Schmähung "Lügenpresse"

Plädoyer für mehr Debatten mit kritischen Medien-Nutzern

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier zu Gast beim Deutschlandradio Kultur
Der Medienjournalist Stefan Niggemeier zu Gast beim Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio / M. Hucht
Stefan Niggemeier im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 29.12.2015
Beim Stichwort "Lügenpresse" zeige sich, dass sowohl Pegida-Anhänger als auch Medien oft nicht an einer wirklichen Auseinandersetzung interessiert seien, erklärt der Medienjournalist Stefan Niggemeier. Er fordert, Journalisten müssten mehr tun, um mit ihren Nutzern im Gespräch zu bleiben.
Das Wort "Lügenpresse" sei von beiden Seiten vergiftet, sagte der Medienjournalist und Blogger Stefan Niggemeier im Deutschlandradio Kultur. Unter den Pegida-Anhängern seien viele nicht mehr an einer wirklichen Auseinandersetzung interessiert. Er befürchte aber, dass auch auf journalistischer Seite der Begriff oft dazu diene, sich damit nicht mehr zu beschäftigen.
"Das eigentlich Bedrohliche ist aber der Bereich dazwischen", sagte Niggemeier, "die Leute, die tatsächlich einfach kritische Zeitungsleser, Radiohörer, Fernsehzuschauer sind und die oft auch berechtigte Kritik und viele Fragen haben. Und da haben, glaube ich, tatsächlich die Medien es noch nicht so geschafft, wirklich die Mittel zu entwickeln, sich damit auseinanderzusetzen und da zu kommunizieren."
"Gatekeeper-Funktion" verloren
Niggemeier sagte, dass sich jetzt richtig bemerkbar mache, dass Journalisten ihre "'Gatekeeper-Funktion" verloren hätten. "Ich habe das Gefühl, dass man das plötzlich merkt, dass auch die Medien merken, was das in der Praxis bedeutet, und wie viel Arbeit das macht und wie mühsam das ist, dagegen dann an zu argumentieren." Medien hätten jahrelang geschlafen.
Neben seinem Blog startet Stefan Niggemeier am 11. Januar eine neue medienkritische Plattform "Übermedien.de".

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: "Lügenpresse", das war das Wort des Jahres 2014, und 2015 war, könnte man sagen, das Jahr der Lügenpresse, und der Vorwurf, dass die Medien manipulieren, der ist nicht neu. Früher war damit vor allem die "Bild"-Zeitung gemeint, besonders seit der Krise in der Ukraine stehen aber auch wir, die etablierten Medien, im Fokus, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die großen Pressehäuser. Man merkt das auch an den Mails, die man bei bestimmten Themen bekommt. Der Vorwurf gegen die "Lügenpresse" wird auch immer wieder auf Pegida-Demonstrationen erhoben, ganz massiv in diesem Jahr. Und diesen Vertrauensverlust wollen wir jetzt besprechen mit dem Journalisten und Blogger Stefan Niggemeier, und fragen, ob sich diese Entwicklung umkehren lässt. Er ist jetzt im Studio. Schönen guten Morgen!
Stefan Niggemeier: Hallo, schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Sie setzen sich ja in Ihrem Blog immer wieder auch mit den Fehlern der öffentlich-rechtlichen Medien auseinander. "Lügenpresse" – was ist dran an dem Vorwurf?
Niggemeier: Das Problem ist, dass dieses Wort eigentlich schon so vergiftet ist, uns zwar von beiden Seiten. Ich glaube, viele Leute, die das rufen bei Pegida, sind gar nicht wirklich an einer Auseinandersetzung interessiert, man merkt das auch, die haben irgendwie abgeschlossen. Die wissen, die Medien sind alle gekauft und manipuliert, und da ist, glaube ich, nicht mehr viel zu tun.
Ich fürchte, von journalistischer Seite nimmt man den Begriff aber inzwischen manchmal auch schon so, um zu sagen, die rufen alle "Lügenpresse", also brauchen wir uns mit denen nicht auseinandersetzen, das sind alles verbohrte Nazis oder so. Das eigentlich Bedrohliche ist aber so der Bereich dazwischen, die Leute, die tatsächlich einfach kritische Zeitungsleser, Radiohörer, Fernsehzuschauer sind und die oft auch berechtigte Kritik und viele Fragen haben. Und da haben, glaube ich, tatsächlich die Medien es noch nicht so geschafft, wirklich die Mittel zu entwickeln, sich damit auseinanderzusetzen und da zu kommunizieren.
von Billerbeck: Das ist ja auch nicht so einfach. Es ist ja so eine Grauzone, in der man sich bewegt. Ich kann mich erinnern, als das mit Pegida losging und auch mit diesen Vorwürfen. Am Anfang hat man erst gar nicht berichtet, dann ganz viel, und dann hat man gesagt, wir müssen jetzt auch nicht jeden Furz berichten, den die lassen. Aber Sie haben ja gesagt, die Grauzone dazwischen ist das Entscheidende. Es sind ja auch unsere Hörer und Leser, um für die Zeitungen mitzusprechen, die da kritische Anmerkungen haben. Was war es denn genau, was die etablierten Medien falsch gemacht haben, dass diese Leute, diese Hörer, diese Gebührenzahler, muss man ja sagen, so auf die Palme bringt?
Niggemeier: Es sind ganz viele Dinge. Ich glaube, was zentral ist, ist, dass sich tatsächlich verändert hat durch die digitale Revolution, dass die Medien diese "Gatekeeper-Funktion" verloren haben, und ich kann mich plötzlich aus ganz vielen Quellen informieren. Und manche sind hervorragend und sind viel besser, als was so Medienmainstream ist, und manche sind natürlich ganz furchtbar. Und dieses Phänomen, das ist ja überhaupt nicht originell, das zu beschreiben, es ist gar keine neue Erkenntnis, aber ich habe das Gefühl, dass das jetzt so richtig durchbricht und dass man plötzlich merkt, dass auch die Medien merken, was das in der Praxis bedeutet und wie viel Arbeit das ist und wie mühsam das ist, dagegen dann an zu argumentieren, also teilweise aus einer Position des Im-Recht-Seins, und zu erklären, warum das stimmt, was man sagt, und teilweise aber auch demütig sich mit dem auseinanderzusetzen und zu sagen, ja, hier lagen wir auch daneben. Und ich glaube wirklich, zum einen ist das sehr mühsam und sehr viel Arbeit, und zum anderen haben da Medien aber auch jahrelang eigentlich geschlafen, diese Instrumente und diese Kommunikation zu entwickeln.
Notbremse nach 400 Kommentaren
von Billerbeck: Trotzdem ist es ja auch bei uns so, dass der Druck enorm zunimmt auf alle, also auf alle Medien. Das heißt, man muss in kürzerer Zeit halt viel schneller arbeiten. Man hat viel weniger Zeit, wirklich zu analysieren, die Hintergründe zu liefern und sich umfassend zu informieren. Das merkt jeder von uns in dieser Arbeit jeden Tag. Sie haben gerade erwähnt, dass ja diese Revolution, dadurch, dass es so viele Medien gibt, also nicht bloß die "Tagesschau", da können sich die Konsumenten, die Hörer, die Leser eben ganz anders informieren, aber das ist eben sehr unterschiedlich, was sie da bekommen, und wir müssen uns dann auch mit diesem ganzen Datenzeugs auch auseinandersetzen, und da ist ja auch eine Menge Verschwörungstheorie dabei. Sie kennen das auch aus Ihrem Blog. Wie gehen Sie damit um?
Niggemeier: Ja, wobei ich glaube, also ich merke das tatsächlich, bei mir in den Kommentaren gibt es dann da auch mal heftige Schlachten, und auch welche, wo man dann am Ende, nach 400 Kommentaren oder so was, wo ich dann die Notbremse ziehe und sage, okay, es bringt hier jetzt auch nichts mehr, weiter zu diskutieren ...
von Billerbeck: Aber Sie machen es erst nach 400 Kommentaren?
Niggemeier: Ja, in der Regel doch. Oft habe ich dann schon das Gefühl, es wäre ja auch schlimm, wenn wir sagen würden, es geht gar nicht mehr, wenn wir im Grund kapitulieren würden und sagen, okay, wir schreiben einen erheblichen Teil des Publikums einfach ab und sagen, die glauben, was sie wollen, und da können wir nichts tun. Natürlich muss man sich da immer wieder ins Getümmel auch stürzen und versuchen, zu argumentieren. Und wie gesagt, ich glaube, einen Teil des Publikums wird man nicht überzeugen, aber ich glaube, einen ganz großen Teil wird man überzeugen. Wenn man sich anguckt, es gibt ja viele unterschiedliche Umfragen, was die Glaubwürdigkeit von Journalisten und von Medien angeht, aber insgesamt sind das schon Zahlen, wo man schon als Journalist sagen kann, wenn irgendwie so 40 Prozent der Leute sagen, eigentlich, so richtig glauben sie uns das nicht, was wir da erzählen, dann müssen wir was tun.
Es gibt kein Zaubermittel
von Billerbeck: Dann kommt natürlich jetzt sofort die Frage, was müssen wir tun, Herr Doktor Niggemeier?
Niggemeier: Es gibt jetzt natürlich nicht das Zaubermittel. Es hilft nur das, was zum Teil ja auch schon passiert, wenn man sieht – Pegida ist so ein Beispiel – dann gibt es diesen Vorwurf, wenn da Kollegen vor Ort mit Kamera und Mikro unterwegs sind, ihr pickt euch ja eh nur die schlimmen Sachen raus und zeigt gar nicht, was hier wirklich gesagt wird. Und die Fernsehsender reagieren, indem sie einfach das Rohmaterial ins Netz stellen. Das ist wunderbar, das hilft, ich glaube ...
von Billerbeck: Das ist auch teilweise viel dramatischer als die ausgesuchten ...
Niggemeier: Habe ich auch schon gedacht. Ich glaube, dass das genau richtig ist, aber das ist natürlich jetzt auch kein Zaubermittel. Es geht also nicht, wenn wir jetzt damit anfangen, werden die Leute morgen mehr Vertrauen haben. Und es ist natürlich schwer, das in so einer Position zu entwickeln, wo im Grunde das Kind auch schon in den Brunnen gefallen ist und wo wirklich viele Leute auch schon sagen, eigentlich glauben wir euch gar nichts mehr.
von Billerbeck: Das heißt, wir haben gar keine Chance?
Niggemeier: Doch, doch, also genau das, diesen mühsamen Weg, zu sagen, man nutzt das Netz, um Rohmaterial online zu stellen, um sich in eine Diskussion zu begeben, um wirklich diesen mühsamen Kampf, Verschwörungstheorien zu widerlegen, Propaganda aufzudecken, das alles zu machen – aber es ist viel Arbeit.
von Billerbeck: Stefan Niggemeier sagt das, um den Vorwurf der "Lügenpresse", den kulminierenden Vertrauensverlust vieler Medien, wieder Vertrauen zurückzugewinnen. Danke Ihnen. Ihr neues Projekt heißt übrigens "Über Medien."
Niggemeier: Nein, "Übermedien.de"
von Billerbeck: Ach, so rum. Startet am 11. Januar. Kurz, worum geht es?
Niggemeier: Medienkritik. Wir machen genau das, dass wir sagen, wir schauen uns an, was läuft in den Medien schief, was läuft vielleicht auch nicht schief, obwohl es alle kritisieren, und wir wollen uns da richtig ins Getümmel stürzen.
von Billerbeck: Stefan Niggemeier war das.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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