Schnee macht Zugvögeln zu schaffen

Ute Welty im Gespräch mit Wolfgang Fiedler · 28.03.2013
Wegen der winterlichen Witterung könnten die Verluste bei Zugvögeln in die Zehntausende gehen, sagt der Vogelkundler Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie. Ernsthaft bedroht seien die Arten aber nicht.
Ute Welty: Ja, wir sind es alle leid: diese Daunenjacken, diese fetten Stiefel, dieses Winterwetter an Ostern. Und leid sind es auch die Zugvögel, die sich wegen ihres Federkleids eben nicht mit einer zusätzlichen Daunenjacke helfen können. Die können im Zweifel nur zurückfliegen, wenn sie denn noch können. Das alles beobachtet Wolfgang Fiedler mit Sorge, denn es geht hier um seine Klientel. Wolfgang Fiedler ist Vogelkundler am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Guten Morgen!

Wolfgang Fiedler: Guten Morgen!

Welty: Wie kalt ist es denn noch bei Ihnen und was bedeutet das für die Vögel? Also in Berlin hat es heute Früh geschneit.

Fiedler: Das tut es hier auch gerade am Bodensee. Es ist zwar nicht wahnsinnig kalt, aber wir haben jetzt schon wieder eine geschlossene Schneedecke und das ist das, was den Vögeln wirklich Probleme macht.
Welty: Warum ist es ausgerechnet der Schnee und nicht die Temperatur alleine?

Fiedler: Das ist vor allem die Zugänglichkeit der Nahrung. Wir haben jetzt – und das ist eigentlich plangemäß – die Rückkehr von sehr, sehr vielen Insekten fressenden Vogelarten, und die müssen natürlich jetzt vor allem am Ende ihrer Reise – oder auf der Rast während ihrer Reise – Insekten finden können. Und wenn da der Schnee oben draufliegt, dann finden die schlichtweg nichts, und manche verhungern dann auch.

Welty: Also es braucht Temperaturen über null, damit der Vogelzug Sinn macht?

Fiedler: Zumindest, damit sie hier die paar Tage aushalten können, bis sie dann teilweise noch weiter nach Nordost ziehen können, wo sie eigentlich hin möchten.

Welty: Offenbar guckt ja keiner der Vögel den Wetterbericht, sonst wüsste er ja, dass es zu kalt ist. Aber was bestimmt denn dann den Zeitpunkt des Aufbruchs in Richtung Deutschland?

Fiedler: Das ist uns eigentlich noch nicht so ganz klar. Es ist so, dass bei vielen Kleinvogelarten eigentlich keine Möglichkeit besteht, irgendwas zu lernen. Die werden nur zwei oder drei Jahre alt. Dort wird der Zug durch die Gene bestimmt, und da war es natürlich so in den letzten Jahren: Die, die früh gekommen sind, die hatten Vorteile, weil es schöne warme Frühjahre gab, und entsprechend haben sich diese Gene auch fortgepflanzt. Und in diesem Jahr rächt sich das ein bisschen. Wer dieses Jahr früh dran ist, der kommt wahrscheinlich gar nicht mehr bis zur Fortpflanzung.

Welty: Ein Teil der Vögel fliegt zurück, wie die Stare. Es gibt aber auch Vogelarten, die das gar nicht schaffen können, wie die Mehlschwalben zum Beispiel. Kann das eine ernsthafte Bedrohung für die Art werden?

Fiedler: Für die Arten möglicherweise nicht. Also das ist ganz schwer abzuschätzen, weil wir auch nicht genau wissen, aus welchen Teilen Europas im Moment wirklich die Vögel bei uns sitzen. Also es kann gut sein, dass sich im Moment hier alles mischt, von den Brutvögeln in Nord-Baden-Württemberg bis zu denen in Süd-Schweden. Das heißt, die ergießen sich in einen Riesenbereich rein. Aber, sagen wir mal, auf Individuenebene, da sehen wir schon große Verluste. Also es sind sicherlich etliche Zehntausend Vögel, die das jetzt nicht überleben werden.

Welty: Gibt es Gegenden von Deutschland, die sich besser eignen im Moment als andere?

Fiedler: Also generell die tieferen Lagen und die wärmeren Gebiete, weil dort einfach der Schnee doch wenigstens hin und wieder weggeht oder gar nicht erst liegen bleibt und es so kleine Bereiche gibt, wo der Boden noch zugänglich ist. Also das sind sicherlich im Moment die besseren Bereiche. Und dort konzentriert es sich ja auch.

Welty: Auf der anderen Seite gibt es ja auch Vögel, die in Deutschland überwintern. Bleiben die jetzt einfach länger?

Fiedler: Wir hatten echte Wintergäste in größerer Schar, zum Beispiel die Seidenschwänze, die nicht alle Jahre zu uns kommen, aus Skandinavien. Die sind großteils noch da, wobei wir das auch bei schönen Frühjahren hin und wieder mal gesehen haben, dass die dann bis in den April rein geblieben sind. Die haben nicht so die Probleme, ebenso wenig die großen Schwärme von Zeisigen, die auch noch in Mitteleuropa sind.

Welty: Wann rechnen Sie damit, dass sich die Dinge wieder zurückruckeln und dass jeder Vogel da ist, wo er jahreszeitlich hingehört?

Fiedler: Also sobald es jetzt ein bisschen milder wird und die Nord-West-Wanderung weiter möglich ist, wird sich das in kürzester Zeit entspannen. Und es ist auch so: Zum Beispiel die Geschlechtsorgane der Vögel, die bereiten sich jetzt schon – die wachsen schon und bereiten sich auf die Brut vor. Die Meisen fangen schon an, Nester zu bauen, völlig unbeeindruckt vom Wetter. Und sobald dann das Frühjahr wirklich einzieht, dann werden die ohne einen Tag Verlust loslegen.

Welty: Die meisten Menschen und die meisten Vögel finden Schnee an Ostern doof – das ist die gemeinsame Feststellung hier in der Ortszeit nach dem Interview mit dem Vogelkundler Wolfgang Fiedler. Ich danke Ihnen!

Fiedler: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema:

Kälte bedroht zurückkehrende Zugvögel
Auf der Suche nach dem inneren Kompass
Sinn für Feldlinien
Der Vogelkundler Wolfgang Fiedler
Erforscht die Wanderung von Vögeln: Wolfgang Fiedler© picture alliance / dpa / Foto: Patrick Seeger