehen durch die stete Aktivität von Muskeln. Das bedeutet: Lachfalten für die, die viel lachen, Runzelfalten für jene, die ständig die Stirn runzeln. Oder auch die "Zornesfalte", die bei vielen gefürchtete senkrechte Hautvertiefung zwischen den Augenbrauen, bei jenen, die sich viel ärgern oder konzentrieren.
Wenn nun Botox unter die Haut gespritzt wird, werden genau diese Muskeln betäubt. In der Folge glätten sich die Falten für ein paar Monate oder können – noch besser – dank lahmgelegter Mimik gar nicht erst entstehen. Angenehmer Nebeneffekt für Migräne-Patienten: Durch die Entspannung der Muskulatur verschwindet bei manchen auch der quälende Dauerschmerz. Von einer Freundin hatte Julia gehört, Botox könne dabei Linderung verschaffen. Im Internet stieß sie dann auf Karsten Lange, der inzwischen immer häufiger auch Migränepatienten mit dem Nervengift behandelt.
Arzt: "So Frau Müller, wollen wir zur Tat schreiten?"
Patientin: "Können wir machen, ja."
Arzt: "Ich würde mal sagen: Sie legen sich hier auf diese Liege, sie können es sich richtig schön bequem machen. Damit die Sache nicht schmerzhaft ist oder zumindest sehr gering schmerzhaft ist und vor allem, dass wir vor allen Dingen auch keine Blutergüsse haben, keine blauen Flecke haben, kühle ich ganz gerne vorher mit Eis."
Patientin: "Kalt, Angst, gleichzeitig. Aber es lohnt sich. Ich weiß ja, dass es besser wird. Deswegen: Ich konzentriere mich jetzt auf die Spritze!"
Julia schließt die Augen, legt die Beine übereinander, faltet ihre Hände so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. Spritzen, so sagt sie, sind ihr ein Graus.
Arzt: "Jetzt haben vier fünf kleine Piekse gemacht – und schon ist die Zornesfalten-Region beruhigt."
Auf einem blauen Tuch liegen auf weißen Tüchern eine Botox-Ampulle und eine Spritze parat.
Botox-Ampulle und Spritze - Handwerkszeug des Schönheitschirurgen© AFP
Patientin: "Den Einstich hat man gar nicht gemerkt. Aber beim Spritzen knistert es so. Das ist wie betäubt, würde ich sagen. Also wenn man eine lokale Betäubung schon mal hinter sich hat. Dann weiß man, wie sich das anfühlt."
Arzt: "Na da haben wir jetzt hier lauter diese kleinen Beulchen, so wie kleiner Mückenstich. Das ist ungefähr fünf Minuten, zehn Minuten. Ja? Das sind wir wieder beim Thema Botox-to-go: Wenn sie jetzt fünf Minuten warten, dann sehen Sie nichts das irgendwas gemacht wurde. Gar nichts."
Und dann tut Karsten Lange etwas, womit Julia nicht gerechnet hatte. Der Schönheitschirurg, der seit acht Jahren auf Botox-Behandlungen spezialisiert ist und sich sogar selber die Falten aus dem Gesicht spritzt, fragt Julia, ob sie sich traut, heute noch weiter zu gehen.
Arzt: "Wollen wir es heute machen wie immer, dass wir nur die Zornesfalte beruhigen? Oder wollen wir heute mal die ganze Stirn?"
Patientin: "Die Stirn?"
Arzt: "Ja, ich seh schon, sie sind ja noch sehr jung. Hab gerade mal gelinst, erst 26 Jahre, da würden viele sagen: Um Gottes Willen, mit 26 Jahren schon eine Botox-Therapie? Ich gestehe, dass ich das vor fünf oder zehn Jahren auch noch abgelehnt habe, Frauen unter 30 mit Botox zu behandeln. Warum denn? Sind ja noch keine Falten da.
Also diese Meinung habe ich jetzt revidiert. Auch aus der Erfahrung aus Amerika, dass da viele schon mit 18 anfangen. Und ich denke: So eine schlechte Idee ist das gar nicht. Wir beruhigen mit dem Botolinumtoxin nur die mimische Muskulatur. Und wenn wir diese mimische Muskulatur nicht mehr machen können, die Stirn nicht mehr so extrem bewegen können: Dann können wir gar keine Falten erst bilden!"

Ganze Studentengruppen stehen Schlange

Weil immer mehr junge Menschen genau dies anstreben, nämlich erst gar keine Falten zu bekommen, um das fortschreitende Alter zumindest äußerlich auszublenden, stehen in Karsten Langes' Ästhetikwelt mittlerweile ganze Studentengruppen Schlange. Bis zu 50 Botox-Patienten behandelt er täglich. Gurkenscheiben und viel Schlaf reichen nicht mehr aus, um heute schön zu sein.
Auch Julia möchte ihre babyzarte, noch faltenfreie Haut gerne für immer behalten. Doch der Gedanke an eine völlig bewegungslose und damit ausdruckslose Stirn ist ihr auch ein wenig unheimlich.
Patientin: "Zur Kommunikation ist ja auch die Mimik sehr wichtig, Doktor. Wie funktioniert denn das? Also ich guck, glaube ich, generell streng. Entfällt dann meine Mimik komplett mit meiner Stirn? Oder wie sieht das letztendlich aus?"
Arzt: "Natürlich können Sie dann die Zornesfalte dann nicht mehr so 100 Prozent bewegen. Das kann man aber vorher absprechen. Man muss nicht eine hundertprozentige Beruhigung der Stirn machen. Sie können noch lachen, den Mund können Sie bewegen, die strahlenden Augen können Sie immer noch anwenden und die Männer. Nur sie können eben diese böse Falte in der Zornesregion nicht mehr machen und die Stirn nicht mehr nach oben ziehen. Aber braucht man die Mimik? Ich denke nicht."
Julia ist schnell überzeugt und willigt ein. Mehr zahlen muss sie dafür nämlich nicht, Karsten Lange macht da heute eine Ausnahme: Ein kleiner Rest der muskelbetäubenden Substanz ist ohnehin noch in der Spritze. Normalerweise kostet in der Ästhetikwelt eine Botox-Behandlung für einzelne Gesichtspartien rund 140 Euro – für eine Komplett-Behandlung müssen Kunden bis zu 400 Euro berappen.
Julia hält sich weiterhin ein Kühlelement an die Schläfe, Karsten Lange setzt die Nadel an und spritzt nun noch etwas Botox in Julias Stirn – ein paar sogenannte "Krähenfüße", kleine Fältchen im Augenbereich, sollen auch noch gleich mit geglättet werden. "Das ist wirklich keine große Sache", sagt Julia. Schließlich kennt sie auch viele andere junge Leute, die sich beim Schönheitschirurgen ein bisschen das Gesicht "auffrischen" lassen.
Patientin: "Die Schwestern von meinen Freunden lassen es auch machen. Ja, warum nicht? Die Lippen sind gemacht, im Gesicht ist was gemacht. Und das ist deren Lebensstandard. Wenn sich einer unwohl fühlt, mit dem Lächeln oder mit den Falten in ihrem Alter, mit 27, 28. Die Krähenfüße oder die typische Zornesfalte, die lassen sie wegspritzen. Dann sieht man wie gesagt anders aus, freundlicher."
Julia findet außerdem, dass man für ein gepflegtes Erscheinungsbild eben unbedingt etwas Geld in die Hand nehmen müsse.
Patientin: "200 Euro. Ja, doch. Und ich denke, wenn man sich gut fühlen möchte, schön fühlen möchte, möchte man auch das passende Geld dafür haben. So wie mit den Anziehsachen."
Nach den letzten Spritzen, bleibt Julia noch kurz liegen, blickt in einen Handspiegel und ist zufrieden. Auf die erzielte Botox-Wirkung muss sie nun noch ein bisschen warten. Das Nervengift wirkt erst in ein paar Tagen. Wenn man es nicht besser wüsste, ließe sich in ihrem Gesicht kaum eine Veränderung ausmachen. Blaue Flecken, unschöne Wölbungen – nichts zu sehen. Viele Patienten kommen darum mal eben in der Mittagspause, mit einem Coffee-to-go in der Hand zum Botox-to-go. So wie Julia, die ihren mitgebrachten Kaffee jetzt einfach weitertrinkt.
Arzt: "So Frau Müller, hoffe es war nicht so schlimm, hat nicht zu doll weh getan."
Patientin: "Nein, nur die Einstichstellen."
Arzt: "Hoffen wir also, dass die Migräne wieder weniger wird, oder wenn sie deutlich weniger wird, hätten wir auch wieder einen Erfolg."
Patientin: "Ich werde berichten."
Arzt: "Genau. Ich erwarte keine Probleme, aber falls was sein sollte, einfach mal anrufen, unsere Telefonnummer haben sie ja, ansonsten sehen wir uns ja in einem viertel bis halben Jahr wieder."
Patientin: "Ich melde mich, wie vor fünf Monaten."

Botox-Behandlung auf Level der Kosmetik angekommen

Nur ein paar Kilometer entfernt von der Berliner "Ästhetikwelt" liegt die International Psychoanalytic University, kurz IPU. Hier arbeitet Psychoanalytikerin und Professorin Benigna Gerisch und beschäftigt sich in ihrem Forschungsprojekt "Aporien der Moderne" seit längerer Zeit mit den psychischen Entwicklungen von Menschen, die ihre Körper mannigfach modellieren.
Professor Gerisch, lange blonde Haare, schwarz getuschte Wimpern, sitzt an ihrem Schreibtisch in einem großen, lichten Büroraum und blättert mit prüfendem Blick durch die Prospekte von Karsten Langes' Zentrum für ästhetische Chirurgie. Werbeslogans wie "Entdecken Sie ihre Schönheit" oder "Gutes Aussehen stärkt ihr Selbstbewusstsein" lassen die Psychoanalytikerin nur den Kopf schütteln.
Prof. Dr. Gerisch: "Die Botox-Behandlung suggeriert ja und vermittelt, so auch die Werbestrategien, dass damit etwas besser ist. Und was damit besser ist, ist vor allem das Verschwinden von Falten, den einschlägigen Falten. Also die Spuren von Lebenszeit, die uns ins Gesicht eingeschrieben ist, die sollen getilgt werden. Und es hat eben eine Normalität bekommen, genauso wie wir eben geneigt sind, uns die Zähne bleachen zu lassen, die Haare machen zu lassen, Augenbrauen zu zupfen und, und, und. Und inzwischen haben wir eben on top sozusagen die Botox-Behandlung. Und dieses Botox-to-go suggeriert eben: Es ist harmlos und es ist etwas, was absolut zugänglich ist. Es ist auf die Schnelle gemacht. Es ist sozusagen auf dem selben Level angekommen, wie die Kosmetik insgesamt."
Es ist Nachmittag geworden. Benigna Gerisch blickt aus dem Fenster auf Spaziergänger, die an der Spree entlang flanieren und auf langsam vorbei gleitende Touristen-Boote. Die Analytikerin glaubt: Das stete Kreisen und Perfektionieren der eigenen Physis habe tiefere Ursachen, als nur die Sehnsucht nach einem möglichst perfekten Erscheinungsbild.
Prof. Dr. Gerisch: "Das Herumwerkeln am Körper kann eine Strategie sein, um eben im Sinne einer Verschiebung, um sich mit anderen Konflikten, im Leben, im Inneren nicht auseinander setzen zu müssen. Und in dieser Verschiebung liegt die große Gefahr und darin liegt auch das Suchtpotential, weil wir aus diesen Untersuchungen und diesen Studien wissen, dass eben auch nach einem Eingriff – und selbst wenn der geglückt ist – die Konfliktlagen überhaupt in keiner Weise besser sind. Im Gegenteil. Die Enttäuschung, die Frustration ist noch größer, weil das große Lebensglück, die große Zufriedenheit sich eben nicht eingestellt hat."
Diese so genannten "Schönheitsjunkies", sagt Benigna Gerisch, suchen dann im Sinne der Konfliktverschiebung, sofort nach der nächsten zu optimierenden Problemzone am Körper.
"Könnte es jetzt nicht daran liegen, dass meine Ohren ... und dann entsteht das suchtähnliche: Wenn ich mich also erstmal allen potenziellen und vermeintlichen Makeln entledigt habe, dann kommt vielleicht die große Zufriedenheit."
Wie um zu demonstrieren, dass ihre eigene Mimik durchaus noch Gemütszustände ausdrücken kann, runzelt Benigna Gerisch die Stirn über das, was Schönheitschirurgen oft lauthals verkünden. So ist die Analytikerin irritiert darüber, wie sehr manche die möglichen Folgen von Botox-Eingriffen verharmlosen.
Prof. Dr. Gerisch: "Ja, es können einfach Nerven getroffen werden, die dann so gelähmt sind, dass es fast zu so Symptomen kommt, wie nach einem Schlaganfall. Also zu massiven Entstellungen, zu Gesichtslähmungen, zu krassen – mit Verlaub – Asymmetrien, die dann exakt das hervorbringen sozusagen, was man ja eigentlich zu vermeiden trachtet."

Rund 90 Prozent der Kunden sind Kundinnen

Ein paar Tage später. Es ist schon dunkel draußen, Nils Schubert raucht noch eben eine Zigarette vor der Tür und betritt dann die hell erleuchteten Empfangsräume der Berliner "Ästhetikwelt" von Karsten Lange. Er ist einer der wenigen Männer, die sich zu einem Schönheitseingriff entschließen – rund 90 Prozent der "Ästhetikwelt"-Kunden sind immer noch Frauen.
Der 38-jährige Kameraassistent mit den dunkelbraunen Haaren und einer knirschenden Lederjacke wirkt gehetzt und unsicher, senkt bei Augenkontakt sofort den Blick. Er nimmt auf dem lila Samtsofa Platz, hibbelt mit den Füßen. Zwischendurch blickt er verstohlen zu einer anderen wartenden Patientin, die durch sichtlich zu viele Botox-Behandlungen eher an eine Puppe, denn an eine reale Person erinnert. Sie bewegt konstant ihre aufgeblähten Lippen, redet mit sich selbst und wackelt dabei mit dem Kopf. Nils Schubert springt erleichtert auf, als Karsten Lange ihn begrüßt.
Arzt: "Hallo Herr Schubert. Grüß Sie. Na, da sind sie ja wieder."
Patient: "Schönen guten Tag."
Arzt: "Sie waren doch neulich schon hier, zwei, drei Wochen ist das her, oder?
Patient: "Nein, zwei Monate."
Arzt: "Zwei Monate? Was haben wir da gemacht?"
Patient: "Hyaloronsäure unter die Augen."
Arzt: "Ah, ja, ich seh es. Sie hatten ja immer ein bisschen Probleme mit den Augen. Ist aber schon deutlich besser geworden das mit den Augen. Was haben wir heute für ein Problem?"
Patient: "Heute hätten wir die Augen gerne im oberen Bereich ein bisschen präsenter."
Arzt: "Ah, präsenter. Naja, is ja nicht ganz einfach. Na gut. Wollen Sie sich noch mal hinsetzen oder wollen wir zur Tat schreiten?
Patient: "Ich denke, wir legen los."
Der Patient streckt sich auf der Liege aus, Karsten Lange setzt die Botox-Spritze nur an ein paar wenigen Stellen an. Nils Schubert ist freundlich im Gespräch, doch seine Mimik wirkt grimmig, wie bei einem Stier hängt ihm die Stirn tief ins Gesicht und lässt seine Augen fast verschwinden. Zwischen den Brauen: Eine tief eingefurchte Zornesfalte, unter der der Patient sehr leidet. Einmal hat Nils Schubert eine Botox-Behandlung bei einem anderen Arzt gemacht – an die Folgen denkt er nicht gerne zurück.
Arzt: "Wenn wir jetzt Botox bei Ihnen in die ganze Stirn reinmachen, dann ist das richtig kontraproduktiv. Da passiert Ihnen genau das, was Sie nicht wollen: Da würden nämlich die Augenbrauen runterkommen. Und die relativ klein wirkenden Augen wären dann noch kleiner. Sie hatten es ja schon mal irgendwie gemacht, oder?"
Patient: "Ja, das hatte ich bei Kollegen schon mal gemacht und war sehr unzufrieden. Wohlgemerkt woanders als hier – und ich hoffe, dass das hier nicht noch mal der Fall wird. Weil sich die Stirn sehr runterzog und man hat einen sehr bösen Blick gehabt. Und das ist ja nicht so Sinn und Zweck der Übung gewesen. Der Zweck war, dass man quasi jünger aussieht und nicht unbedingt böser oder unsympathischer."

Schönheitschirurg versteht sich als Bildhauer

Im Gegenteil: Fröhlich, sympathisch, glücklich – so will Nils Schubert aussehen. Deshalb will er es trotzdem noch mal mit ein bisschen Botox versuchen. Zu sehr schmerzt es ihn, dass manche Menschen einen Bogen um ihn machen, weil sie seinen Blick missdeuten. In einer Kultur der "Happy-Faces", auf Werbeplakaten, in Hollywoodfilmen und auf Selfies, sollen unangenehm wirkende Affekte, wie Wut oder Ärger auch bei Männern nicht mehr allzu deutlich sichtbar sein. Diese Entwicklung beobachtet auch Karsten Lange, der sich zunehmend als Bildhauer schöner, symmetrischer Gesichter versteht. Nils Schubert nimmt´s mit Humor.
Arzt: "Es kann leider mal sein, dass wenn man es nicht richtig macht oder zu doll macht, dass es dann so ein bisschen wie Spock aussieht. Na, dann geht die Augenbraue an der Seite zu doll hoch."
Patient: "Na, wenn er Spock sagt, dann gehe ich davon aus, dass die Ohren auch noch irgendwie spitz werden, oder?"
Arzt: "Na, das passiert nicht, klar. Wenn es in der Mitte hochgeht, dann sieht es ein bisschen wie Mephisto aus. Das ist so ein bisschen ein schlitzohriger Blick."
Patient: "Wollen wir auch nicht."
Arzt: "Wäre auch nicht schlecht, genau. Wir versuchen es heute. Versuchen heißt: Man kann es nicht hundert Prozent garantieren, weil es ist eine reflektorische Sache, ja? Wir können mit Botox nur Muskulatur beruhigen. Und wir können erreichen, dass reflektorisch ein anderer Muskel verspannt. Wenn es ein bisschen wie Mephisto aussieht oder wie Spock – können wir einen ganz kleinen Korrektur-Pieks machen: Und dann ist das Thema erledigt. Bisschen Photo-Shop machen wir hier. Da sind wir wieder beim Thema: Ich bin ja nicht nur Arzt, sondern auch Künstler. Wir haben hier schon ein bisschen bildhauerische Möglichkeiten, ja?"
Nils Schubert hat es geschafft, die Behandlung ist vorüber, sichtlich erleichtert kann er nun nach Hause gehen.
Arzt: "Gut, Herr Schubert."
Patient: "Herr Dr. Lange .."
Arzt: "Wiedersehen Herr Schubert, bis zum nächsten Mal. Wie gesagt, wenn es nicht so 100 Prozent funktioniert hat, wie Sie sich das vorgestellt haben, bitte anrufen, dann kann man noch etwas nachkorrigieren. Aber ich denke mal, wir haben das schon optimal gemacht. Also einfach anrufen …"
Patient: "Alles klar."
Arzt: "Kommen Sie gut nach Hause."
Patient: "Danke, danke."
Arzt: "Wenn Sie zufrieden sind, kommen Sie wieder in unsere 'Ästhetik'-Welt. Ciao, ciao."
Patient: "Ciao!"
Es ist nun fast 20 Uhr, Karsten Lange gähnt, er hat einen langen Tag hinter sich. Das Geschäft brummt, es läuft bestens für den Berliner Arzt, der auch immer mehr Fachkräfte in seiner 530 Quadratmeter großen "Ästhetikwelt" ausbildet. Und: Wer einmal Kunde ist, kommt wieder, so seine Erfahrung. Denn wenn die Wirkung des Nervengiftes nach ein paar Monaten nachlässt, kommt mit den Falten auch die alte Enttäuschung zurück. Irgendwann doch sichtbar altern? Das wollen nur die wenigsten seiner Kunden erdulden.
Arzt: "Was aber leider und ich sage mal für mich zum Glück immer wieder passiert, ist dass die Patienten einfach so einen tollen Erfolg verspüren, entweder sind die Falten total weg oder die Migräne ist deutlich besser oder das Aussehen ist besser – und wenn das Preis-Leistungsverhältnis dann so ist, dann passiert das was ich immer sage: Zu 99 Prozent macht Botolinumtoxin süchtig, weil die Kunden eigentlich alle wiederkommen."
Pathologisch werde es erst dann wenn Patienten nach kurzer Zeit erneut vor der Tür stehen, um das Glücksgefühl sofort wieder haben zu wollen, sagt Karsten Lange dann noch. Auch solche Menschen kommen zu ihm in seine funkelnde "Ästhetikwelt", einen Ort, der auch an trüben Großstadt-Tagen einen Hauch von Hollywood verspricht.
Im Wartebereich, auf dem lila Sofa neben dem leise plätschernden Brunnen, sitzt immer noch jene Frau, die mit sich selber spricht. Ihre Augen sehen müde aus. Die gänzlich faltenfreie, wie ein Laken über die knochigen Konturen gespannte Haut, soll sichtlich den Eindruck erwecken, Alter und Tod transzendiert zu haben. Durch das offensichtliche "Zuviel” des Nervengiftes ist jedoch genau das Gegenteil eingetreten. Als Dr. Lange sie endlich aufruft, leuchten die Augen der scheinbar alterslosen Dame, hastig eilt sie in das Behandlungszimmer – und schließt die Tür hinter sich.
Autorin Ariane von Dewitz
Autorin Ariane von Dewitz© Privat
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