Schlecker-Prozess

Mit Geiz in den Bankrott

Eine inzwischen geschlossene Schlecker-Filiale in München.
Eine inzwischen geschlossene Schlecker-Filiale in München. © picture alliance / dpa / M. C. Hurek
Von Uschi Götz · 02.03.2017
Fünf Jahre nach der Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker wird dem ehemaligen Inhaber Anton Schlecker und seiner Familie der Prozess gemacht. Dem ehemaligen Firmenchef wird vorgeworfen, kurz vor der Pleite Millionen beiseite geschafft zu haben.
"Es ist kein signifikantes Vermögen mehr da"
Meike Schlecker, damals 38 Jahre alt, trat Ende Januar 2012 vor Mikrofone und Kameras. Sie leistete einen Offenbarungseid, der für viele Beobachter zu diesem Zeitpunkt überraschend kam. Meike und ihr Bruder Lars, die beiden Kinder von Anton und Christa Schlecker, gaben dem Unternehmen seit kurzem ein Gesicht. Ihr Vater selbst zeigte sich schon lange nicht mehr in der Öffentlichkeit. Als Grund gilt die Entführung dieser Kinder im Jahr 1987. Ausgerechnet sie sind es nun, denen jetzt die undankbare Rolle zukam, für ihren Vater zu sprechen.
"Das Vermögen meines Vaters war immer das Unternehmen. Er hat es auch stets abgelehnt, die Rechtsform zu ändern und in beschränkte Haftung zu gehen. Er hätte das jederzeit machen können, wir hatten nie Banken drin, er hätte das von heute auf morgen machen können in den letzten 20 Jahren, er hat das nie gemacht und nie für nötig gehalten. Er sah sich immer in der vollen Verantwortung als Unternehmer."
Anton Schlecker führte sein Unternehmen als eingetragener Kaufmann. Ohne Kontrollgremien. Der Erfolg schien ihm Recht zu geben. Sein Vermögen wurde bisweilen auf über zwei Milliarden Euro geschätzt. Was 1975 mit der Eröffnung einer Filiale im schwäbischen Kirchheim unter Teck begann, endete 37 Jahre später folgenschwer:
"Es ist kein signifikantes Vermögen mehr da."
Ob dieser Satz stimmt, da gibt es berechtigte Zweifel. Wenige Monate vor dem Insolvenzantrag wurden Vertreter der Gewerkschaft Verdi zu ihrer Überraschung nach Ehingen an den Stammsitz des Unternehmens geladen. Seit ein 2010 mit der Gewerkschaft ausgehandelter Tarifvertrag galt, gingen beide Seiten vertrauter miteinander um. Bernhard Franke von Verdi erinnert sich:
"Wir haben dann ein Gespräch geführt, mit den Geschäftsführern. Die haben dann zum allerersten Mal Farbe bekannt. Dass es wirklich ernst ist, dass es Liquiditätsprobleme gibt, dass sie ein sehr verschärftes Sanierungsprogramm machen müssten."
Man verständigte sich darauf, in Kontakt zu bleiben. Scheinbar überschlugen sich dann aber die Ereignisse.
"Ich werde das nicht vergessen, ich war gerade in einer Klausurtagung mit meinen Sekretären, als diese Nachricht kam. Dann haben wir sofort diese Tagung abgebrochen, weil dann sofort natürlich ein Sturm über uns hereingebrochen ist. Weil ja alle Beschäftigten, alle Betriebsräte völlig überrascht worden sind von der Nachricht. Es gab da keinerlei Vorwarnung, die Beschäftigten haben tatsächlich aus den Medien erfahren, was mit ihrem Unternehmen passiert."

Anton Schlecker ignorierte Warnsignale

In Stetten am kalten Markt nahe Sigmaringen, einem großen Bundeswehrstandort, war man auf alles vorbereitet, nicht aber auf eine Pleite. Zwar kam immer weniger Ware an, aber die Mitarbeiterinnen dieser Schlecker-Filiale lösten das auf pragmatische Art: was in den Regalen fehlte, besorgten sie sich in weniger florierenden Schlecker-Läden. Andrea Straub war sich sicher: Stetten wird die Pleite nicht betreffen.
"Weil es ja immer geheißen hat, die guten Läden bleiben bestehen und können weitermachen. Das war ja hier ein guter Laden. Aber im Radio haben wir dann gehört, dass dicht ist, dass Schluss ist."
Rückblick: Am 23. Januar 2012 stellte Anton Schlecker beim Amtsgericht Ulm einen Antrag auf Insolvenz. Von einer sogenannten Planinsolvenz war die Rede.
Spätere Analysen zeigen: Das Unternehmen bewegte sich schon seit der Jahrtausendwende auf den Abgrund zu. Anton Schlecker hatte anscheinend alle Warnsignale im Vorfeld ignoriert.
Im Juli 2012, ein halbes Jahr nach dem Insolvenzantrag, leitete die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker und 13 weitere Beschuldigte ein.
Ermittler durchsuchten Wohnungen und Geschäftsräume in mehreren Bundesländern. Im Fokus standen vor allem die Schlecker-Zentrale am Firmensitz im schwäbischen Ehingen und zwei Büros.
Es habe "seit langem und immer wieder" Vermögensverschiebungen gegeben, hieß es im Sommer 2012 von Seiten der Staatsanwaltschaft.
Vier Jahre dauerten die Ermittlungen. Im April 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage gegen Anton Schlecker, seine Frau und die beiden Kinder. Auch zwei Wirtschaftsprüfer sind angeklagt. Jan Holzner, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart:
"Wir werfen dem Hauptangeschuldigten vor, in insgesamt 36 Fällen Vermögenswerte des Einzelunternehmens oder auch des Drogeriemarktkonzerns beiseite geschafft zu haben und damit den Gläubigern entzogen zu haben."
Seine Familie soll Anton Schlecker in mehreren Fällen dabei geholfen haben, Geld auf die Seite zu schaffen. Die Kinder sollen darüber hinaus als Geschäftsführer eines Logistikunternehmens dieses um mehrere Millionen Euro geschädigt haben. Dies geht aus der Anklageschrift hervor. Außerdem müssen sich zwei Wirtschaftsprüfer vor Gericht verantworten. Sie sollen laut Staatsanwaltschaft zwar eine falsche Bilanzierung erkannt, aber nicht bemängelt haben.

Mehr als 10000 Frauen stürzten in die Armut

Andrea Straub und ihre Kollegin Karin Beck stehen in einer früheren Schlecker-Filiale in Stetten am kalten Markt. 17 Jahre lang arbeitete Andrea Straub für Schlecker, ihre Kollegin Karin Beck nicht ganz so viele Jahre. Dann kam die Pleite:
"Rollläden haben wir keine, wir haben halt Zeitungen von innen geklebt und das war natürlich deprimierend." Straub: "Ja, aber wir haben das Beste daraus gemacht. Wir sind alle geschlossen da gewesen, mit Anhang, sind noch so ein bisschen im Kreis da vorne gesessen, mit den Vermietern und dann sind wir sogar noch Pizza essen gegangen."
Die Chancen wieder einen Job auf der kargen Schwäbischen Alb zu finden, standen auch für diese beiden Frauen schlecht. Wohltuend sei es gewesen, wie viel Solidarität sie erfahren hätten. Kunden seien auf sie zugekommen, auch der Vermieter der einstigen Schlecker-Filiale habe gleich seine Unterstützung zugesagt. Doch die Frauen haderten.
"Der Bürgermeister hat uns dann darauf angesprochen. Und der hat dann gesagt: Macht es doch selber! Und dann sind wir raus und haben gesagt: nee auf keinen Fall."
Weitermachen oder aufhören? In seinen besten Jahren hatte Schlecker über 11 000 Filialen. Das bedeutete statistisch alle drei Kilometer einen Laden in Deutschland. In guten Zeiten waren rund 45 000 Mitarbeiter bei Schlecker beschäftigt. Am Ende war es noch knapp ein Drittel. Über 10 000 Frauen standen vor dem Nichts:
"Die meisten damals haben wir wahrgenommen sind in der Arbeitslosigkeit angekommen. Das brutale war halt, ohne jedwede Absicherung, es gab keinen Sozialplan, keinen Übergang in eine Beschäftigungsgesellschaft, die zunächst das Schicksal ein Stück weit aufhält, verlangsamt, die Leute in Arbeit und Einkommen hält, sie dann qualifiziert und dann vermittelt, das alles war weg. Das alles von einem Tag auf den anderen."
Pfarrer Paul Schobel hat einst die Betriebsseelsorge in der Region Stuttgart begründet. Der im Südwesten als "Herz-Jesu-Sozialist" titulierte katholische Geistliche kümmerte sich von Anfang an um die Schlecker-Frauen. Als von Gewerkschaftsseite die Bitte an ihn herangetragen wurde, eine nach ihm benannte Stiftung möge helfen, reagierte Schobel schnell:
"Das war ein einmaliger Fall in Deutschland, keine Abfindungen und keine Transfergesellschaft. Die stürzten von einem Tag auf den anderen aus relativ gut bezahlter Erwerbsarbeit in die Armut hinein. Das hat vor allem die getroffen, die hochverschuldet waren."
Die Paul-Schobel-Stiftung richtete einen Fonds ein, rief zu Spenden für die Schlecker-Frauen auf:
"Was da an Spenden einging, war schon faszinierend: Betriebsversammlungen, Gewerkschaftsversammlungen, viele private Spenden, Daueraufträge von fünf oder zehn Euro auf den Monat hin von ganz kleinen Leuten."
In wenigen Monaten bekamen etwa 400 Frauen, die von der Schlecker-Insolvenz besonders betroffen waren, schnell und unbürokratisch maximal 400 Euro, in einigen Härtefällen auch etwas mehr:
"Also diejenigen, die vor einer Räumungsklage standen. In ein, zwei Fällen konnten wir den Gerichtsvollzieher vom Platz verweisen. In anderen Fällen hat es die Kinder oft stark betroffen, die sind ja meistens in Armut die Leidtragenden. Die Arbeit hat uns im Vergabegremium stark betroffen. Das war eine traurige Sache."
Die Hoffnung für die Schleckerfilialen einen Investor zu finden, war zu diesem Zeitpunkt längst gewichen.

Bürgerschaft für Transfergesellschaft kam nicht zustande

Viel Lob gibt es bis heute selbst von Gewerkschaftsseite für den Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz. Er wollte die von Arbeitslosigkeit betroffenen Mitarbeiterinnen zunächst in einer Transfergesellschaft unterbringen. 70 Millionen Euro hätte er dafür benötigt. Das Geld sollte als Kredit von der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, kommen.
Der damalige baden-württembergische SPD Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid versuchte eine Bürgschaft, getragen von allen Bundesländern, zu organisieren. Zunächst sagten die Länder Niedersachsen und Sachsen ab. Baden-Württemberg kündigte aber an, man werde den Bürgschaftsanteil beider Länder übernehmen. Doch als auch Bayern absagte, war das Vorhaben gescheitert. Dabei gab die zu dieser Zeit im Bund mitregierende FDP die ablehnende Linie vor.
Der Wettbewerb brächte es eben mit sich, dass Firmen scheiterten, sagte in Berlin Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und bezeichnete die baden-württembergische Initiative als verantwortungslos. Das Land habe falsche Hoffnungen bei den Schlecker-Beschäftigten geweckt:
"Aus unserer Sicht ist jetzt die Bundesagentur für Arbeit am Zug. Jetzt gilt es für die Beschäftigten, für die mehr als 10 000 vornehmlich Frauen, alleinerziehende Frauen und auch ältere Frauen, schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden."
Pfarrer Paul Schobel: "Das war nichts anderes als dieser neoliberale Wahn, wonach sich die Regierung völlig rauszuhalten hat. Dann gab es im Vorfeld ein paar Unternehmensrettungen, ich denke an Schröder damals und Holzmann, das man ihm sehr übel genommen hat. Wir haben natürlich einen Mainstream damals gehabt und immer noch eigentlich, dass die Politik in der Wirtschaft nichts zu suchen hat. Und keiner hat sich richtig getraut. Am meisten haben wir das der FDP übel genommen, denn die hat sogar eine Transfergesellschaft torpediert, wobei eine solche Auffanggesellschaft eigentlich das Normalste ist. Dass das schief ging, das war der eigentliche Skandal. Dass der Laden selber in dieser Form betriebswirtschaftlich wohl nicht mehr zu retten war, ist klar. Aber dennoch haben sie zu Recht vermerkt: Politik muss ein Interesse daran haben, wie werden Menschen versorgt und wie werden die auch mit niedrigem Einkommen versorgt und welche Angebote haben die. So leicht hätte man es sich niemals machen dürfen."
Fünf Jahre nach der Insolvenz und einer von der FDP verhinderten Auffanggesellschaft erinnert sich Arndt Geiwitz:
"Natürlich war eine gewissen Enttäuschung da, wir haben extrem für diese Transfergesellschaft gekämpft. Ich hatte auch eine tiefe Überzeugung, zum damaligen Zeitpunkt in jedem Fall, dass die Transfergesellschaft uns einen wesentlichen Vorteil bei den Möglichkeiten eines Verkaufs gegeben hätte. Und vor allem bei der besonderen Konstellation, der vielen ländlichen angestellten Schlecker-Angestellten wäre die Transfergesellschaft, meiner Meinung nach auch ein soziales Projekt gewesen."
Geiwitz musste damals 11200 Mitarbeiter, vor allem Frauen, entlassen. In 2800 deutschen Schlecker-Filialen fand der endgültige Ausverkauf statt.
Anton Schleckers sagenhafter Aufstieg vom Metzgermeister im elterlichen Betrieb zum Inhaber Europas größter Drogeriekette endete hier.

Forscher: Kontrolle war wesentliches Element der Unternehmenskultur

Bis heute spricht Pfarrer Paul Schobel von Wahnsinn. Schlecker sei doch keine Würstchenbude gewesen. Das Schicksal so vieler Menschen hätte nicht an das unternehmerische Geschick eines einzigen Menschen gebunden werden dürfen:
"Klar ist, solche Konzerne kann man nicht auf der Basis unternehmensrechtlich als Einzelhandelskaufmann führen. Da müsste der Gesetzgeber dran, wir brauchen eine neue Unternehmensverfassung. Ein neues Gesetz, das regelt, ab wie vielen Beschäftigten, der Betrieb wie zu führen sein wird."
Längst hat die Fachwelt ihr Urteil über Anton Schlecker gefällt. Anton Schlecker habe in vielen Bereichen als Unternehmer versagt:
"Im Vergleich zu anderen Unternehmen, insbesondere auch der Branche, müssen wir sagen: Ja, hier ist im Grunde ein weitgehendes Versagen, sowohl was die harten Faktoren angeht, also Unternehmensstrategie bis hin zu den weichen Faktoren – Unternehmenskultur – ist festzustellen. Ja, im Grunde können wir schon sagen: Es ist ein weitgehendes Versagen auf allen Ebenen."
Roland Alter ist Professor für Organisation und Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Heilbronn und Autor des Buches "Schlecker oder Geiz ist dumm. Aufstieg und Absturz eines Milliardärs". Gestützt durch Fakten und Zahlen zeichnet er in seinem Buch ein Bild des Drogeriekönigs, den fast alle seine Beschäftigten nie zu Gesicht bekommen haben. Im Unternehmen herrschte eine Kontrollkultur, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler:
"Dieses Thema der Kontrolle war ein ganz ausgeprägtes Element dieser Unternehmenskultur und das führt eben sehr schnell zur der Frage des Menschenbildes. Was ist meine Grundannahme über die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite? Starte ich mit Vertrauen oder starte ich erst einmal mit Kontrolle? Was wir da gesehen haben, war eben eine ausgeprägte Kontrollkultur."
Anton Schlecker zählte zu den reichsten Menschen in Deutschland. Um die späteren Probleme zu verstehen, müsse man nach Werthaltungen und der Einstellung zur Belegschaft fragen:
"Der Begriff Geiz erscheint mir im Grunde als der richtige Begriff, weil es eben nicht nur der Geiz in der Ausstattung war, dort wo wir es sehr schnell sehen konnten, sondern es war im Grunde genommen auch ein emotionaler Geiz in der Art, wie mit langjährigen Beschäftigten umgegangen wurde."
Dass Anton Schlecker Profit sogar über das leibliche Wohl seiner Beschäftigten stellte, zeigte sich auch an anderer Stelle berichtet Paul Schobel:
"Es war ein Grundmisstrauen da, verbunden mit den Arbeitsbedingungen, die ja zum Teil sträflich waren: zu zweit in einem Laden, manchmal bloß allein, mit der Maßgabe, wenn ein Überfall ist, muss die andere raus und den Laden von hinten zuschließen. Damit die zwei alleine sind unter sich. Oder dieses elende Drama bis endlich ein Telefon geschaltet worden ist, das dann wiederum nur intern funktionierte, bis dann endlich noch ein Notruf installiert worden ist. Das alles sind Indizien, die hält man in unserem Jahrhundert nicht mehr für möglich, an Misstrauen an Missgunst und auch an Gefahrenpotential."
Schlecker hatte schon immer gespart, nicht nur bei der Einrichtung seiner Filialen, sondern eben auch und vor allem an seinen Beschäftigten. Bereits Mitte der 1980er Jahre ließ die Staatsanwaltschaft den Firmensitz in Ehingen durchsuchen. Mitte der 1990er-Jahre hatten erste Schlecker-Beschäftigte aufbegehrt gegen die unwürdigen Arbeitsbedingungen. Sie gründeten Betriebsräte, gegen den Widerstand der Geschäftsführung.
1998 wurden Anton Schlecker und seine Ehefrau Christa vom Amtsgericht Stuttgart zu jeweils zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Laut Urteil hatten sie ihre Mitarbeiter unter Tarif bezahlt. Den Beschäftigten aber gesagt, ihr Gehalt entspräche dem Tarif.
"Wenn die Diskussion, die harte Auseinandersetzung, das Ringen um den richtigen Weg, gar nicht stattfindet, weil, den richtigen Weg haben wir schon, den haben wir früher gehabt, den haben wir heute, den haben wir auch in der Zukunft. Aber man spiegelt das zu wenig an anderen Meinungen. Dann ist das eine hochgradige gefährliche Entwicklung und vor allem dann, wenn eben Tausende von Beschäftigten im Zweifelsfall darunter zu leiden haben."

"Da hat der Kompass gefehlt"

Indes schlief die Konkurrenz nicht. Rossmann, dm und Müller machten sich zunehmend breiter. Ihre Läden waren kundenfreundlicher und schöner. Ab der Jahrtausendwende wuchs Schlecker nicht mehr. "Der gesamte Konzern geriet ab dem Jahr 2000 in eine strategische Krise, die durch stagnierende Umsätze und rückläufige Ergebnisse gekennzeichnet waren." Heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart wörtlich.
Das Schlecker-Prinzip funktionierte vereinfacht ausgedrückt nach dem Schneeballprinzip: Ware wurde bestellt und erst dann bezahlt, wenn sie verkauft war. Je mehr Filialen desto mehr Bestellungen also. Bei rückläufigem Umsatz in den bestehenden Filialen war das Konzept der Expansion zwingend, um das System weiter aufrecht zu erhalten.
Ende 2007 kaufte Schlecker die damals fünftgrößte Drogeriekette "Ihr Platz" auf, das Umsatzvolumen stieg kurzfristig wieder. Ein Jahr später startete Schlecker ein weiteres risikoreiches Unternehmen: Schlecker XL. Mitarbeiterinnen aus bisherigen Filialen sollten in den neuen Läden arbeiten. Allerdings nicht mehr als tariflich bezahlte Schlecker-Beschäftigte, sondern als Leiharbeiter. Diese Umschichtung wiederum wurde über eine neu geschaffene Leiharbeitsfirma geregelt.
"Ich werfe die Mitarbeiterinnen raus, um sie nachher unter dieser Konstruktion wieder einzustellen, aber dann deutlich billiger, rechtlich zulässig, prima, Haken dran. Also da muss ich sagen, da hat der Kompass gefehlt."

Allerdings gab es auch keinen erkennbaren Kurs mehr. Schlecker sei durch diese Praxis zu einem regelrechten Hassobjekt in der Öffentlichkeit geworden, sagt Roland Alter und will einen Realitätsverlust bei Anton Schlecker erkannt haben.
Zu dieser Zeit reagierte auch die schwarz-gelbe Bundesregierung. In der Folge verabschiedete der Bundestag ein Gesetz gegen den Missbrauch von Zeitarbeit, Lex Schlecker genannt. Das Gesetz soll verhindern, dass Mitarbeiter entlassen und als Zeit- oder Leiharbeiter im selben Unternehmen oder einem Firmenableger zu schlechteren Bedingungen wieder eingestellt werden.
Pfarrer Paul Schobel: "Man kann sagen, das war dann auch mit maßgeblich, dass der ganze Laden zusammengekracht ist, obwohl es ja kein Unikat ist. Wir haben viele Firmen, die auch heute noch probieren, Teile der Belegschaften outzusourcen, auszugründen in GmbHs oder andere Konstrukte, die durch die Bank natürlich alle schlechtere Bedingungen haben."
Am 1. Juni 2010 schließt Verdi einen Tarifabschluss mit Schlecker ab. Doch das Image der Drogeriekette ist längst angeschlagen, die Kunden bleiben weg. Die letzte Phase beginnt. Wie viele andere Schlecker-Frauen verfolgen Andrea Straub und Karin Beck die aktuellen Ereignisse über die Medien.
"Selber hier im Laden, von denen Chefs hat man gar nichts mitgekriegt. Es ging alles nur über (die) Medien, sonst haben wir eigentlich nichts erfahren."
"Wir haben es auch an der Ware gesehen, wir haben Ware bestellt und die Hälfte der Ware ist nicht gekommen. Da hat man doch gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt."
"Wir hatten auch einen guten Bezug zu unserer Bezirksleiterin, aber sie wusste auch nicht alles. Die war selber dann auch überrascht, als dann ganz Schluss ist."

Selbstständigkeit als Ausweg

Die beiden Frauen aus Stetten gehören zu den wenigen früheren Schlecker-Mitarbeiterinnen, die den Start in die Selbstständigkeit wagten. Sie eröffneten einen sogenannten Drehpunkt. Immer noch gibt es Drogeriemarktartikel dort, darüber hinaus aber auch viele andere Artikel, wie etwa Bücher und Präsente. Bis heute zahlen die Unternehmerinnen einen Kredit ab. Mühsam aber glücklich, so beschreiben sie ihre Selbständigkeit:
"Wir haben uns das selber angeeignet. Dank unserer Männer, ohne die wäre es absolut nicht gegangen. Die gehen auf jede Messe mit, die helfen hier im Laden, die ganze Tische, wo sie hier sehen, sind alle selber gebaut, alles, die Teeregale."
Aus einer seelenlosen Schlecker-Filiale ist ein gut sortierter mit Liebe gestalteter Laden geworden. Doch nur wenige Frauen hatten den Mut zu diesem Schritt. Wie die Zukunft anderer Frauen verlief, darüber ist heute nur noch wenig bekannt. Die von Wirtschaftsminister Rösler als "Anschlussverwendung" bezeichnete Arbeitsplatzsuche blieb zunächst für Mitarbeiterinnen erfolglos. Wie viele Frauen heute wieder einen Job haben, kann auch Bernhard Franke von Verdi nicht sagen:
"Weil es keine Erhebungen mehr darüber gibt. Die Bundesagentur für Arbeit hat in den ersten eineinhalb Jahren eine Sonderstatistik geführt, die aber dann eingestellt wurde. Der letzte Stand nach anderthalb Jahren war der, dass zwei Drittel der Schlecker-Frauen immer noch ohne Arbeit war."

Insolvenzverwalter: "Er hat sich nicht aus der Verantwortung gestohlen"

Der Prozess gegen die Schlecker-Familie wird den früheren Mitarbeiterinnen nichts bringen, davon geht Arndt Geiwitz aus. Es gehe um eine strafrechtliche Aufarbeitung, nicht um seine Ansprüche als Insolvenzverwalter, betont er in diesem Zusammenhang auch.
"Ob es eine andere Art der Wiedergutmachung ist, wenn die Familie noch einmal Geld bezahlen muss oder sogar vielleicht ins Gefängnis muss, das möchte ich eigentlich nicht kommentieren. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wir konzentrieren uns, was das Verfahren angeht, viel lieber auf die Kartellrechtsansprüche, die mit über 300 Millionen dann wirklich merklich wären, wenn wir es schaffen könnten, diese Ansprüche zu realisieren. Das ist mein Hauptthema zurzeit."
Geiwitz wird als Zeuge in dem Verfahren gehört werden:
"Ich habe vom Grundsatz Verständnis für eine Staatanwaltschaft, dass sie die Themen aufarbeitet. Ich finde es nicht ganz glücklich, dass es so spät erfolgt. Und insbesondere für die Schlecker-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen ich heute noch Kontakt habe, die möchten auch irgendwann einmal abschließen mit dem Thema Schlecker. Manche fühlen sich auf das Attribut Schlecker-Frau reduziert und zwar in unangemessener Weise reduziert. Und ich glaube, dass man den früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt keinen Gefallen mit diesem Prozess tut."
Auch für die Familie Schlecker sei es eine schwierige Situation, ist Geiwitz überzeugt:
"Ich muss auch sagen, Herr Schlecker war Einzelunternehmer und hat die wirtschaftlich größte Konsequenz aus diesem Fall selbst tragen müssen. In dem er bis heute vermögenslos ist. Das findet man heute kaum noch im Wirtschaftsleben. Viele sichern sich doppelt und dreifach ab und insofern finde ich persönlich hat er schon viel Konsequenz tragen müssen, er hat sich nicht aus der Verantwortung gestohlen".
Das Insolvenzverfahren werde noch einige Jahre dauern, sagt Geiwitz. Es liefen Kartellklagen gegen frühere Lieferanten. Die Forderungen betrügen 335 Millionen Euro, davon wiederum könnten die früheren Beschäftigten profitieren.
Anders als der Insolvenzverwalter hält Bernard Franke von Verdi den Prozess gegen die Schlecker-Familie für notwendig und sinnvoll:
"Zur politischen Hygiene in unserem Land gehört, dass solche Vorgänge ordentlich aufgearbeitet werden. Dass man genau weiß, was da passiert ist und nicht so das diffuse Gefühl übrig bleibt: Die haben sich bedient und uns hat es getroffen. Deswegen finde ich es wichtig und werde das auch sehr aufmerksam verfolgen, was an gerichtlicher Aufarbeitung da erfolgt."
Bis heute wohnt das Ehepaar Schlecker noch in seiner Villa in Ehingen an der Donau. Der 72-Jährige Anton Schlecker muss bei dem Prozess vor Gericht erscheinen. Mit einem Urteil wird frühestens im Herbst gerechnet. Seine beiden früheren Mitarbeiterinnen Straub und Beck reisen zum Prozessauftakt von der Alb an. Sie werden ihren ehemaligen Chef bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal sehen:
"Genugtuung möchte ich jetzt nicht sagen, aber er soll zur Rechenschaft gezogen werden. Uns ging es gut, damals. Wir haben unseren Lohn bekommen, uns hat man nicht gemobbt, wir haben unsere Arbeit machen können. Er soll einfach zur Rechenschaft gezogen werden und dass die Gerechtigkeit da ist. Weil es sind hier so viele Mitarbeiter, die noch ihre 80 Stunden nicht bezahlt bekommen haben, und das kann man mal rechnen, wie viel das ist, oder Urlaub, einfach der Lohn. Weil die Kleinen müssen jetzt wieder bluten."
"Ja auf jeden Fall, weil wenn wir was nicht Recht machen, dann werden wir auch zur Rechenschaft gezogen. Wenn jemand was falsch macht, dann muss er dafür zahlen. Wie alle."
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