Schluss nach 50 Jahren

Der letzte Nachtzug nach Paris

Berliner Hauptbahnhof: Abfahrt des Nachtzuges Berlin-Paris
Bahnreisende demonstrieren am Berliner Hauptbahnhof gegen die Streichung der Verbindung. © Foto: Moritz Metz
Von Moritz Metz  · 13.12.2014
Mit Beginn des Winterfahrplans hat die Deutsche Bahn sieben ihrer 16 verbliebenen Nachtzugverbindungen gestrichen. Amsterdam, Kopenhagen - und auch die letzte Direktverbindung über Nacht von Berlin nach Paris. Ganz verloren geht der Zug aber nicht.
Moritz: "Woher kommen sie, wie heißen sie?"
Anna Becker-Schmidt: "Ich heiße Anna Becker-Schmidt. Ich bin Bildhauerin. Habe eine Bildhauerschule. Und ich habe am 1. Mai meinen Mann verlassen, nach 38 Jahren. Und ich wohne jetzt in Berlin und ich bin frei! Aber ich fahre nach Paris zu einer Beerdigung."
Eine neblige Novembernacht, Zwischenstopp in Hannover. Mit einer Dame um die 50 lehne ich im Eingangsbereich eines Eisenbahnwagons, der auch schon 50 Jahre auf dem Buckel hat. In der offenen Tür hängt ein Gleisarbeiter, die Bildhauerin kommentiert die Farbe seiner Schutzmontur.
"Orange-phosphorisierend mit Arbeitsspuren. Schmieröl."
Moritz: "Und was war daran jetzt fotografierenswert?"
Ein Herr mit einer Kamera hat sich dazugesellt.
Meinhard Gärtner: "Für mich ist jetzt die ganze Fahrt ne einzige Fototour. Die Idee ist folgende, ich wollte schon seit vielen Jahren mal diese Bahntour Berlin-Paris und retour machen. Und dann habe ich jetzt mit Erschrecken feststellen müssen, dass mit dem Fahrplanwechsel am 12. Dezember diese Strecke eingestellt wird von Berlin nach Paris. Und dann musste ich jetzt beruflich mir eine kleine Nische suchen, dass ich eben diese drei Tage - also abends Abfahrt, einen Tag in Paris und mit dem nächsten Zug wieder zurück nach Berlin - mir noch rausbasteln konnte, das ist eine Überraschung in alle Richtungen, ich habe es niemandem gesagt und eine meiner Aufgaben morgen in den paar Stunden in Paris wird sein, so ein gutes Dutzend Postkarten wegzuschicken."
Einzelkabine und Frühstück ans Bett
Meinhard Gärtner und Anna Becker-Schmidt reisen in der 1. Nachtzug-Klasse, dem Schlafwagen. Mit Einzelkabine und Frühstück ans Bett, für etwa 140 Euro. Der Abteilwagen kostet nur ein Drittel.
Laure: "Ich bin Laure und ich fahre nach Paris - ich komme aus Paris - und ich wohne jetzt in Berlin, seit fünf Jahren."
Laure ist 33, Künstlerin. In dieser Nacht wird sie noch ihre schlafenden Abteilnachbarn zeichnen, drei indische Stundenten auf Europatrip. Die Nachtzugverbindung sei aber noch aus anderen Gründen essenziell für die Kunst-Achse Berlin-Paris.
"Eigentlich kannst du in Berlin wohnen und leben mit wenig Geld - in der Kunst kriegst du auch kein Geld. Deshalb gibt es viele Leute, die auch in Paris Geld verdienen mit Galerien, die in Paris sind - aber wohnen in Berlin. Und deshalb ist der Nachtzug nicht nur für Touristen, sondern es ist auch für Arbeit."
Künstler, Studenten und Kulturtouristen. Auch für die Reporter-Arbeit scheint der Nachtzug gerade recht. Wie dieser Tage viele Kollegen suche ich nach der Nachtzug-immanenten Bordromantik. Denn Nachtzugreisen taugen schon seit dem 19. Jahrhundert als Projektionsfläche für aufregende Geschichten. Das rollende Eingesperrtsein mit Unbekannten in diesem dunklen Tunnel namens Nacht. Die Intimität des Schlafens, die Begegnungen im Speisewagen. Den hat die Bahn schon wegrationalisiert, sagt Laure.
"Leider, früher gab es so ein Restaurant, wirklich cool und gemütlich - aber jetzt nicht mehr. Also langsam die haben alle Sachen einfach weggelassen."
Ab Hannover im Schlafmodus
An Bord des "City Night Line 450 Perseus", was soviel bedeutet wie "Zerstörer", herrscht offensichtlich eher Pragmatismus. Die allermeisten Passagiere sind irgendwo hinter Hannover bereits in den Schlafmodus übergegangen oder versuchen es auf den blau gepolsterten Liegen unter den Kunstwolldecken der Bahn. Nur Eberhard Danielski wacht im Serviceabteil. Der Gruppenleiter des Bordpersonals beherrscht den besonderen Nachtzugschaffnerschlaf.
"Ich bin in der glücklichen Lage, meinen Schlaf voll zu kontrollieren. Ich kann eine Stunde schlafen, ich kann aber auch sofort umschalten auf acht Stunden Schlafen, fahr seit 1967 ohne Wecker - weil meine innere Uhr so gut funktioniert: Wenn ich eine Stunde Zeit habe, schlafe ich 58 Minuten davon und bin selbst auch wieder munter, auch wenns mal über 15-20 Stunden geht, die Uhr funktioniert - und toi toi toi, die einzige, die immer mit mir schimpft, ist meine Hausärztin."
Derweil stoppt unser 120-Meter langes Schienenhotel immer wieder an gelblich beleuchteten Gleisanlagen und lässt die anderen nachtaktiven Artgenossen überholen, lärmende Güterzüge. In Mannheim werden Kurswagen aus München angespannt, in Strasbourg eine französische Lokomotive. Am Morgen lerne ich zwei Abteilkameraden kennen.
Moritz: "Wie ist der Kaffee?"
Geschäftsmann: "Naja, wie er halt so ist bei der Bahn. Ist halt Kaffee. Könnte bisschen kräftiger sein."
Die beiden Männer um die 40 entpuppen sich als Geschäftsreisende aus dem Fachgebiet des Schiffsrecyclings.
Geschäftsmann: "Also wir haben jetzt ein Treffen in Paris, wo wir quasi über Nacht hinfahren, uns zwei Stunden mit jemandem treffen und dann fahren wir gemütlich wieder zurück."
Moritz: "Wenn sie Experten sind für Schiffsrecycling - wie würde man denn einen Eisenbahnwagon zerlegen - gibts da gewisse Verwandtschaften?"
Geschäftsmann: "Normalerweise ist es auch eine Stahlstruktur mit entsprechendem Innenleben, was dann rausgenommen werden muss - und dann kommt die große Schere. Also ich denke so ein Waggon mit so einem Equipment ist innerhalb von drei Stunden weg."
Die Paris-Verbindung ist ab sofort auch weg. Die Waggons werden jedoch weiterfahren, nach Warschau, Venedig oder Zürich. Die französische Hauptstadt erreichen wir zwar mit einer Stunde Verspätung - doch die große weite Welt, sie hat schon zwölf Stunden zuvor begonnen - beim Besteigen dieses Kulturguts namens Nachtzug.
Mehr zum Thema