Schleswig-Holstein

Politisches Intrigantenstadl an der Kieler Förde

Der Landtag von Schleswig-Holstein in Kiel
Der Landtag von Schleswig-Holstein in Kiel © dpa / picture alliance / Carsten Rehder
Von Johannes Kulms · 04.11.2016
Zwei Spitzenkandidaten für die Landtagswahl hat die Union in Schleswig-Holstein schon verbrannt. Und Daniel Günther, der Neue an der Spitze, ist auch nicht unumstritten in den CDU-Kreisverbänden: An der Küste ist das politische Klima rau: Skandal reiht sich an Skandälchen.
Zumindest in einer Hinsicht ist das Timing perfekt: Pünktlich zu Beginn des Pressetermins erstrahlt das Lokal im gleißenden Sonnenlicht. Mehr noch: Wie es da so liegt auf der Stegkonstruktion scheint es beinahe zu schweben über der glitzernden Förde.
Während unter den Bodenbalken also das Ostseewasser schwappt, möchte die schleswig-holsteinische CDU ihr vorläufiges Programm vorstellen – jenes Programm, mit der sie im kommenden Jahr in den Landtagswahlkampf ziehen wird. Und mit dem sie – das versteht sich – die Kieler Staatskanzlei gerne zurückerobern möchte.
"Die Grundsäule dieses Programms ist sicher leben in Schleswig-Holstein. Wir haben uns bewusst für diesen Titel entschieden."
43 Jahre alt ist der Mann, der an diesem Mittwochmittag zu den Journalisten spricht und jünger aussieht, als er ist. Daniel Günther ist groß, hat blonde Haare, trägt eine Brille und führt seit rund zwei Jahren die CDU-Landtagsfraktion. Seit noch nicht einmal einer Woche ist klar: Günther soll auch neuer Parteivorsitzender werden in Schleswig-Holstein - und Spitzenkandidat für die Landtagswahlen am 7. Mai.

"Die Union, da gibt es heftige Personalquerelen"

Was dieses Timing angeht gibt es allerdings viel Diskussionsbedarf: Steht die CDU nun mit dem neuen Spitzenkandidaten ein halbes Jahr vor der Landtagswahl vor einem Scherbenhaufen – oder vor einem Aufbruch? Schließlich wird Günther der fünfte Vorsitzende innerhalb von knapp fünf Jahren. Im August 2011 war der damalige Parteichef und designierte Spitzenkandidat Christian von Boetticher zurückgetreten. Er hatte bei einer Pressekonferenz eingeräumt, eine Beziehung zu einer 16-Jährigen gehabt zu haben, und unter Tränen gesagt: "Es war schlichtweg Liebe."
Als nun am vergangenen Freitag der bisherige Landeschef Ingbert Liebing vor die Presse trat waren die meisten Beobachter baff. Stellte sich damit doch automatisch mal wieder die Frage: Was machen die da eigentlich in der CDU? Und wie gehen die miteinander um?
"Ich habe zu Beginn der Sitzung des geschäftsführenden Landesvorstands erklärt, dass ich am 19. November beim Landesparteitag nicht erneut als Landesvorsitzender antrete und die Spitzenkandidatur am 7. Mai für die Landtagswahlen zurückgebe."

"Schnauze voll von dieser Hinterzimmerdiplomatie"

Viele in der Partei zeigen sich nun erleichtert darüber, dass der deutlich jüngere Günther das Ruder übernehmen soll. Andere haben genau damit ein Problem. Die lauteste Kritik kam diese Woche vom Kreisverband Nordfriesland – dem auch der bisherige Parteichef und Spitzenkandidat Liebing angehört:
"Wir haben die Schnauze voll von dieser Hinterzimmerdiplomatie, die Entscheidungen vorbereitet, Leute unter Druck setzt und schließlich die Partei vor vollendete Tatsachen stellt", ließ sich ein Vorstandsmitglied zitieren. Daniel Günther, der "Neue" an der Spitze, will nun mit dem Kreisverband sprechen.
"Ich mache denen da überhaupt keinen Vorwurf in Nordfriesland, dass sie da im Moment mit gemischten Gefühlen rangehen und deswegen bin ich auch sehr froh darüber, dass ich am Montag dort auch die Gelegenheit im Kreisvorstand und mit den Delegierten zu sprechen."
Günther wird viele Gespräche führen müssen und auch neue Personalentscheidungen treffen. So hat der bisherige Landesgeschäftsführer Axel Bernstein via Facebook erklärt, dass er dem neuen Landesvorsitzenden nicht mehr zur Verfügung stehen werde.
Daniel Günther sei ein talentierter Politiker meint Peter Höver, der für den schleswig-holsteinischen Zeitungsverlag seit 35 Jahren die Landespolitik in Kiel beobachtet. Es werde spannend zu sehen, ob Günther nach Jahren der inhaltlichen Windstille neue Akzente setzen könne:
"Ohne Frage ist er ein Strippenzieher. Aber wenn ein Strippenzieher jemand ist, der diese Partei wahrscheinlich aus dem Effeff kennt, angefangen hat er als Geschäftsführer der CDU im Mitgliederstärksten Kreisverband, dann hat ihn damals Peter Harry Carstensen zum Landesgeschäftsführer gemacht – ich glaube, es gibt wenige Leute, die das Innenleben der Partei so gut kennen wie Daniel Günther."

Barschel-Affäre hat beide Parteien geradezu verfeindet

Mit dem neuen Spitzenkandidaten dürfte der Wahlkampf nun zugespitzter werden, glaubt Höver. Ralf Stegner geht dagegen deutlich weiter. Der SPD-Fraktionschef und Landesvorsitzende befürchtet, dass es nun durchaus auch schmutziger werden könnte.
"Wir haben hier natürlich schon so manches gesehen im Lande und man sieht im Augenblick, die Union hat zum zweiten Mal kurz vor der Wahl ihren Spitzenkandidaten rausgeworfen und da gibt es heftige Personalquerelen. Das zeigt einerseits Schwäche, aber das kann natürlich auch dazu führen, dass man dann mit besonderer Härte, was die persönlichen Auseinandersetzungen angeht, versucht, den Wahlkampf zu führen."
Stegner sitzt an diesem Vormittag in seinem Büro, vor seinem Fenster läuft gerade die gewaltige Oslo-Fähre in den Hafen ein. Dafür hat Stegner jetzt kein Auge, sondern meint: Sehr, sehr lange habe es tiefe Gräben gegeben hier oben im Norden zwischen der CDU und der SPD; die Barschel-Affäre habe beide Parteien geradezu verfeindet. Doch das habe sich inzwischen geändert, der Abgeordneten an der Förde unterscheide sich doch nicht von dem in anderen Landtagen.
"Was sich aber unterscheidet sind die Parteien. Union und SPD sind hier stärker auseinander, als in anderen Ländern. Das hat aber auch Vorteile, weil ich glaube, dass das Argument, die da oben seien alle gleich und man müsse jetzt Rechtspopulisten wählen, was man ja überall hört, dass das hier weniger zieht im Lande. Wir haben eine Union, die ist hier konservativer als die Bundes-CDU. Und wir haben die SPD, die ist vielleicht einen Tick progressiver als die Bundes-SPD. Das zeigt: Man hat hier eine gute Auswahl in Programm und Person - und das ist eine gute Sache."
Für Stegner gab es vor Kurzem einen Moment, der zeigte, dass es mit dem Führungswechsel in der Union nun eben nicht nur härter, sondern auch unfairer werden könnte. Die CDU habe nachgetreten im Fall Wende, als die Staatsanwaltschaft vor Kurzem die Einstellungen der Ermittlungen gegen die frühere Wissenschaftsministerin verkündete.
Es bestehe "keine für eine Anklageerhebung erforderliche überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit", schrieb die Staatsanwaltschaft in ihrer Presseerklärung.
Im Sommer 2014 waren Korruptionsvorwürfe aufgekommen gegen Waltraud "Wara" Wende. Vor ihrem Antritt als parteilose Wissenschaftsministerin war Wende Präsidentin der Universität Flensburg gewesen. Ermittelt wurde wegen der Option auf eine Rückkehr an die Uni. Diese war Wende zugestanden worden - für den Fall, dass sie aus dem Ministeramt ausscheidet.

"Die Opposition hat alles skandalisiert"

In der Presse zitierte E-Mails zwischen Wende und Mitarbeitern der Uni Flensburg legten zumindest nahe, dass Waltraud "Wara" Wende hier mit Nachdruck um die Rückkehroption an die Uni gekämpft hatte.
Die Vorwürfe führten schließlich zu fast filmähnlichen Szenen im Kieler Regierungsviertel: Es kam zu Durchsuchungen von Wendes Dienst- und Wohnräumen und auch in der Kieler Staatskanzlei fuhren Polizei und Staatsanwaltschaft vor, um nach Beweisen für eben diese Korruptionsvorwürfe zu suchen.
Die unter großem Druck stehende parteilose Ministerin trat schließlich zurück. Heute bezeichnet Wende die Vorgänge rückblickend als "Hexenjagd"
"Ich glaube, dass es ein aufgeheiztes Klima war im Sommer vor zwei Jahren. Die Opposition hat alles skandalisiert, was ich gemacht, gesagt habe, auch dann eben die Rückkehroption. Die Presse in Schleswig-Holstein – das tut mir leid, dass ich das sagen muss – hat mitgespielt. Niemand hat mal kritisch gefragt: Wie war denn eigentlich die Situation von Frau Wende, bevor die nach Schleswig-Holstein gekommen ist?"
Die nun eingestellten Ermittlungen zeigen, dass am Ende nicht viel hängen blieb von den Vorwürfen. "Wara" Wende lebt inzwischen in Berlin und hat Abstand gefunden. Ihr gehe es wirtschaftlich gut sagt sie – doch ihre berufliche Existenz sei vernichtet.
Sie meint: Nicht nur während der letzten Wochen, sondern während der gesamten knapp zwei Jahre als Ministerin habe sie unter Beschuss gestanden.
"Alle politischen Themen, die ich angegangen bin, wurden skandalisiert. Ich weiß noch genau, wie ich meine erste Rede im Landtag gehalten habe, wie zotig mit mir umgegangen worden ist. Also, wo Zwischenrufe kamen aus den Reihen von prominenten FDP-Politikern, die Frau, die steht doch unter Drogen, ist die verrückt! Das war – wenn Sie Ihre erste Rede im Landtag halten – das war schon schwerer Tobak, mit dem Sie da umgehen mussten. Und das hat sich dann eben durchgehend auch so erhalten."
Und trotzdem sagt die 58-Jährige heute, dass sie nicht ausschließen würde, noch mal in die Politik zu gehen. Schließlich habe ihr die Arbeit mit den Kollegen im Ministerium viel Spaß gebracht.
Doch auch nach den eingestellten Ermittlungen gegen Wende bleibt die Opposition dabei: Weder der neue CDU-Chef Daniel Günther noch FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki wollen etwas zurücknehmen.
"Ich will man einen Satz zitieren: Wer in die Küche geht, der darf sich nicht wundern, dass es dort auch heiß werden kann. Und Frau Wende hat sich durch ihr Verhalten - wie ich finde - auch politisch selbst diskreditiert, unabhängig von allen juristischen Fragen. Es ist Aufgabe der Opposition darauf hinzuweisen, dass eine bestimmte Politikrichtung in ihrer Ausrichtung falsch und fehlerhaft ist und dafür zu kämpfen, dass das geändert wird."

Rücktritt und Skandal auch im Kieler Rathaus

Ein anderes politisches Skandalthema spielte während dieser Legislaturperiode nicht im schleswig-holsteinischen Landeshaus, sondern im Kieler Rathaus.
"Sie können sich vorstellen, dass keine leichte Zeit hinter mir liegt. Eine Verwaltungsentscheidung, die meine Unterschrift trägt, hat sich in einer Weise zum Gegenstand politischer, persönlicher und medialer Skandalisierung ausgewachsenen, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte."
Susanne Gaschke, die heute vor fast genau drei Jahren wegen eines umstrittenen Steuerdeals ihren Rücktritt als Kieler Oberbürgermeisterin erklärte. Gaschke arbeitet heute wieder als Journalistin in Berlin. Sie sei grundsätzlich gerne bereit, über die Zeit zu sprechen, sagt sie am Telefon. Doch derzeit sei das aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Affäre sei das falsche Wort um den Rücktritt von Susanne Gaschke zu beschreiben, findet Wolfgang Kubicki:
"Ich glaube schlicht und ergreifend, dass Frau Gaschke es unterschätzt hat als Journalistin, dass hat sie ja selbst mal geschrieben, dass Politik und Politikgestaltung etwas völlig anderes ist, als darüber zu schreiben. Etwas selbst zu tun, durchzukämpfen, ist etwas anderes, als darüber zu schreiben. Und ein Auftritt einer Oberbürgermeisterin, die mit Tränen in den Augen darum wirbt, dass man Mitleid mit ihr haben soll, ist im politischen Geschäft schlichtweg daneben."
Ähnlich sieht es auch SPD-Chef Ralf Stegner. Erklärungsversuche über böse Männer oder Intrigen gegen die Oberbürgermeisterin griffen zu kurz.
"Ich glaube, die Wirklichkeit ist da ein bisschen schlichter: Politik ist auch ein hartes Geschäft, da muss man auch sein Handwerk verstehen. Und nur wenn man das tut und auch ein gewisses Stehvermögen hat, dann kann man das auch durchhalten. Und dann steckt man übrigens auch Niederlagen weg. Ich habe auch starke Niederlagen einstecken müssen."
In Ihrem Buch "Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu gehen" schreibt Susanne Gaschke:
"Ein verletzender, wenn nicht gar auf persönliche Vernichtung des Gegners zielender Politikstil ist in Schleswig-Holstein erhalten geblieben. Und dieser Gegner kann durchaus in den eigenen Reihen stehen. Ob das Land insgesamt den seltsamen Extremismus in seiner politischen Kultur jemals abschütteln wird, ist eine offene Frage."
Stegner und Kubicki meinen dagegen, die Zeit der Skandale sei vorbei, in der Landespolitik herrsche ein anderer Tonfall.
"Weil die Lernerfahrungen aus den Affären Barschel-Engholm die ist, dass Sie in diesem Land nicht reüssieren können, wenn Sie mit schmutzigen Tricks arbeiten, wenn Sie ins Persönliche gehen – das mögen die Menschen hier nicht."
Ob der Tonfall am Ende fair bleibt oder nicht, klar ist auf jeden Fall: Der Ausgang der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein scheint seit der vergangenen Woche deutlich offener.
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