Schneechaos bei Vierschanzentournee

"Man versucht, wieder ins Gleichgewicht zu kommen"

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Der ehemalige Skispringer Jens Weißflog während einer Fernsehshow. © imago / Star Media
Jens Weißflog im Gespräch mit Liane von Billerbeck und Hans-Joachim Wiese · 29.12.2014
Erst verschoben, dann unterbrochen und auf den nächsten Tag verlegt: Die Vierschanzentournee in Oberstorf konnte wegen des Wetters nicht wie geplant starten. Für harsche Bedingungen werden die Sportler eigentlich trainiert, sagt Jens Weißflog, selbst viermaliger Gewinner der Tournee.
Liane von Billerbeck: Wir tummeln uns noch ein bisschen weiter im Schnee. Zuerst waren ja alle bitter enttäuscht, weil es mit der weißen Weihnacht nichts wurde, jedenfalls nicht zu Heiligabend, und jetzt gibt es natürlich gleich wieder zu viel Schnee. In Oberstdorf etwa, da hat gestern Nachmittag die Vierschanzentournee begonnen, oder man muss ja sagen: hätte beginnen sollen. Denn weil es so heftig schneite und stürmte, wurde der Start erst fünfmal verschoben und der Wettbewerb dann sage und schreibe neunmal unterbrochen, bis er dann schließlich abgesagt wurde.
Hans-Joachim Wiese: Und der zweite Versuch begann dann heute um 17:30 Uhr bei deutlich besserem Wetter. Glücklicherweise, denn auf solch einen Nervenkitzel wie gestern können die Athleten mit Sicherheit verzichten. Marinus Kraus etwa, der wegen starker Windböen in schwere Turbulenzen geriet und einen Sturz so gerade noch mit einer kunstvollen Notlandung verhindern konnte.
von Billerbeck: Jens Weißflog, der hat im Skispringen alles gewonnen, was es so zu gewinnen gibt bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und bei der Vierschanzentournee natürlich auch. Da stand er allein viermal auf dem Siegertreppchen. Und jetzt ist er am Telefon, guten Abend!
Jens Weißflog: Hallo, guten Abend!
von Billerbeck: Wie fühlt man sich eigentlich so hoch oben auf der Schanze, wenn man vor Schneetreiben die Hand vor Augen nicht sehen kann und der Wind pfeift und orgelt, und man muss trotzdem springen?
Training ja, Wettkampf nein
Weißflog: Ja, also, ich sage mal, es ist alles recht relativ. Ich sage mal, unter solchen Bedingungen kann man durchaus trainieren, aber natürlich keinen Wettkampf durchführen, der für alle gleiche Bedingungen bietet. Und es waren natürlich auch starke Windböen drin, bis zu sieben Meter pro Sekunde. Das lässt sich, wie gesagt, im Training anpassen, aber bringt natürlich im Wettkampf doch noch etwas mehr Spannung mit sich.
Wiese: Na ja, Spannung ist da vielleicht ein bisschen untertrieben, Herr Weißflog! Haben Sie denn mal eine Situation erlebt, in der Sie sagten, nee, unter den Bedingungen springe ich nicht?
Weißflog: Die gab es durchaus. Also, ich glaube, in Lahti, in Finnland war das mal, wo wir dann später auch offiziell das Ränzlein wieder gepackt haben. Da muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich an dem Tag in der Lage fühlt, da runterzuspringen und quasi auch mit den Bedingungen umgehen zu können. Und das entscheidet jeder selbst oben auf der Schanze und sagt dann, vorne oder hinten runter.
Hans-Joachim Wiese: Aber gezweifelt haben Sie nie? So nach dem Motto, hätte ich doch was Vernünftiges gelernt, dann müsste ich mich jetzt da nicht in diesen Abgrund stürzen?
Weißflog: Ja, ich meine, das Leben besteht ja nicht aus Zuckerwatte oder wie auch immer, dass es immer nur Sonnenschein gibt und schönes Wetter und heute sind wir gut drauf und springen halt da runter. Sondern es gibt eben einfach auch mal solche Bedingungen, dazu ist die Weltspitze im Prinzip auch trainiert, trainiert das ganze Jahr und kann auch durchaus mit solchen Bedingungen umgehen.
von Billerbeck: Spielt denn eigentlich der Nervenkitzel auch eine Rolle, dass man da oben spielt und denkt, ja, das will ich?
Keine adäquaten Bedingungen für alle Wettkämpfer
Weißflog: Ja, es gibt durchaus Typen, denen das sicherlich gar nichts ausmacht. Ich meine, unter diesen Bedingungen lässt sich durchaus ein Training durchführen. Da kann man mal fünf Minuten warten und dann springt man eben. Unter Wettkampfbedingungen, wie gesagt, nicht, weil, 50 Leute da runterzubringen und jedes Mal mit fünf Minuten Pause, da dauert dann der Wettkampf doch etwas zu lang. Und natürlich auch kann man keine adäquaten Bedingungen bieten für jeden, der dann da oben sitzt.
von Billerbeck: Aber es ist immer so, dass der Springer dann da oben – oder die Springerin, inzwischen gibt es ja auch Frauen –, da oben auf dem Schanzentisch entscheidet oder am Start entscheidet, ich springe oder ich springe nicht? Da kommt nicht der Trainer und sagt, du springst jetzt?
Weißflog: Nein, das ist schon noch der Springer selbst. Außerdem, es gab im Vorfeld irgendwelche Dinge wie vielleicht schon mal so einen Sturz oder was, da greift dann der Trainer durchaus ein. Und selbst wenn der Springer annimmt, dass er heute springt, kann durchaus der Trainer mal sagen, pass mal auf, wir lassen das heute mal lieber, um auch den Springer zu schützen.
Wiese: Marinus Kraus konnte, wie gesagt, einen schweren Sturz gestern gerade noch so verhindern. Welche Möglichkeiten hat ein Skispringer eigentlich zu reagieren, wenn er schon in der Luft ist und ihn eine Windböe packt? Man sieht die da immer mit den Händen fuchteln und so, aber man kann sich gar nicht vorstellen, dass das irgendeine Wirkung hat, als Laie.
Man versucht, wieder ins Gleichgewicht zu kommen
Weißflog: Ja, das hat doch durchaus eine Wirkung. Also nicht nur … Es ist ja eine Kombination, nicht nur die Arme rudern, sondern man versucht, das gesamte System irgendwie in der Luft gerade zu halten, dass man quasi wieder auf den Boden kommt. Und es sind quasi Reaktionen aus den Dingen, die da passieren. Man versucht einfach, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Was natürlich bei einer Geschwindigkeit von über 90 km/h dann oft ein bisschen komisch aussieht, aber einfach Reaktionen sind auf Dinge, die da passieren.
von Billerbeck: Wir können ja natürlich einen Experten wie Sie nicht einfach so entlassen, zumal wenn er auch noch vierfacher Sieger bei der Vierschanzentournee gewesen ist, ohne zu fragen, wie denn nun die deutschen Skispringer abschneiden werden! Was sagen Sie denn?
Weißflog: Wenn ich das wüsste, hätte ich ein Wettbüro und bräuchte ich nicht mehr arbeiten, so ungefähr! Nee, es wird immer schwieriger, also, egal ob das die Deutschen sind oder überhaupt, international einzuschätzen, wer denn nun der Favorit für die Tournee ist, weil eben Bedingungen immer mehr eine Rolle spielen. Weil, es ist ja nicht mehr Wind geworden als früher, aber die Einflüsse auf das Skispringen selbst durch das veränderte Material, durch die veränderte Aerodynamik im V-Stil, die haben halt immer größeren Einfluss. Und ich will nicht sagen, es ist immer mehr eine Lotterie, aber es gehört auch denke ich mehr auch das Glück dazu und du bist heute mal Erster und morgen Zwanzigster. Solche großen Unterschiede gab es zu unserer Zeit nicht, da war das Voraussagen zumindest einfacher.
von Billerbeck: Jens Weißflog war das, vierfacher Vierschanzentourneegewinner, heute bei uns am Telefon. Einen guten Rutsch Ihnen und danke für das Gespräch!
Weißflog: Ich bedanke mich auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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