Schleierfahndung gegen Schleuser

Mit 140 den Bazigen auf der Spur

Straßenkontrollen durch die Polizei
Straßenkontrollen durch die Polizei © dpa
Von Michael Watzke · 04.07.2016
Unauffällig, schnell und auf alles gefasst - die oberbayerischen Polizeikommissare Schreyer und Meyer sind zivil getarnt aber dienstlich unterwegs: Sie suchen Schleuser. Doch das ist aktuell sehr schwer, denn die Banden haben eine neue Taktik.
Nachtfahrt auf der Bundesstraße, der B12, an der bayerisch-österreichischen Grenze. Im schwarzen BMW sitzen vier Adleraugen.
- "Mein Name ist Schreyer, ich bin Polizei-Oberkommissar bei der Fahndung in Burghausen."
- "Mein Name ist Meyer, ich bin Polizei-Hauptkommissar bei der Fahndung in Burghausen."


Schreyer und Meyer sind Schleier-Fahnder. In ihren Jeanshosen und Holzfällerhemden sehen sie so unauffällig aus, als kämen sie gerade von einer Schafskopfrunde in der Gastwirtschaft. "Das ist auch unser Ziel, dass wir nicht gleich immer erkannt werden."

Deshalb sind Schreyer und Meyer auch am liebsten nachts unterwegs. Zwei Uhr morgens ist die beste Zeit zur Schleuser-Jagd. Es sei nun mal so, sagt Meyer… "…dass in der Nacht vermehrt die Bazigen fahren, wie wir sagen. Es ist halt so in der Nacht."

Den Kastenwagen auf der Spur

Die Bazigen. Das sind auf bayrisch die Bösen. Die Menschenschmuggler. Vorzugsweise im Kastenwagen ohne Rückfenster unterwegs. Wie einem weißen Mercedes Sprinter mit gelbem Nummernschild. Schreyer und Meyer nehmen die Verfolgung auf.

"So, wir haben uns jetzt für ein irisches Auto entschieden. Und ich trau mich zu 95% zu sagen, dass da keine Iren drinsitzen. Sondern ich tippe mal auf Rumänen."

Die Frage ist: Wie viele Personen sitzen im Auto? Und: Haben sie gültige Pässe? - Schleusung ist nicht gleich Schleusung.

"Schleusung gilt erst ab einer geschleusten Personenzahl von mehreren. Also ab zwei Personen. Natürlich kann man dann auch nicht allen Insassen die Schleusung anhaften, sondern wahrscheinlich nur dem Fahrer."

Und auch der ist nicht so leicht zu greifen. Denn die meisten Schleuser haben ihre Taktik geändert. Das bedeutet…

"… dass sie die Personen nicht mehr in Deutschland aussetzen, sondern meistens in Österreich. Und die laufen dann über Brücken nach Deutschland. Damit ist natürlich das Risiko für die Schleuser, in Deutschland erwischt zu werden, gleich null."

Kommissar Schreyer tritt aufs Gaspedal. Der Sprinter droht zu entwischen. Als ahnte er was.

"Jetzt müssen wir aber erst mal rankommen. Gar nicht so leicht auf der Bundesstraße. Aber wir haben ihn schon im Sichtfeld."

Schreyer setzt zum Überholmanöver an – mit Tempo 140. Kollege Meyer hält die Polizeikelle aus dem Fenster. Vor ihm im Fußraum liegt eine schusssichere Weste.

"Haben wir dabei. Legen wir – ich sag mal, situationsbedingt – dann auch an."

Nur selten geht den Fahndern ein Schleuser ins Netz

Dazu ist es jetzt zu spät. Auf einem Rastplatz halten beide Autos. Die Kommissare Schreyer und Meyer steigen aus und nähern sich – im Schein einer Taschenlampe – dem Lieferwagen. Dessen Fahrer kurbelt die Scheibe herunter und streckt den Beamten einen Ausweis entgegen.

- "ID?"
- "Yes, ID card. And the car papers, please.”
- "Sorry?"
- "The car papers. Registration."
- "Registration? This here?"
- "Please show me. No, no!"
- "Can I get off from the car?"
- "Please stop the engine."


Der Fahrer soll den Motor abstellen, verlangt Kommissar Schreyer. Der Beifahrer möchte aussteigen. Die Beamten lassen sich von ihm den Laderaum zeigen. Er ist leer. Offensichtlich keine Schleuser.

"Nö, hat nix ergeben. Sowohl das Fahrzeug als auch die Personen – es waren übrigens Rumänen – waren negativ. Darum lassen wir sie jetzt auch weiterfahren."

So läuft es meistens. Nur selten geht den Schleierfahndern ein Schleuser ins Netz. Seit allerdings die Balkanroute geschlossen ist, hat sich die Zahl der Menschenschmuggler wieder erhöht. Am Amtsgericht Passau etwa sind in den letzten Monaten dutzende Fälle verhandelt worden, sagt Gerichtspräsident Joachim Peuker.

"Die Täter, die wir hier abzuurteilen hatten, waren in der Regel das letzte Rad in der Kette der Schleuser. Die sind für wenig Geld gefahren – 100, 200, 300 Euro. Die haben allerdings in hoher Zahl Flüchtlinge mitgenommen. Die Rekordzahl waren 50 Flüchtlinge, die auf einer Ladefläche zusammengepresst waren."

...und die Schleuser sind längst über alle Berge

Meistens sind es kleine Fische, die vor dem Richter landen. Viele Verfahren enden mit einer Geldstrafe. Zwar hat das Landgericht Passau vor kurzem ein syrisch-ungarisches Menschenschmuggler-Duo zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die beiden sollen Drahtzieher und Auftraggeber eines Schleuser-Rings gewesen sein. Aber das war ein Einzelfall, sagt Oberstaatsanwältin Ursula Raab-Gaudin.

"Da kommt man sehr, sehr schwierig dran. Natürlich gibt es Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Ermittlungen, davon macht die Grenzpolizei auch Gebrauch. Dafür haben die Mittel und Kanäle. Aber oft wissen wir gar nicht, gegen wen wir ermitteln sollen. Die Personen, die hier aufgegriffen werden, geben ihre Auftraggeber in aller Regel nicht preis."

Auf der B12 bei Burghausen geht die Schicht der Schleierfahnder zu Ende. Es wird langsam hell. Schleuser haben die Kommissare Meyer und Schreyer heute nicht gefunden. Meistens begegnen sie nur den geschleusten Flüchtlingen.

"Autobahnraststätte. Oder auch Bundesstraße mitten im Wald. Da schmeißt dann der 9-Sitzer oder Kombi die Personen raus. Die kennen sich halt nicht aus. Die suchen dann die nächste Stadt, den nächsten Bahnhof. Oft ist es halt so, dass man dann keine Schleuser hat, sondern nur die illegal Eingereisten. Die müssen dann abgearbeitet werden."

Manchmal bestellen die beiden Schleier-Fahnder extra einen Bus. Der bringt die Flüchtlinge dann zur nächsten Registrierungsstelle. Die Schleuser sind längst über alle Berge.
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