Schluss mit Volkspädagogik

Von Carsten Probst · 08.08.2010
Die Berlin Biennale will sich emanzipieren. Sie will sich nicht mehr vereinnahmen lassen als Ornament für das Berliner Stadtmarketing. Sie möchte das Publikum nicht mit Berlin-Lifestyle abspeisen, mit der Illusion, die Kunst könne die Welt erklären. Kathrin Rhomberg hat demonstrativ den Schwerpunkt der Biennale herausbewegt aus der Berliner Mitte.
Sie war das ständige Rollenspiel der Stadt als Wende-Metropole leid, das starren auf die Spuren der Nationalgeschichte, für deren Repräsentation vermehrt die Gegenwartskunst in die Pflicht genommen wird. Stattdessen wollte Rhomberg auf eine ganz eigene, ganz andere Wirklichkeit der Stadt verweisen.

"Das war ein bisschen der Versuch auch in Kreuzberg, (…) wo das Gebäude ein aktiver Teil der Ausstellung war und wo auch in der Art und Weise, wie wir das Haus bespielt haben, (…) also der Blick nach außen, aber auch die Arbeiten selber, die den Blick in eine Welt öffnen, die wir im Westen nicht so zugänglich haben, also diese verschiedenen Blickpunkte in die Wirklichkeit hinein flüssiger und leichter überbrückbar sind. Das hat funktioniert, (…) vor allem eben bei einem Publikum, das sich einfach auf diese Arbeiten eingelassen hat, das nicht so stark eben aus einem kunsttheoretischen Diskurs herauskommt, (…) weil Kreuzberg ja auch in seinem Alltag so stark ist."

In einem ehemaligen, nahezu entkernten Warenhaus inmitten des alten Hausbesetzerkiezes von Kreuzberg hatte Rhomberg den Hauptteil der künstlerischen Arbeiten dieser Biennale angesiedelt. Keine fertigen Bestandsaufnahmen, keine Dokumentationen der Realität, wie ihr wichtig ist zu unterstreichen, sondern eigene, unabhängige künstlerische Sichtweisen, ausschnitthafte Darstellungen, manches wie unfertig oder auch widerständig. Der Besucher erhielt viel Platz zum Umhergehen, er wurde nicht an jeder Ecke von neuen Arbeiten belagert. Er blieb sich in seiner Meinungsbildung weitgehend selbst überlassen.

Das ist für sich genommen schon fast ein Affront in einem Kunstbetrieb, der das ständige Erklären, Pädagogisieren, Heranführen und Orientieren zur Leitmaxime gemacht hat. Ausstellungen, die diese Vorgaben der kulturellen Volksbildung nicht erfüllen, können kaum mit öffentlichen Mitteln rechnen. Kathrin Rhomberg dagegen meint:

"Wir erleben einfach seit mehreren Jahren auch, dass diese perfektionierten, professionalisierten Ausstellungsmodelle eigentlich entleert sind, dass sie nicht mehr richtig greifen, dass es aber sehr, sehr schwer ist, neue Wege zu finden, die eine Selbstverständlichkeit haben, aber ich glaube, das wird das Interessante der nächsten Jahre sein."

Auch wenn der institutionskritische Ansatz nicht neu ist: Für die Berlin Biennale wurde er zum ersten Mal in dieser Konsequenz umgesetzt. Der Alltag in Kreuzberg hat scheinbar wenig mit dem Bild zu tun, das Berlin heute mit seinem Stadt-Slogan "Be Berlin" gerne in die Welt senden möchte. Mit seinem Migrantenanteil von 40 Prozent ist Kreuzberg arm, aber auch nicht sexy für die meisten Deutschen. Für Kathrin Rhomberg jedoch verkörpert es den Blick in die Zukunft der Stadt, nicht in die Vergangenheit von Stadtschlössern und Wende-Seligkeit. Auch die überraschende Präsentation von Adolf Menzel im Rahmen der Biennale wollte Rhomberg als Aktualisierung verstanden wissen:

"Das hat wahrscheinlich auch die Biennale tatsächlich geschafft, auch das Menzel international anders wahrgenommen wird, auch jetzt entdeckt wird von vielen... "

Denn Menzel, obzwar ein Maler des 19. Jahrhunderts, hatte sich seinerzeit der repräsentativen Staatsmalerei des Historismus entzogen und steht heute für eine subjektiv-künstlerische, körperliche Interpretation von Geschichte. So wurde auf dieser Berlin Biennale unversehens und unvermutet der alte bürgerliche Begriff des zivilen Ungehorsams gegenüber obrigkeitlichen Weisungen aktualisiert. Aber ob das wirklich das war, was Kathrin Rhomberg am Ende vorschwebte?

"Dadurch entstehen Überraschungen, und es gibt für mich Momente, die absolut aufgegangen sind, wo ich sehr glücklich darüber bin, und es gibt Momente, wo ich gedacht hab, das sind (…) Momente, an denen man weiter arbeiten muss, die man noch schärfen könnte, die man radikalisieren hätte können... "

Radikalität und Experiment, das von Grund auf Verstörende war es vielleicht, was man auf dieser Biennale am meisten vermisste. Rhomberg stand vor einem elementaren, unauflösbaren Problem: Sie wollte der Professionalisierung des Kunstbetriebs entgegenwirken, aber sie selbst ist ein Profi dieses Systems. Dass aber die entleerten Methoden der gegenwärtigen Kunstindustrie, auf die auch Kathrin Rhomberg für diese Biennale zurückgreift oder zurückgreifen musste, sich durch sich selbst abschaffen lassen, kann am Ende eher bezweifelt werden.